April 2015

| Newsletter 73

Fettleibigkeit lässt die Leber schneller altern

Erstmals wurden konkrete Auswirkungen von krankhaftem Übergewicht auf das biologische Alter eines Organs – der Leber – nachgewiesen. Dies könnte erklären, warum stark übergewichtige Menschen häufiger an Leberkrebs erkranken.

Gesundheitsrisiko Übergewicht: Die Leber altert bei fettleibigen Menschen schneller als bei schlanken.

Gesundheitsrisiko Übergewicht: Die Leber altert bei fettleibigen Menschen schneller als bei schlanken.

Hemera/Thinkstock

Leberkrebs ist eigentlich eine Krankheit, die erst im höheren Alter auftritt. Doch Jochen Hampe hat in seiner Klinik immer wieder mit Menschen zu tun, die schon mit Mitte 40 einen Tumor entwickeln. Eines haben diese Patienten meist gemeinsam: Sie sind fettleibig. „Das Risiko für Leberkrebs ist bei krankhaft Übergewichtigen mehr als doppelt so hoch“, sagt Hampe, Professor für Gastroenterologie und Hepatologie am Universitätsklinikum Dresden.

Lange wurde bereits vermutet, dass krankhaftes Übergewicht den Körper schneller altern lässt. Hampe hat mit seinem internationalen Forschungsteam nun den Beweis erbracht: Den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ist es erstmals gelungen, konkrete Auswirkungen von Fettleibigkeit auf verschiedene Gewebe des menschlichen Körpers nachzuweisen. Das Ergebnis: Starkes Übergewicht wirkt sich spürbar auf die Leberzellen aus, sie altern deutlich schneller. „Bei einer 100 Kilogramm schweren Frau von 1,65 Meter ist die Leber etwa drei Jahre älter, als sie es bei einem Körpergewicht von 70 Kilogramm wäre“, erklärt Hampe. Auf das Alter von Blutzellen, Muskeln und Fettgewebe hat Fettleibigkeit der Studie zufolge dagegen keinen Einfluss.

Diät verjüngt die Leber nicht

„Unsere Befunde könnten erklären, warum bestimmte Erkrankungen wie Leberkrebs bei Übergewichtigen deutlich häufiger vorkommen als bei schlanken Menschen“, sagt Hampe. Dabei legt die Studie zudem nahe, dass sich der vorzeitige Alterungsprozess des Organs auch durch Abnehmen nicht rückgängig machen lässt. „In dem Dreivierteljahr, in dem wir übergewichtige Personen beobachtet haben, konnten sich die Leberzellen der Betroffenen auch nach einer drastischen Diät nicht wieder verjüngen“, erklärt Hampe.

Epigenetische Uhr misst das Alter

Entscheidend für die Arbeit der Wissenschaftler war eine Entdeckung, mit der Bioinformatiker Steve Horvath von der University of California im vergangenen Jahr die Fachwelt verblüfft hat: Seine „epigenetische Uhr“ ist ein Instrument, das erstmals das Alter verschiedener Gewebe im menschlichen Körper präzise messen kann. Mithilfe dieser Uhr war es dem Team um Hampe erst möglich, das biologische Alter unterschiedlicher Gewebearten eines Patienten miteinander zu vergleichen.

Wie tickt die Uhr?

Die Leber „merkt“ sich offenbar ihr Alter. Auch nach einer Diät konnten sich die Zellen nicht wieder verjüngen.

Die Leber „merkt“ sich offenbar ihr Alter. Auch nach einer Diät konnten sich die Zellen nicht wieder verjüngen. 

7activestudio/Thinkstock

In der Epigenetik bestimmen chemische und strukturelle Veränderungen am Erbgut, wie die Gene eines Menschen abgelesen werden. Diese Markierungen werden auch bei der Zellteilung weitergeben. Horvath erkannte, dass sich die Muster dieser epigenetischen Marker im Laufe der Zellalterung verändern – und zwar so regelmäßig, dass sich einige der Marker zur Altersbestimmung eignen. Mithilfe eines Computeralgorithmus analysiert er diese Veränderungen und berechnet daraus das Alter der Person, von der die Zellen stammen.

Für die Forscherinnen und Forscher wird es dann interessant, wenn die Messdaten der epigenetischen Uhr nicht zum faktischen Alter eines Patienten passen, das heißt, wenn bestimmte Marker eine vorzeitige Alterung einzelner Gewebe belegen. Eine solche Diskrepanz zwischen biologischem und chronologischem Alter liefert womöglich erste Anhaltspunkte dafür, wo im Körper etwas aus dem Ruder laufen könnte. Die Vision der Forscher: Die epigenetische Uhr könnte künftig als Diagnose-Instrument dienen und sogar das Risiko einer späteren Erkrankung wie Leberkrebs bei jedem Menschen individuell voraussagen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universitätskliniken Dresden und Schleswig-Holstein haben gemeinsam mit den amerikanischen Kollegen für ihre Studie Gewebeproben von rund 1.200 Patientinnen und Patienten ausgewertet. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat das großangelegte Projekt in Rahmen der Fördermaßnahme „Die Virtuelle Leber“ unterstützt. In diesem Netzwerk arbeiten 70 Arbeitsgruppen aus 41 Kliniken und Forschungseinrichtungen daran, die Organfunktion der Leber besser zu verstehen.

Alterungsprozesse und ihre Auswirkungen verstehen

Die Forschenden hoffen, dass ihre Erkenntnisse künftig in verbesserte Präventionsmaßnahmen und Therapien von Lebererkrankungen fließen werden. Bis dahin müssen jedoch noch die genauen Zusammenhänge zwischen starkem Übergewicht, beschleunigter Zellalterung und der Entstehung von Krankheiten geklärt werden. „Beim tieferen Verständnis der Alterungsprozesse und ihrer Auswirkungen stehen wir noch am Anfang“, betont Hampe. „Jetzt gilt es herauszufinden, ob und warum ein schnelles Altern der Leber das Organ anfälliger für Krankheiten macht.“ Wenn diese Mechanismen entschlüsselt sind, wäre es denkbar, irgendwann die schnell voranschreitende Zellalterung mit Medikamenten abzumildern.

Bis dahin seien die Befunde zunächst ein Argument mehr, sich um ein normales Körpergewicht zu bemühen, sagt Hampe. Er plädiert zudem für eine verstärkte Leberkrebsvorsorge bei fettleibigen Menschen. „Bei einem frühzeitig erkannten Leberkrebs ist eine Heilung in der Regel noch möglich.“

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Jochen Hampe
Universitätsklinikum Dresden
Medizinische Klinik I
Bereich Gastroenterologie und Hepatologie
Fetscherstraße 74
01307 Dresden
0351 458-5643
06221 458-4340
jochen.hampe@uniklinikum-dresden.de