Februar 2017

| Newsletter 82

Fortschritte im Kampf gegen Mukoviszidose

Forschende des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) wiesen nach, dass frühe Veränderungen der Lungen bereits ab dem Säuglingsalter durch Messungen der Lungenbelüftung und mit Hilfe der Magnetresonanztomographie zuverlässig erkennbar sind.

Lange galt Mukoviszidose als Kinderkrankheit, doch heutzutage sind mehr als die Hälfte der Patienten in Deutschland Erwachsene. Die schwerwiegende Erkrankung, bei welcher die Lunge und weitere Organe geschädigt werden, ist allerdings noch immer nicht heilbar. Mithilfe neuer und optimierter Methoden können Ärzte die seltene Erbkrankheit jedoch früher erkennen, zeitiger mit der Behandlung beginnen und den Therapieverlauf besser kontrollieren. In einer klinischen Studie verglichen Forscherinnen und Forscher des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) nun erstmals systematisch zwei schonende Diagnose- und Kontrollverfahren und zeigten, dass frühe Veränderungen der Lungen bereits ab dem Säuglingsalter sowohl durch Messungen der Lungenbelüftung als auch mithilfe der Magnetresonanztomografie zuverlässig angezeigt werden können.

Mukoviszidose-Patientin bei der Messung der Lungenbelüftung

Mukoviszidose-Patientin bei der Messung der Lungenbelüftung

Universitätsklinikum Heidelberg

Rund 8.000 Kinder, Jugendliche und Erwachsene leiden in Deutschland an Mukoviszidose, auch als Cystische Fibrose bezeichnet. Europaweit sind Schätzungen zufolge etwa 50.000 Menschen von der seltenen Erbkrankheit betroffen. Bei Mukoviszidose bildet sich ein zäher Schleim, der die Atemwege verstopft und in der Lunge leicht zu Infektionen mit Bakterien, Viren und Pilzen führt. Auch chronische Infekte sowie Entzündungen werden durch den Schleim begünstigt und können zu bleibenden Lungenschäden führen. Neben der Lunge ist vor allem die Bauchspeicheldrüse betroffen, zudem werden weitere Organe wie beispielsweise die Leber, der Darm und die Gallenblase von der Erkrankung in Mitleidenschaft gezogen. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Betroffenen liegt in Deutschland bereits bei über 40 Jahren. Mukoviszidose ist längst keine Kinderkrankheit mehr, 56 Prozent der Patienten hierzulande sind erwachsen. Derzeit gilt Mukoviszidose allerdings weiterhin als nicht heilbar. Daher ist es wichtig, die Erkrankung so früh wie möglich zu diagnostizieren und zu behandeln, um die Entstehung irreversibler Lungenschäden zu verzögern oder sogar zu verhindern. Im September 2016 ist ein Neugeborenen-Screening auf Mukoviszidose, das Heidelberger DZL-Forscherinnen und -Forscher mit vorbereitet hatten, bundesweit eingeführt worden. Es identifiziert zuverlässig betroffene Kinder, kann aber keine Auskunft darüber geben, wann die Erkrankung in der Lunge einsetzt. Dank moderner Methoden und immer effektiverer Therapien kann die Lebensqualität und Lebenserwartung von Patienten jedoch stetig erhöht werden.

Verfahren zur Früherkennung

Das bundesweite Neugeborenen-Screening erkennt zuverlässig betroffene Kinder. Es kann aber keine Auskunft darüber geben, wann die Erkrankung in der Lunge einsetzt.

Das bundesweite Neugeborenen-Screening erkennt zuverlässig betroffene Kinder. Es kann aber keine Auskunft darüber geben, wann die Erkrankung in der Lunge einsetzt.

Picture-Factory_Fotolia

Um erste Lungenveränderungen sichtbar zu machen, die Entwicklung der Krankheit zu kontrollieren und das Ansprechen auf Therapien zu untersuchen, kamen als Methoden lange Zeit standardmäßig nur die Computertomografie (CT) und die Lungenspiegelung zum Einsatz. Die Computertomografie ist allerdings mit einer Strahlenbelastung verbunden und die Lungenspiegelung bei Säuglingen sowie Kleinkindern nur unter Vollnarkose möglich. In einer klinischen Studie verglichen Forscherinnen und Forscher des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL) nun erstmals systematisch zwei schonende Diagnose- und Kontrollverfahren bei Mukoviszidose-Patienten vom Säuglings- bis zum jungen Erwachsenenalter: Bei 97 Erkrankten im Alter zwischen zwei Monaten und 21 Jahren erfassten sie Beeinträchtigungen der Lunge zum einen per Magnetresonanztomografie (MRT), zum anderen führten sie eine Messung der Lungenbelüftung (Lung Clearance Index, LCI) durch, und sie untersuchten, wie beide Methoden in Beziehung zueinander stehen.

Mithilfe der bereits von Heidelberger DZL-Wissenschaftlerinnen und -Wissenschaftlern weiterentwickelten Magnetresonanztomografie lassen sich frühe Auffälligkeiten an der Lunge zuverlässig und ohne belastende Röntgenstrahlung oder Eingriffe ermitteln. So können z. B. frühe Gewebeschäden, Schleimpfropfen und Veränderungen in der Durchblutung des Organs nachgewiesen werden, noch bevor erste Krankheitssymptome auftreten. Das bildgebende Verfahren nutzt die physikalischen Eigenschaften von Wasserstoffmolekülen im Körper und kann so ohne den Einsatz von Röntgenstrahlen Aufnahmen der Lunge erstellen, ohne das Organ zu beeinträchtigen.

Der sogenannte Lung Clearance Index zeigt an, wie gleichmäßig die Lunge belüftet ist. Bereits in frühen Krankheitsstadien der Mukoviszidose kommt es durch die Verlegung der kleinen Atemwege durch den bei Mukoviszidose auftretenden zähen Schleim zu einer ungleichmäßigen Belüftung. Zur Erfassung des LCI atmen Patienten ein Markergas ein, und es wird gemessen, wie viele Atemzüge benötigt werden – genauer gesagt, wie oft das eigene Lungenvolumen geatmet wird (bezeichnet als „Lungenumsätze“) – um es komplett von diesem Markergas zu befreien.

Durchbruch in der Diagnostik und bei der Kontrolle des Krankheitsverlaufs

Auffälligkeiten an Lungengewebe oder -durchblutung, die mithilfe der Magnetresonanztomografie erfasst wurden, spiegelten sich bei dem überwiegenden Teil der 97 in der aktuellen Studie untersuchten Kinder und Jugendlichen auch in den Ergebnissen der Lungenbelüftungsmessung wider. Die DZL-Forscherinnen und -Forscher stellten fest, dass bei der Mehrheit der untersuchten Mukoviszidose-Patienten eine überdurchschnittliche Anzahl an Lungenumsätzen erforderlich war, um das Markergas bei der Messung des Lung Clearance Indexes komplett auszuatmen. „Kleine Kinder mit leichten Lungenschäden benötigten in den Untersuchungen im Mittel bereits 8 Umsätze, ältere Kinder mit Mukoviszidose 12 Lungenumsätze. Gesunde Personen mit einer gleichmäßigen Lungenbelüftung brauchen hingegen lediglich 6 bis 7,5 Umsätze“, erklärt die Erstautorin der klinischen Studie Dr. Mirjam Stahl, DZL-Wissenschaftlerin und Fachärztin am Standort Heidelberg.

Zudem fanden die Forscherinnen und Forscher in der Studie heraus, dass das Verfahren der Magnetresonanztomografie bei älteren Kindern und jungen Erwachsenen, bei denen die Lungenerkrankung schon weiter fortgeschritten ist, ebenso aussagekräftig ist wie bei jungen Kindern. Schon geringe Verbesserungen oder Verschlechterungen im Rahmen der Verlaufskontrolle nach einer antibiotischen Therapie einer pulmonalen Exazerbation/akuten Verschlechterung der Lungenerkrankung bildete das MRT gut ab.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler konnten somit in der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mitgeförderten Untersuchung zeigen, dass sich beide Methoden über alle Altersgruppen hinweg gut eignen, um sowohl frühe Veränderungen der Lunge zuverlässig anzuzeigen als auch fortgeschrittene Schädigungen schonend zu erfassen. „Die Ergebnisse der Studie sind ein Durchbruch für die Früherkennung und Verlaufskontrolle der Lungenerkrankung bei Mukoviszidose. Sowohl die Magnetresonanztomografie als auch der Lung Clearance Index bieten die Möglichkeit, den Verlauf kontinuierlich zu beobachten, den optimalen Therapiebeginn zu ermitteln und die Behandlung individuell zu steuern“, erklärt der DZL-Direktor Professor Dr. Marcus Mall, der das Zentrum für Translationale Lungenforschung Heidelberg (TLRC) und die Sektion Pädiatrische Pneumologie sowie das Mukoviszidose-Zentrum am Universitätsklinikum Heidelberg leitet. Insbesondere für junge Patientinnen und Patienten eignen sich die Methoden gut, da sie weder eine Vollnarkose brauchen noch einer schädlichen Strahlenbelastung ausgesetzt werden.

Mukoviszidose

Mukoviszidose, auch als Cystische Fibrose bezeichnet, ist eine der häufigsten tödlich verlaufenden angeborenen seltenen Erkrankungen. Ursache der Erkrankung ist eine Mutation des sogenannten CFTR-Gens (Cystisches Fibrose-Transmembran-Regulator-Gen) auf dem Chromosom 7. Es werden mehrere Mutationen unterschieden, die häufigste heißt „F508del“. Das CFTR-Gen ist verantwortlich für die Herstellung eines Ionenkanals, der den Salz- und Wasserhaushalt auf den Schleimhäuten der Lunge und anderer Organe reguliert. Durch den Gendefekt kann jedoch nur ungenügend oder überhaupt kein Chlorid und damit keine Flüssigkeit aus den Zellen auf die Atemwegsoberfläche transportiert werden. Damit trocknen bei Mukoviszidose-Betroffenen die Schleimhäute der Atemwege aus, es bildet sich so ein zähflüssiger Schleim, der unter anderem die Atemwege verstopft und einen hervorragenden Nährboden für Keime bietet. Krankheitserreger wie Bakterien können eine chronische Entzündung der Atemwege verursachen und dadurch das Lungengewebe zerstören. Das Ausmaß der Beeinträchtigung der Lunge ist somit der kritische Faktor, der die Lebenserwartung und -qualität bestimmt. Mukoviszidose wird autosomal-rezessiv vererbt, das heißt, eine Person erkrankt nur, wenn sie von beiden Elternteilen eine mutierte Genvariante erbt. Ungefähr jeder 20. Mensch trägt ein verändertes (mutiertes) CFTR-Gen in seinem Erbgut.

Frühes therapeutisches Eingreifen kann die Erkrankung verlangsamen und ggf. Schädigungen verhindern

DZL-Logo

Am Heidelberger DZL-Standort wurden die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchung direkt in die Praxis umgesetzt. Beide Verfahren kommen dort nun bereits routinemäßig bei regelmäßigen Kontrolluntersuchungen an Kindern und Jugendlichen mit Mukoviszidose zum Einsatz. „Darüber hinaus eignen sich die Magnetresonanztomografie und der Lung Clearance Index sehr gut, um neue vorbeugende Therapiemethoden, die wir in den letzten Jahren im Labor entwickelt haben, zu überprüfen“, berichtet Mall. So wird derzeit im Rahmen des Deutschen Zentrums für Lungenforschung die weltweit erste Studie zur Wirksamkeit einer präventiven Inhalationstherapie mit hypertoner Kochsalzlösung bei Säuglingen mit Mukoviszidose durchgeführt. Beide Verfahren kommen dabei bereits zur Therapiekontrolle zum Einsatz. Bei erwachsenen Patientinnen und Patienten verbessert sich durch das Inhalieren die Befeuchtung des Schleims, sodass dieser einfacher abgehustet werden kann. Auch die Lungenfunktion wird optimiert. Je schneller bereits leichte Schädigungen und Verschlechterungen behandelt werden, beispielsweise durch das Inhalieren einer hypertonen Kochsalzlösung, desto länger können schwere Lungenschäden und etwaige Komplikationen hinausgezögert werden. In einem sehr frühen Krankheitsstadium sind Organveränderungen teilweise sogar noch reversibel, und chronische Lungenschädigungen können möglicherweise noch verhindert werden. „Wir hoffen auf einen vorbeugenden Effekt, wenn bei betroffenen Säuglingen früh mit einer solchen Behandlung begonnen wird“, so der Lungenexperte Mall.

Deutsches Zentrum für Lungenforschung

Das im Jahr 2011 gegründete Deutsche Zentrum für Lungenforschung (DZL) ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Ländern gefördert werden. Im DZL arbeiten exzellente Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und deren Teams aus 27 deutschlandweit auf dem Gebiet der Lungenforschung führenden universitären und außeruniversitären Institutionen zusammen. Gemeinsam haben sie das Ziel, zügig neue Ansätze für die Prävention, Diagnose und Therapie von Lungenerkrankungen zu entwickeln. Neben der Mukoviszidose stehen sieben weitere Krankheitsbereiche im Fokus der Forschungsarbeiten: Asthma und Allergien, die chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), die Lungenentzündung und akutes Lungenversagen, die diffus-parenchymalen Lungenerkrankungen, der Lungenhochdruck, der Lungenkrebs und Lungenerkrankungen im Endstadium. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.dzl.de.

Ansprechpartner: 
Prof. Dr. Marcus A. Mall
Ärztlicher Direktor Abteilung
Translationale Pneumologie
Zentrum für Translationale Lungenforschung
Heidelberg
und
Leiter Sektion Pädiatrische Pneumologie,
Allergologie und Mukoviszidose-Zentrum
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin
06221 564-502
06221 564-559
Marcus.Mall@med.uni-heidelberg.de

Dr. Mirjam Stahl
Fachärztin für Kinderheilkunde und Jugendmedizin
Sektion Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und
Mukoviszidose-Zentrum
Zentrum für Kinder- und Jugendmedizin
und
Leiterin der Nachwuchsgruppe
„Early Cystic Fibrosis Lung Disease“
Abteilung Translationale Pneumologie
Zentrum für Translationale Lungenforschung
Heidelberg
06221 565-696
06221 565-281
Mirjam.Stahl@med.uni-heidelberg.de

Pressekontakt:
Sabine Baumgarten
Deutsches Zentrum für Lungenforschung (DZL)
Geschäftsstelle/Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Aulweg 130
35392 Gießen
0641 99-46721
s.baumgarten@dzl.de