Frauenherzen schlagen anders - Warum Frauen bei der Behandlung angeborener Herzfehler bislang benachteiligt wurden

Logo„Blue Babys“ – so nennt man wegen ihrer bläulichen Hautfarbe Babys, die mit dem Herzfehler Fallot-Tetralogie zur Welt kommen. Die Fallot’sche Tetralogie ist einer der häufigsten angeborenen Herzfehler. In Deutschland leben rund 15.000 Betroffene. In ihren Herzen gibt es vier Veränderungen (griechisch tetra = vier): Der Ausflusstrakt des rechten Herzens ist verengt (Pulmonalstenose), die Hauptschlagader verlagert (Reitende Aorta), die rechte Herzkammer verdickt (Rechtsherzhypertrophie) und in der Herzscheidewand ist ein Loch (Ventrikelseptumdefekt). Diese Fehlbildungen führen dazu, dass der Blutfluss durch die Lungenstrombahn erschwert wird. Als Folge wird der Körper nicht ausreichend mit Sauerstoff versorgt, die betroffenen Kinder geraten leicht außer Atem und ihre Haut ist wegen der mangelnden Durchblutung bläulich. „Alle Menschen mit diesem Herzfehler müssen sich irgendwann in ihrem Leben einer Herzoperation unterziehen“, sagt Privatdozent Dr. Samir Sarikouch von der Medizinischen Hochschule Hannover.

Behandlungspraxis benachteiligt Frauen

Eine operative Korrektur der Fallot’schen Tetralogie ist seit mehr als 50 Jahren möglich. „Während früher jeder zweite Betroffene in den ersten Lebensjahren verstarb und nur wenige älter als 30 Jahre wurden, werden heute mehr als 90 Prozent 30 Jahre und älter“, beschreibt Dr. Sarikouch. Mittlerweile leben in Deutschland mehr Erwachsene als Kinder mit Fallot’scher Tetralogie. Dadurch rücken Aspekte der Langzeitversorgung zunehmend in den Fokus der Forschung. Ein Grund für das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Kompetenznetz Angeborene Herzfehler, eine Studie zu initiieren, die untersucht, wie es den Kindern mehrere Jahre nach der Operation geht.

„Unsere Studie zeigt, dass Frauen mit Fallot-Tetralogie in der bisherigen Behandlungspraxis benachteiligt werden, weil sie anders behandelt werden müssten als Männer“, so der Studienleiter Dr. Sarikouch. „Die bisherigen Referenzwerte bilden die Besonderheiten des weiblichen Herzens nicht ausreichend ab.“ Diese Referenzwerte sind Informationen zur Größe, Funktion und Belastbarkeit des Herzens. Mit ihnen vergleichen die Kardiologen die individuellen Werte ihrer Patientinnen und Patienten und treffen daraufhin zum Beispiel die Entscheidung, ob eine erneute Operation nötig ist.

Frauenherzen müssen eher behandelt werden

In der bundesweiten Studie unter Federführung der Medizinischen Hochschule Hannover und des Herz- und Diabeteszentrums NRW haben die Wissenschaftler an 14 Herzzentren in Deutschland mehr als 400 Patientinnen und Patienten mit Fallot-Tetralogie untersucht und geschlechtsspezifische Referenzwerte für diesen Herzfehler erhoben. Dabei zeigt sich, dass die körperliche Belastbarkeit der Frauen mit Fallot- Tetralogie deutlich geringer als die der Männer ist. Nach Normierung auf einheitliche Körpermaße wurde außerdem deutlich, dass die Herzen von Frauen mit Fallot’scher Tetralogie etwa zehn Prozent kleiner sind als Männerherzen. „Die bisherigen Schwellenwerte sind Unisex-Werte. Sie legen eine kritische Größe des Herzens fest. Wird dieser Schwellenwert überschritten, ist der Zeitpunkt für eine erneute Operation etwa an einer Herzklappe gekommen“, erklärt Dr. Sarikouch. „Bei den bisherigen Schwellenwerten werden Frauen systematisch benachteiligt.“ Denn Frauenherzen, da sie insgesamt kleiner sind, haben sich bei Erreichen des Schwellenwertes verhältnismäßig deutlich stärker vergrößert als Männerherzen. „Das bedeutet, dass Frauen bei vergleichbaren Befunden früher reoperiert werden müssen als Männer, um irreparable Belastungen der rechten Herzkammer zu vermeiden“, so Dr. Sarikouch. Werden diese erneuten Operationen, die Reoperationen, zu spät durchgeführt, kann das unter anderem zu Herzinsuffizienz oder Herzversagen führen. Im Ergebnis muss es demnach unterschiedliche Schwellenwerte für Frauen und Männer geben.

Leitlinien müssen überdacht werden

„Wir haben bei den angeborenen Herzfehlern bisher vernachlässigt, dass Frauenherzen anders behandelt werden müssen als Männerherzen“, ist Dr. Sarikouch überzeugt. „Die Leitlinien für Reoperationen bei der Fallot-Tetralogie sollten überdacht werden und künftig das Geschlecht berücksichtigen.“ In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler ein Verfahren entwickeln, um den Patienten eine individuelle Risikoanalyse anzubieten.

Ansprechpartner:
Priv.-Doz. Dr. Samir Sarikouch
Medizinische Hochschule Hannover
Klinik für Herz-, Thorax-, Transplantations- und Gefäßchirurgie
Carl-Neuberg-Straße 1
30625 Hannover
Tel.: 0511 532-6580
Fax: 0511 532-5404
E-Mail: sarikouch.samir@mh-hannover.de