26.05.2023

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Forschung am Puls der Zeit: Frauenherzen „ticken“ anders

Der Herzinfarkt ist ein bekanntes Beispiel: Viele Erkrankungen zeigen bei Frauen und Männern unterschiedliche Symptome und verlaufen anders. Claudia Crocini erforscht, wie Frauenherzen ticken, um daraus neue Möglichkeiten zur Behandlung abzuleiten.

Ärztin hält rotes Kunststoff-Herz zwischen ihren Händen

Frauen- und Männerherzen unterscheiden sich – auch auf zellulärer Ebene. Nachwuchsforschende an der Berliner Charité untersuchen dies genauer und wollen neue Therapieoptionen entwickeln.

Alexander Raths / Adobe

In der medizinischen Forschung ist diese Erkenntnis nicht neu, im klinischen Alltag wird sie aber immer noch zu selten berücksichtigt: Krankheiten verlaufen bei Frauen oft anders als bei Männern und Medikamente können bei ihnen aufgrund von Körpergröße, Gewicht und Hormonen anders wirken. Manche Krankheitssymptome können sich sogar so sehr unterscheiden, dass Fehldiagnosen gestellt oder Erkrankungen gar übersehen werden.

Ganz besonders gilt dies für die weltweit häufigste Todesursache: Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch in Deutschland werden Herzinfarkte bei Frauen nicht so schnell erkannt wie bei Männern, zum Beispiel, weil der für Männer typische Brustschmerz als Symptom fehlt. Und es gibt – selbst bei gesunden Menschen – tiefliegende Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Herzen: etwa bezüglich der Herzfrequenz, des Stoffwechsels oder wie bestimmte Gene abgelesen werden. Die Ursachen hierfür sind noch nicht vollständig geklärt – nicht zuletzt, weil Frauen in wissenschaftlichen Studien unterrepräsentiert sind und das biologische Geschlecht selten beachtet wird. Dr. Claudia Crocini, Leiterin einer vom Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (DZHK) geförderten Nachwuchsgruppe an der Berliner Charité und Gastwissenschaftlerin am Max Delbrück Center, möchte das ändern: Sie erforscht, wie sich männliche und weibliche Herzzellen auf zellulärer Ebene unterscheiden.

Viele Erkrankungen äußern sich bei Frauen anders als bei Männern – deshalb rückt der Internationale Aktionstag für Frauengesundheit die körperliche und seelische Gesundheit von Frauen besonders in den Fokus. Seit 1987 und immer am 28. Mai wird dieser Aktionstag unter dem Motto „Our health, our rights, our lives“ weltweit von zahlreichen Menschen- und Frauenrechtsorganisationen unterstützt.

Vorgänge auf Zellebene machen den Unterschied

„Selbst in der Grundlagenforschung wird das biologische Geschlecht vernachlässigt und es werden häufig männliche Versuchstiere eingesetzt“, sagt die Biotechnologin. Im Labor nutzt das Team um Crocini deshalb induzierte pluripotente Stammzellen von gesunden Frauen und Männern, die aus ausgereiften Zellen – z. B. Hautzellen – hergestellt und gleichsam „reprogrammiert“ werden können. Aus diesen Zellen züchtet das Team Herzmuskel- und Bindegewebszellen, beides Zelltypen, die im Herzen vorkommen.

Um die Unterschiede in Frauen- und Männerherzen aufzuspüren, untersuchen die Forschenden, wie gut sich die Herzmuskelzellen zusammenziehen können und wie Impulse innerhalb der Zellen weitergeleitet werden. „Auf molekularer Ebene kann dies darüber mitentscheiden, ob ein Herz richtig funktioniert oder ob es aus dem Takt gerät“, erläutert Crocini. Das Team analysiert außerdem, welche geschlechtsabhängigen Faktoren die Aktivität der Gene regulieren, wie der Anteil weiblicher Hormone den Verlauf von Herz-Kreislauf-Erkrankungen bestimmt und testet Unterschiede bei der Wirkung von Medikamenten.

Weniger anfällige Bindegewebszellen im weiblichen Herz

In der Fachliteratur finden sich Hinweise, dass Bindegewebszellen aus dem Herz von Frauen weniger anfällig dafür sind, sich krankhaft zu vermehren. Ein solches krankhaftes Wachstum von Bindegewebszellen tritt bei vielen Herzerkrankungen auf, etwa bei der hypertrophen Kardiomyopathie, einer Verdickung in der Wand der linken Herzkammer. Dies kann genetische Ursachen haben, zum Beispiel unterschiedliche Mutationen im Myosin-Gen. Dieses Gen trägt die Information für das Protein Myosin, das zusammen mit anderen Proteinen im Herzmuskel dafür sorgt, dass er sich zusammenziehen kann. „Untersuchungen zeigen aber, dass weibliche Patienten mit Kardiomyopathie zu einer stärkeren Narbenbildung als Männer neigen und auch anfälliger für Rhythmusstörungen sind“, erläutert Crocini.

Computermodelle helfen bei der Entwicklung von Therapieoptionen

Bei ihren Forschungen arbeitet Crocini mit Professorin Eleonora Grandi an der University of California in Davis zusammen, die Computermodelle menschlicher Herzzellen entwickelt. „Diese Modelle werden mit Daten aus unseren Experimenten gefüttert. Sie versetzen uns in die Lage, Krankheitsmechanismen und potenzielle Ziele für eine Behandlung aufzuzeigen“, so Crocini. Mögliche Therapien könnten dank der Computermodelle direkt an menschlichen Zellen getestet werden und Herzzellen von bestimmten Patienten erzeugt werden, um individuell zugeschnittene Therapien zu entwickeln.

Und das gilt nicht nur für Herzpatientinnen – denn „durch die getrennte Untersuchung beider Geschlechter und deren Vergleich können wir neue Erkenntnisse auch in der männlichen kardiovaskulären Biologie gewinnen“, sagt Crocini. Auch Frauen in den Wechseljahren und Menschen, die sich wegen einer Geschlechtsumwandlung einer Hormonersatztherapie unterziehen, könnten von diesem Ansatz profitieren – ebenso wie die Wissenschaft selbst. Eine frühzeitige Berücksichtigung des Geschlechts, hofft Crocini, werde dazu beitragen, dass „künftig nicht jahrelang in Forschung investiert wird und am Ende die Hälfte der Bevölkerung nicht wie erwartet auf die dabei erzielten Erkenntnisse reagieren würde“.

Dr. rer. nat. Claudia Crocini leitet eine Nachwuchsgruppe am Max Rubner Center (MRC) für kardiovaskuläre-metabolische-renale Forschung an der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Erkrankungen (DZHK) unterstützt ihre Nachwuchsgruppe für sechs Jahre mit insgesamt 1,65 Millionen Euro. Im DZHK bündeln 28 universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen an sieben Standorten in ganz Deutschland ihre Kräfte, indem sie eine gemeinsame Forschungsstrategie verfolgen. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Sitzländern geförderte DZHK bietet ihnen den Rahmen, um Forschungsideen gemeinsam und schnell umsetzen zu können.