Ist ein Tumor gut- oder bösartig? Um diese Frage zu beantworten, werden immer häufiger neben der klassischen mikroskopischen Untersuchung einer Gewebeprobe auch die molekularen Eigenschaften der Krebszellen untersucht. Wissenschaftler erhoffen sich hiervon eine präzisere und schnellere Diagnose. So auch bei besonders aggressiven Tumoren der Bauchspeicheldrüse. Auf einen Streich können nun mehrere Hundert Gene von Betroffenen untersucht werden, um herauszufinden, ob der Tumor gut- oder bösartig ist. Denn davon hängt ab, welche Therapie gewählt wird. (Newsletter 57 / Mai 2012)
Tumoren der Bauchspeicheldrüse sind besonders aggressiv. „Trotz aller Forschungsbemühungen haben die Betroffenen eine extrem schlechte Prognose. Viele versterben innerhalb der ersten zwei Jahre nach der Diagnose“, sagen Privatdozent Dr. Malte Buchholz und Professor Dr. Thomas Gress von der Philipps-Universität Marburg. Nicht selten ist die einzige Therapieoption, den Tumor in einem möglichst frühen Stadium chirurgisch zu entfernen. Umso wichtiger ist es, möglichst früh zu wissen, ob in der Bauchspeicheldrüse tatsächlich ein gefährliches Pankreaskarzinom wuchert oder ob es sich um einen gutartigen bzw. weniger aggressiven Tumor handelt. Ein molekularer Blick in die Krebszellen kann hierbei helfen.
588 auf einen Streich
Beispiel eines Ergebnisses mit dem diagnostischen Biochip. Jedes Gen ist durch zwei Punkte repräsentiert. Die Aktivität eines Gens in einer Tumorprobe führt zu einer Schwärzung der entsprechenden Punkte auf dem Chip. Dieser molekulare Fingerabdruck stammt von einem bösartigen Tumor der Bauchspeicheldrüse.In der Vergangenheit wurden zahlreiche Gene identifiziert, deren Aktivität in verschiedenen Tumorarten der Bauchspeicheldrüse spezifisch herauf- oder herabgesetzt ist. Nur einzelne dieser Gene zu untersuchen, reicht aber für eine exakte Diagnose oftmals nicht aus. Die Wissenschaftler des Forschungsverbundes PaCaNet im Nationalen Genomforschungsnetz NGFN haben sich deshalb entschieden, mit Hilfe eines Biochips parallel, also direkt in einer Untersuchung, die Aktivität von 588 unterschiedlichen Genen zu analysieren. „So erstellen wir einen genetischen Fingerabdruck des Tumors und können mit 92-prozentiger Sicherheit sagen, um welche Art von Tumor es sich handelt und ob der Tumor bösartig ist“, beschreibt Dr. Buchholz. Man spricht hierbei von der Sensitivität des diagnostischen Tests. Die Spezifität des Biochips, also die Genauigkeit, mit der ein Tumor als eindeutig gutartig eingeordnet werden kann, liegt bei 75 Prozent. „Das ist eine Präzision, die mit anderen diagnostischen Methoden bislang nicht erreicht wurde“, fasst Dr. Buchholz zusammen. Die Forschungsarbeiten werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt.
Labor im Miniaturformat
Wie funktioniert ein Biochip? „Biochips können in einer Momentaufnahme alle Gene registrieren, die in einer Zelle angeschaltet oder aktiv sind“, erklärt Dr. Buchholz. Dieser „molekulare Schnappschuss“ liefert ein detailliertes Profil des Tumors und kann verraten, wie aggressiv der Tumor ist und ob etwa die Therapie mit einem bestimmten Zytostatikum aussichtsreicher ist als mit einem anderen. Ein Biochip ist eine Art Minilabor. Ein häufig nur daumennagelgroßes Plättchen aus Glas, Kunststoff oder Silizium ist wie ein Schachbrett in Hunderte oder sogar Tausende einzelne Felder unterteilt. Auf jedem Feld ist ein Stück des Erbfadens DNA befestigt. Bei diesen DNA-Stückchen handelt es sich um Fragmente verschiedener Gene, die zum Beispiel beim Zellwachstum eine Rolle spielen und von denen bekannt ist, dass sich ihre Aktivität in Tumorzellen der Bauchspeicheldrüse verändert. Deshalb werden solche Biochips auch DNA- oder Gen-Chips genannt. Jedes Genfragment auf einem Schachbrettfeld dient als Fänger für RNA-Botenmoleküle, die in Tumorzellen von einem aktiven Gen gebildet werden – im Falle des Tests der Marburger Arbeitsgruppe also 588 verschiedene DNA-Stücke. Bei den RNA-Botenmolekülen handelt es sich um Blaupausen für die Bildung von Eiweißen in der Zelle. Ist ein Gen aktiv, wird ein RNA-Botenmolekül gebildet, das die Information des Gens enthält und sie aus dem Zellkern in die Zelle trägt. Dort wird dann anhand der Information des RNA-Botenmoleküls das entsprechende Eiweiß zusammengesetzt.
„Für unsere Biochip-Analyse benötigen wir nur eine kleine Gewebeprobe des Tumors, eine sogenannte Feinnadel-Biopsie“, sagt Professor Gress. Daraus werden die RNA-Botenmoleküle isoliert, aufbereitet und dann auf den Chip getropft. Dort bindet die RNA an genau die Stelle des Chips, wo das passende Genfragment sitzt. Da die RNA-Moleküle zuvor radioaktiv markiert wurden, erzeugt jede Bindung ein Signal auf dem Chip. Ein Computer wertet diese Signale aus und erstellt dann den „Fingerabdruck des Tumors“, ein Muster aus Punkten, die die Aktivitäten der jeweiligen Gene im Tumor angeben. Denn je aktiver ein Gen ist, desto mehr RNA-Botenmoleküle werden in der Zelle produziert. Und je mehr RNA-Moleküle auf dem Chip binden, umso stärker ist das Signal. Die Gesamtheit der Signale liefert den Forschern dann die nötige Information über den Tumor. „Mit Hilfe unseres 588-Gene-Biochips für das Pankreaskarzinom erhoffen wir uns eine schnellere und präzisere Diagnose als bisher, die dann auch eine bessere Basis für Therapieentscheidungen bieten soll“, folgern die Marburger Forscher.
Ansprechpartner:
Priv.-Doz. Dr. Malte Buchholz und Prof. Dr. Thomas Gress
Philipps-Universität Marburg
Klinik für Gastroenterologie
Baldingerstraße
35043 Marburg
Tel.: 06421 586-2714
Fax: 06421 586-8922
E-Mail: malte.buchholz@staff.uni-marburg.de