Eine wichtige Aufgabe der Forschungspolitik ist es, Innovationsprozesse stetig zu optimieren, damit neue Erkenntnisse das Leben der Menschen schnellstmöglich verbessern können.
Die Gesundheitsforschung ist Grundlage für den medizinischen Fortschritt und eine bessere Patientenversorgung. In Arztpraxen und Apotheken nehmen wir die Innovationen meist dankbar entgegen, machen uns aber oftmals nicht bewusst, was hinter der Entwicklung einer jeden Neuerung steckt. Die Covid-19-Pandemie hat uns allen jedoch verdeutlicht, wie komplex und aufwendig die Entwicklung neuer Wirkstoffe oder Impfungen ist – selbst in einer Ausnahmesituation, in der die weltweite Forschungsgemeinschaft einen Großteil ihrer Kräfte auf ein gemeinsames Ziel fokussiert.
Die Pandemie rückt auch die Bedeutung der Forschungspolitik für den medizinischen Fortschritt in das Blickfeld der Öffentlichkeit. Mit seinen vielfältigen krankheitsbezogenen Förderstrategien, etwa auf dem Gebiet der Volks- oder Infektionskrankheiten, unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) nicht nur den wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Ebenso ist es seine Aufgabe, Forschung und Entwicklung zu neuen Wirk- und Impfstoffen, Medizinprodukten und Präventionsprogrammen gezielt voranzutreiben und gemeinsam mit den anderen Bundesministerien jene Rahmenbedingungen zu optimieren, die medizinische Innovationsprozesse stärken und beschleunigen. Damit war die Forschungspolitik auch einer der Wegbereiter für die jüngsten Forschungserfolge, die auf einen Covid-19-Impfstoff für Anfang 2021 hoffen lassen.
Jeder Fortschritt muss auf dem Weg in die Versorgung einen anspruchsvollen Prozess durchlaufen. Dessen erste Phase nennen Fachleute „Translation“. Forscherinnen und Forscher weisen dabei nach, wie akademisch wertvolle Forschungsergebnisse in einen praktischen Nutzen für die Menschen übersetzt werden können. In der zweiten Phase – im Fachjargon „Transfer“ genannt – geht es darum, den erwiesenen Nutzen neuer Verfahren in den Versorgungsalltag zu übertragen und dort zu verankern. Diesen Prozessen widmet sich die vorliegende Newsletter-Spezialausgabe. Im Fokus stehen also nicht – wie in den regulären Ausgaben – aktuelle Erfolge herausragender Einzelprojekte. Stattdessen werden hier die Stationen ausgewählter Innovationen auf ihrem Weg vom Labor bis in die Versorgungspraxis zu einem Gesamtbild zusammengesetzt. Dabei treten grundlegende Besonderheiten der Gesundheitsforschung hervor, die bei der Betrachtung einzelner Forschungserfolge und -etappen schnell übersehen werden:
Translation: Von der Erkenntnis aus der Grundlagenforschung bis zur Erprobung beim Menschen
Wirkung und Sicherheit – das sind die Parameter neuer Prozesse und Produkte, die der Translationsprozess prüft und sicherstellt. Angesichts der Komplexität der Wertschöpfungskette und der Vielzahl der beteiligten Akteure erfordert dies eine intensive Zusammenarbeit. Denn die Translation umfasst viele und unterschiedlichste Phasen. Zu Beginn steht die Validität grundlegender und vielversprechender Forschungsergebnisse auf dem Prüfstand. Was sich etwa im Reagenzglas oder im Computermodell bewährt, das muss seinen Nutzen dann auch in Zellkulturen oder Tiermodellen beweisen, bevor es am Menschen geprüft wird. In den späten Phasen der Translation werden Prozesse oder Produkte bis zur Praxis- oder Marktreife optimiert. Entspricht das Ergebnis den für die Sicherheit und Unbedenklichkeit des neuen Produkts essenziellen Anforderungen der Zulassungsbehörden, kann der Transfer in den Versorgungsalltag erfolgen.
Transfer: Innovationspotenziale identifizieren und in der Versorgung verankern
Versorgungsforschung und Public-Health-Forschung helfen dabei, wirkungsvolle und neue Errungenschaften im Versorgungsalltag zu etablieren, damit viele Menschen davon profitieren können. Ein erfolgreicher Transfer muss vielfältige Fragen berücksichtigen: Welche neuen Produkte und Verfahren haben in der Routineversorgung tatsächlich einen hohen Nutzen für die Patientinnen und Patienten? Und steht dieser Nutzen in einem angemessenen Verhältnis zu möglichen Nebenwirkungen und Kosten für das Gesundheitswesen? Ein erfolgreicher Transferprozess muss zudem die bestmögliche Platzierung neuer Errungenschaften im Versorgungssystem sicherstellen: An welchen Einrichtungen kann eine Innovation ihre höchste Wirksamkeit entfalten? Und wie muss das medizinische Personal geschult werden, um neue Verfahren auch qualitätsgesichert einsetzen zu können?
Transfer und Translation sind mehr als nur eine „Frage der Zeit“
Von den vielen Ideen und Ansätzen aus der Grundlagenforschung kommen nur wenige in der Versorgungspraxis an. So steckt beispielsweise hinter jeder Tablette eine oft mehr als zehnjährige Entwicklung. Ein Arzneimittel ist häufig das Resultat der Analyse von vielen Tausend Wirkstoffkandidaten, unter denen Forschende die erfolgversprechendsten identifizieren und so lange optimieren, bis eine Substanz in ausgeklügelten Tests noch besser abschneidet als ihre Vorläufer und schließlich im Versorgungsalltag ihren Nutzen entfalten kann.
Transfer und Translation sind aber nicht nur eine Frage der Zeit. Denn Erfolg versprechende Ansätze können sich im fortschreitenden Entwicklungsprozess plötzlich als „Sackgasse“ erweisen. So kann sich zum Beispiel eine in Gewebekulturen noch pharmakologisch zuverlässige Substanz als unbrauchbar entpuppen, weil der Organismus sie ausscheidet, bevor sie ihre Wirkung entfalten kann. Dass bei der Translation von der Präklinik – also der Forschung am Labor- oder Tiermodell – in die klinische Forschung am Menschen viele Ansätze scheitern, liegt in der Natur der Sache. Denn das System Mensch ist einfach viel zu komplex, um seine physiologischen Reaktionen präzise vorhersagen zu können. In der Praxis angekommene medizinische Innovationen bilden daher nur die Spitze einer breiten Forschungspyramide.
Von der Kette zum Kreislauf: Forschung für die Menschen ist nicht linear
Das Wissen um die „Knackpunkte“ der Translation und des Transfers und das Know-how, sie zu umgehen, gilt es in allen Phasen dieser Prozesse zu stärken. Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon in der Grundlagenforschung die Anforderungen der klinischen Phasen berücksichtigen, können sie bereits das Design früher Studien auf eine effiziente Translation ausrichten.
Die akademische Forschung kann den Weg von der Idee bis zum neuen Produkt meist nicht alleine zurücklegen – sie muss mit Praxispartnern und Unternehmen kooperieren. Deshalb ist es wichtig, dass Forschende, die beispielsweise Wirkstoffkandidaten identifizieren oder Medizinprodukte entwickeln, frühzeitig industrielle Standards beachten und die späteren Anforderungen der Zulassungsbehörden und der Kostenträger im Blick haben. Zentrale Erfolgsfaktoren der Translation und des Transfers sind kontinuierliche Rückkoppelungen zwischen Forschung, Entwicklung und Anwendung. Translation und Transfer sind keine chronologischen Aneinanderreihungen abgeschotteter Phasen. Sie sind ein auf allen Ebenen vernetztes Kreislaufsystem von Ideen, Erkenntnissen und Erfahrungen – von der Laborbank bis an das Krankenbett und zurück.
Der Transfer in die tägliche Versorgung kann zudem nur erfolgreich sein, wenn neue Produkte und Verfahren mit den Bedürfnissen und Wünschen der Zielgruppen im Einklang stehen. Deshalb sind auch Patientinnen und Patienten frühzeitig einzubinden. Chancen und Risiken potenzieller Innovationen – wie beispielsweise beim Einsatz Künstlicher Intelligenz – müssen transparent kommuniziert und in der Gesellschaft breit diskutiert werden.
Translation und Transfer im Fokus der BMBF-Förderung
Das BMBF unterstützt in vielen Förderschwerpunkten die translations- und transferorientierte Ausrichtung der Forschung: Es stärkt die Vernetzung der Akteure entlang der Wertschöpfungskette und organisiert die Begleitung und Beratung Forschender, etwa hinsichtlich der Anforderungen des Arzneimittel- und Medizinproduktegesetzes, der zuständigen Zulassungsbehörden und der Kostenträger. Darüber hinaus fördert es in eigenen Schwerpunkten zur Versorgungs- und Public-Health-Forschung den Transfer neuer Verfahren in den Versorgungsalltag.
Der gesamte Entwicklungsprozess medizinischer Innovationen – von der Idee bis zum Einsatz in der Praxis – verläuft in der Regel über Zeiträume, die einzelne Fördermaßnahmen nicht umfassen können. Das BMBF entwickelt jedoch wegweisende Förderkonzepte, die kritische Translations- und Transferhürden entlang der gesamten Wertschöpfungskette gezielt abbauen. Übergeordnetes Ziel ist es, vielversprechende Forschungsergebnisse und innovative Konzepte für die Menschen im Versorgungsalltag praktisch nutzbar zu machen.
Erfolgsbeispiele aus der Gesundheitsforschung
Wie unterschiedlich die Translations- und Transferwege verlaufen können, das zeigen die in dieser Newsletter-Ausgabe dargestellten Innovationen, zu deren Entwicklung neben anderen Förderern das BMBF an wichtigen Punkten beigetragen hat:
Die Beispiele veranschaulichen zum einen, wie komplex Translation und Transfer sind und warum die Gesundheitsforschung einen langen Atem braucht. Zugleich verdeutlichen sie, warum es so wichtig ist, Innovationsprozesse voranzutreiben und die hierfür erforderliche Forschung mit einer kontinuierlichen und umfassenden Förderpolitik gezielt zu stärken.