Gerade in der Medizin sind Ärzte darauf angewiesen, Erkrankungen genau zu erkennen. Hauterkrankungen sind dabei schon mit bloßem Auge diagnostizierbar. Jeder sieht, dass hier etwas nicht stimmt. Aber wer die Ursache einer Hauterkrankung wissen möchte, um sie gezielt zu behandeln, muss exakter hinsehen – bis in die kleinsten Strukturen. Genau diese Einblicke ermöglichen Elektronenmikroskope. Mit ihrer Hilfe hat das elektronenmikroskopische Labor der Hautklinik Heidelberg gemeinsam mit internationalen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen nun die Ursache eines Typs der Hauterkrankung Ichthyose herausgefunden. (Newsletter 57 / Mai 2012)
Bei Ichthyose-Patienten ist die Haut verhornt, entzündet und erinnert an die Schuppen eines Fisches.Die Haut ist mit ihren rund zwei Quadratmetern Fläche eines unserer größten Organe. Sie grenzt uns von unserer Umwelt ab und verbindet uns zugleich mit ihr. Wenn die Haut sich rötet, schuppt oder Bläschen wirft, ist das gerade in der wärmeren Jahreszeit, wo man seine Haut nicht mehr so gut verstecken kann, sehr schnell für jedermann mit bloßem Auge sichtbar. Was nicht so schnell und auch oft nicht gut sichtbar ist, sind die Ursachen für diese Krankheit. Aber genau dieser Aufgabe stellt sich ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördertes Konsortium, das Netzwerk für Ichthyosen und andere Verhornungsstörungen (NIRK).
Ichthyose, der Name dieser Krankheit leitet sich aus dem griechischen Wort Ichthos für Fisch ab. Weil die Bildung der Hautoberfläche gestört ist, kommt es oft zu großen dicken Hautschuppen, die eben an die für Fische so typische Oberfläche erinnern. Man spricht auch von der „Fischschuppenkrankheit“.
Es gibt mehrere Formen der Fischschuppenkrankheit, die sich u. a. hinsichtlich ihrer Hautschäden unterscheiden. Jede einzelne Form ist eine seltene Erkrankung. Aber insgesamt gibt es in Deutschland etwa 1.000 Betroffene, die unter einer schweren Form der Ichthyose leiden. Weil die Krankheitsursachen größtenteils noch nicht geklärt sind, orientieren sich die Ärzte bei der Diagnose hauptsächlich an dem Erscheinungsbild der betroffenen Hautstellen. So liest man beispielsweise von Badeanzug- oder Harlekin-Ichthyosen.
Gemeinsam ist den meisten Ichthyosen, dass sie erblich bedingt sind. Je nach Typ sind unterschiedliche Gene betroffen und verändert. Bislang ist schon eine Reihe von sogenannten „Kandidatengenen“ bekannt, die zusammen die Erkrankung zumindest in Teilen erklären können. Umso wichtiger ist es, die restlichen Genorte zu finden, um den Krankheitsverlauf besser zu verstehen, die Krankheit gezielter bestimmen und sie letztendlich auch effektiver behandeln zu können. Denn bislang erfolgt die Behandlung nur symptomatisch und zielt darauf, den natürlichen Schutzschild unserer Haut durch Cremes oder Salben wiederherzustellen.
Auf den Hund gekommen?
Eines der beliebtesten Haustiere der Deutschen: der Golden Retriever. Um genetisch bedingte Krankheiten zu untersuchen, eignet sich der reinrassige Haushund besonders gut. Einige Golden Retriever entwickeln beispielsweise nach der Geburt spontan Hautveränderungen, die den Ichthyosen beim Menschen äußerlich ähneln. Da sich alle Hunde einer Rasse genetisch fast so ähneln wie das bei Geschwistern der Fall ist, können besonders gut sogenannte Gen-Assoziationsstudien durchgeführt werden. Mithilfe solcher Studien können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den krank machenden Genen auf die Spur kommen.
Das hat eine internationale Forschergruppe mit Unterstützung des NIRK für ihre Ursachenforschung bei der Fischschuppenkrankheit ausgenutzt. Sie untersuchten das Erbmaterial mehrerer Golden Retriever, bei denen diese Hautkrankheit auftritt und fanden heraus, dass bei allen erkrankten Hunden immer wieder ein bestimmtes Gen mutiert, also verändert ist. Dieses Gen, die Forscher nennen es kurz PNPLA1, liefert den Bauplan für ein Eiweiß, das beim Fettstoffwechsel in der Haut eine entscheidende Rolle spielt. Nun untersuchten die Forscher auch das Erbmaterial von erkrankten Menschen nach genau dieser genetischen Veränderung – und waren erfolgreich. Auch bei einigen erkrankten Menschen ist das Gen verändert und das Eiweiß scheint nicht in seiner „gesunden“ Form gebildet zu werden.
Ein Blick in die Tiefe der Haut: Die Bilder zeigen elektronenmikroskopische Aufnahmen menschlicher Hautbiopsien. Links sieht man die oberste Schicht gesunder Haut. Die ovale Struktur in der linken Bildmitte ist der Zellkern. Rechts oberhalb grenzt die Hornschicht an. Auf dem Bild rechts fallen bläschenartige Ansammlungen um den runden Zellkern in der Bildmitte auf. Dieses Bild stammt von der Haut eines Ichthyose-Patienten, bei dem das Gen PNPLA1 verändert ist. Die Skala zeigt die Vergrößerung: Die Länge entspricht 1.000 Nanometer, also einem Tausendstel Millimeter.
Das Wesentliche ist für das Auge unsichtbar
Diese Weisheit des kleinen Prinzen trifft auch für die Diagnostik bei den Verhornungsstörungen der Haut zu. Doch wie konnten die Wissenschaftler sehen, was in der Haut nicht funktioniert? „Unter dem Lichtmikroskop können wir in der Haut der kranken Hunde in einer bestimmten Schicht auffällige bläschenartige Strukturen sehen“ sagt Dr. Ingrid Haußer von der Universitäts-Hautklinik in Heidelberg. Sie leitet dort das elektronenmikroskopische Labor. Ihre Einrichtung gehört zu dem vom BMBF geförderten Netzwerk für Ichthyosen und verwandte Verhornungsstörungen. „Doch in der Lichtmikroskopie kommt man schnell an die Grenzen des Sichtbaren. Wenn wir mehr sehen wollen, müssen wir uns die Haut unter dem Elektronenmikroskop anschauen. Hier werden zelluläre Strukturen sichtbar, die bis zu einem Nanometer klein sind.“ Das entspricht der Größe von einem Millionstel Millimeter. Doch dafür müssen die Hautproben zunächst besonders aufbereitet werden. Wie für die Lichtmikroskopie werden kleine Bereiche der erkrankten Haut schmerzfrei ausgestanzt, man spricht von Hautbiopsien. Diese Hautbiopsien werden dann in winzig kleine und dünne Stücke geschnitten, die für das Auge kaum noch sichtbar sind. Unter dem Elektronenmikroskop offenbaren diese sogenannten Ultradünnschnitte dann ihr Innerstes: „Nahe am Zellkern beobachteten wir in einer Schicht der erkrankten Hundehaut unregelmäßige Ansammlungen von Bläschen und scheinbar überflüssigem Membranmaterial. In der angrenzenden Hornschicht fanden wir spaltenförmige Risse. In diesen Rissen vermuten wir Ansammlungen von Cholesterin“, beschreibt Dr. Haußer ihre Beobachtungen. Ähnliche Veränderungen konnte die Forscherin in der Haut von Ichthyosepatienten feststellen, die den gleichen Gendefekt wie die Hunde aufweisen. Ganz offensichtlich wurde hier ein weiteres Puzzle-Stück gefunden, welches die Ursachen der Hauterkrankung besser erklären kann und dabei hilft, die Patientinnen und Patienten besser und effektiver zu behandeln. „Bislang wurde das Gen PNPLA1 nicht mit Hauterkrankungen in Verbindung gebracht“, sagt Dr. Ingrid Haußer. „Zukünftig könnte es als Anhaltspunkt für neue Therapien dienen.“
Das Netzwerk für Ichthyosen und verwandte Verhornungsstörungen, kurz NIRK
Patienten mit Ichthyosen und anderen Verhornungsstörungen haben eine Anlaufstelle für ihre Krankheit: das Netzwerk für Ichthyosen und verwandte Verhornungsstörungen oder abgekürzt das NIRK.
Dieses Netzwerk ist ein Zusammenschluss von klinisch ausgerichteten mit molekularbiologisch orientierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Es wird seit 2003 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt.
Durch NIRK wird der Wissenstransfer von der Universität in die tägliche Praxis und die klinische Versorgung verbessert. Das Netzwerk hat beispielsweise klinische Richtlinien für die Diagnose und Therapie der Ichthyosen erstellt. Schon die Benennung der verschiedenen Formen der Fischschuppen-Krankheit ist weltweit nicht einheitlich. Dabei ist gerade das die Grundlage für den fachlichen Austausch. „Man denkt immer, dass die Ärzte ein klares Bild darüber haben, wie eine Erkrankung benannt wird. Aber gerade bei seltenen Erkrankungen wie den einzelnen Verhornungsstörungen ist das oft nicht der Fall“, so Professor Traupe, der Sprecher des Netzwerkes.
Ansprechpartnerin:
Dr. Ingrid Haußer-Siller
Universitäts-Hautklinik
Voßstr. 2
69115 Heidelberg
Tel.: 06221 56-38591
Fax: 06221 56-4481
E-Mail: ingrid.hausser@med.uni-heidelberg.de