Geflüchtete Menschen sind auf der Flucht oft extremen psychischen Belastungen ausgesetzt und haben daher ein erhöhtes Risiko für psychische Erkrankungen. Eine neue Webseite bündelt Forschungsprojekte und bietet Betroffenen die Teilnahme an Studien an.
Rund 1,8 Millionen Schutzsuchende leben nach Angaben des Statistischen Bundesamtes in Deutschland. Viele von ihnen waren und sind erheblichem Stress ausgesetzt – hierzu zählen Krieg, Verfolgung und die oft lange Flucht, aber auch die vielen neuen Anforderungen, die im Aufnahmeland auf sie zukommen. Das Risiko, in Folge dieser Erlebnisse psychisch zu erkranken, ist hoch und dementsprechend groß ist der Bedarf an Präventionsmaßnahmen, einer frühzeitigen Diagnostik und der passenden Behandlung. Mit der Fördermaßnahme „Forschungsverbünde zur psychischen Gesundheit geflüchteter Menschen“ fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) patientenorientierte Forschung, die dazu beiträgt, passende Angebote zu erarbeiten.
Um über ihre Forschungsansätze übergreifend zu informieren, haben die beteiligten Partner des Verbundes im März 2021 eine gemeinsame Webseite erstellt: Die Internetseite www.mentalhealth4refugees.de bietet zum einen Informationen für Betroffene, die u. a. eine Studienteilnahme in Erwägung ziehen, und richtet sich zum anderen an Akteure aus Versorgung, Gesundheitswesen und Wissenschaft, die sich einen Überblick über laufende Projekte verschaffen möchten. Damit die wichtigen Informationen auch bei der Zielgruppe ankommen, wurde die Seite auf Deutsch, Englisch, Arabisch und Farsi angelegt.
Hilfe für psychisch belastete Geflüchtete – der Bedarf ist hoch, das Angebot noch gering
„Der Bedarf an innovativen Versorgungskonzepten für psychisch belastete Geflüchtete ist hoch und kann im Moment nur unzureichend vom deutschen Gesundheitssystem abgedeckt werden. Wir möchten mit unserer Internetseite ein Angebot machen, sich über laufende Projekte zu informieren und gegebenenfalls auch selbst an einer Studie teilzunehmen“, sagt Professorin Dr. Christine Knaevelsrud von der Freien Universität Berlin, die dieses Querschnittprojekt sowie ein weiteres Projekt innerhalb des Verbundes I-REACH leitet. „Sehr hilfreich ist die angebotene Suchfunktion, über die sowohl Akteure als auch Betroffene schnell und einfach erfahren können, was in ihrer Nähe angeboten wird oder ob es eine entsprechende Online-Intervention gibt.“
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte die Erstellung der Website im Rahmen des Querschnittsprojekts „CUMI und DATTF – Kulturelle Adaptationsprozesse und Digitale Assessment Tools“, das mit insgesamt rund 275.000 Euro unterstützt wurde. Das Projekt ist Teil der Fördermaßnahme „Forschungsverbünde zur psychischen Gesundheit geflüchteter Menschen“, in der 20 universitäre und außeruniversitäre Einrichtungen in sieben Forschungsverbünden zusammenarbeiten. Alle Verbünde haben ihre Arbeit im Februar 2019 aufgenommen. Das BMBF beabsichtigt, bis 2024 für die Forschungen bis zu 20,6 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Zusätzlich wird knapp eine Million Euro dafür eingesetzt, verbundübergreifende Fragestellungen und Aufgaben im Rahmen von Querschnittsaktivitäten zu bearbeiten.
Eine verbundübergreifende Webseite als Gemeinschaftsprojekt von Forschenden und Geflüchteten
Die auf der Homepage vorgestellten Projekte decken sehr unterschiedliche Themen ab: Untersucht wird in den Studien beispielsweise, wie sich das Stresserleben von Jugendlichen mittels elektronischer Tagebücher erfassen lässt, wie Traumafolgen bewältigt werden können oder auch, welche Unterstützung Kinderkrippen und geflüchtete Familien benötigen, damit sich Kleinkinder in einer frühpädagogischen Einrichtung gut einleben.
Bei der Entwicklung der Webseite konnte die Arbeitsgruppe um Knaevelsrud sowohl auf die Arbeit eines weiteren Querschnittsprojektes zur kulturellen Adaptation als auch auf eigene langjährige Erfahrung in der Arbeit mit migrationsbedingten psychischen Belastungen zurückgreifen. So wurde auf einen kultursensitiven und responsiven Internetauftritt geachtet, auf verständliche Sprache und den Abbau von Stigmata. „Wir haben die Webseite basierend auf Workshops mit Akteuren aus allen Zielgruppen wie Geflüchteten, Forschenden und Vertreterinnen und Vertretern des Gesundheitswesens entwickelt. Dabei sind auch animierte Videos entstanden, die unter Berücksichtigung des unterschiedlichen Umgangs mit Schwäche und Krankheit, Geschlechterbildern oder religiösen Tabus niederschwellig an das Thema heranführen“, so Knaevelsrud.
Die Corona-Pandemie hat es deutlich erschwert, Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer für die einzelnen Forschungsprojekte zu finden. Die Initiatoren der Webseite hoffen daher auf eine schnelle Ausbreitung innerhalb der entsprechenden Foren und haben die Seite so programmiert, dass Inhalte über gängige Social-Media-Plattformen oder einen QR-Code geteilt werden können. Doch auch persönliche Kontakte wie beispielsweise zu arabisch sprechenden Influencern, Hilfsorganisationen oder auch religiösen Ansprechpartnern werden genutzt. „Wir setzen hier auf einen Schneeballprozess, damit die Seite in der Community bekannt wird. Dies ist ein wichtiger Schritt, um neue Wege zur Behandlung von geflüchteten Menschen mit psychischen Belastungen zu gehen“, sagt Knaevelsrud.