Wer hat nicht schon hier und da seinen Schlüssel verlegt oder den Namen eines Bekannten nicht gleich parat gehabt? Kleinere Gedächtnisprobleme kennt jeder. Doch ab einem gewissen Alter fragen sich Betroffene oftmals, ob diese Gedächtnisprobleme vielleicht erste Anzeichen für eine Demenz sein könnten.
Eine frühe Diagnose, noch vor dem vollen Ausbruch der Erkrankung, ist nicht nur für eine rechtzeitige Therapie wichtig. Wissenschaftler suchen deshalb nach Verfahren, um eine Demenz frühzeitig zu erkennen.
In Deutschland leben aktuell mehr als eine Million Menschen mit einer Demenz. Bisher sind erste Anzeichen einer Demenz nur sehr bedingt erkennbar. Erst wenn objektivierbare Gedächtnisstörungen auftreten, können Tests und bildgebende Verfahren Hinweise auf eine mögliche Erkrankung geben. Ziel der heutigen Forschung ist es, bereits lange vor dem Auftreten erster Gedächtnisstörungen eine gesicherte Diagnose stellen zu können. Wissenschaftler sind hier in den letzten Jahren einen wichtigen Schritt vorangekommen. Sie verfolgen verschiedene Ansätze, die letztlich alle eine frühere Diagnose neurodegenerativer Erkrankungen ermöglichen sollen. Dabei arbeitet das neue Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) mit Universitäten und Universitätskliniken an verschiedenen Standorten zusammen. Eine davon ist die Universität Bonn. Hier untersucht die Gruppe um Privatdozent Dr. Frank Jessen und Prof. Dr. Wolfgang Maier neue Diagnosemethoden, die bereits vor dem Eintreten der ersten Gedächtnisprobleme eingesetzt werden sollen.
In einer groß angelegten Studie mit 2.415 Patienten im Alter von 75 Jahren und älter untersuchten sie, ob mittels einer rein subjektiv wahrgenommenen Gedächtnisstörung das Risiko für die Entwicklung einer Demenz bestimmt werden kann. Die Studie wird im Rahmen des Kompetenznetzes Degenerative Demenzen und mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt. Die Forscher konnten zeigen, dass Patienten, die während eines Arztbesuches von rein subjektiven Gedächtnisstörungen berichten – ohne dass messbare Gedächtnisprobleme vorliegen – häufiger zu einem späteren Zeitpunkt an einer Demenz erkranken als andere. Professor Maier und Dr. Jessen sehen darin eine Möglichkeit, sehr früh und ohne aufwendige Methoden einen ersten Hinweis zu bekommen, ob ein Patient oder eine Patientin zu einer Demenz neigt. „Das ist ein vielversprechender Ansatz, der in den nächsten Jahren an Bedeutung gewinnen könnte“, sagt Professor Maier.
Heute werden bei den ersten Gedächtnisstörungen zuerst psychometrische Tests angewendet. Das sind wissenschaftlich erprobte und standardisierte Funktionstests, mit denen die Hirnleistung beurteilt wird. Wenn mit diesen Tests erste Beeinträchtigungen nachgewiesen werden, kommen sogenannte bildgebende Verfahren zum Einsatz. Das wichtigste Verfahren, um im Frühstadium eine Demenz zu diagnostizieren, ist heute die Magnetresonanztomographie, kurz MRT. Mit diesem Verfahren können strukturelle Veränderungen im Gehirn nachgewiesen werden. Solche Veränderungen in bestimmten Gehirnregionen deuten auf ein Frühstadium der Demenz hin und ermöglichen schon heute eine frühe Diagnose. Allerdings ist der Umkehrschluss nicht möglich: Ein unauffälliger Befund mithilfe des MRT-Verfahrens schließt ein Frühstadium einer Demenzerkrankung nicht unbedingt aus. Denn nicht jede Veränderung im Gehirn kann mit der MRT festgestellt werden. Weitere Forschungsprojekte und eine Übersicht über die Zentren für Bildgebung in den Neurowissenschaften in Deutschland finden Sie im Newsletter 43.
Seit Oktober 2009 bieten das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) und das Kompetenznetz Degenerative Demenzen (KNDD) eine gemeinsame Telefonhotline zum Thema Demenzen für Hausärzte, Neurologen und Psychiater an. Sie können sich über Themen wie Diagnostik, leitliniengerechte Behandlung, medizinische Versorgung, Pflege, klinische Studien und neurobiologische Grundlagen demenzieller Erkrankungen informieren. Die Hotline ist jeden Mittwoch unter der Rufnummer 01803 779900 von 12.30 bis 15.30 Uhr erreichbar. Aus dem deutschen Festnetz kostet der Anruf neun Cent pro Minute.
Eine frühe und eindeutige Diagnose bei Demenz ist sehr wichtig, weil bekannte Therapieverfahren nur in bestimmten Phasen der Erkrankung wirken. Das gilt vor allem für die sehr frühen Demenzstadien, in denen die MRT-Technik keine sichere Antwort gibt. Zudem können mit der bisherigen MRT-Technik nur bedingt die vielfältigen Subtypen der Demenz, die alle unterschiedlich behandelt werden müssen, unterschieden werden.
Deshalb wollen Forscher am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen jetzt eine möglichst frühe und besser differenzierende Diagnosemethode entwickeln. Dabei konzentrieren sich die Wissenschaftler besonders auf molekulare und neurochemische Veränderungen, die bei einer Demenzerkrankung im Gehirn ablaufen – und zwar lange bevor strukturelle Veränderungen nachweisbar sind. Die daran beteiligten Stoffe, sogenannte Biomarker, dienen dabei als spezifische Indikatoren. Zur Messung der Biomarker sollen unter anderem neueste bildgebende Verfahren verwendet werden, die eine höhere Auflösung der Gehirnstruktur als bisherige Verfahren liefern und zusätzliche Informationen über den Stoffwechsel im Gehirn geben. Das sind die Hochfeld-7-Tesla-Magnetresonanztomographie und die Positronen- Emissions-Tomographie (PET). Bereits heute werden einige Biomarker eingesetzt, wie die Tauproteine und die Abeta-Peptide, die anhand biochemischer Tests im Nervenwasser der Patienten, dem Liquor, nachgewiesen werden können. So kann schon sechs Jahre im Voraus von einer leichten kognitiven Störung auf den Beginn einer Alzheimer-Erkrankung geschlossen werden.
Das ist aber nur der Anfang eines Frühwarnsystems gegen Demenz, denn die liquorgestützte Methode ist für den Patienten mit einem klinischen Eingriff verbunden. Die DZNE-Forscher suchen daher nach Biomarkern, die im Blut nachgewiesen werden können. Gleichzeitig wollen sie die hochmodernen bildgebenden Verfahren nutzen, um strukturelle Veränderungen im Gehirn zukünftig zuverlässiger diagnostizieren zu können. „Dieser Forschungsbereich ist für das DZNE besonders wichtig, daher erforschen wir an mehreren Standorten solche Biomarker. Dazu benötigen wir die hochauflösende nicht-invasive MRT-Technik, denn nur sie gibt einen zuverlässigen Hinweis auf Veränderungen im Gehirn von Demenzpatienten“, so Prof. Dr. Pierluigi Nicotera, wissenschaftlicher Vorstand und Vorstandsvorsitzender vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen. Mit den neuen Methoden sollen Erkrankte in Vorstadien einer Demenz über einen längeren Zeitraum beobachtet werden. Die Ergebnisse werden die Forscherinnen und Forscher des DZNE nutzen, um neue vorbeugende Therapieansätze zu entwickeln. Getestet werden soll die Wirkung möglicher Arzneimittel, aber auch alternativer Methoden wie des Einflusses körperlicher und mentaler Fitness auf die Entwicklung einer Demenz. Letztlich wollen die Forscher neurodegenerative Erkrankungen mehrere Jahre hinauszögern und langfristig das Eintreten der Demenz ganz verhindern.
Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) will die Ursachen und Risikofaktoren, die eine Neurodegeneration vorbestimmen, verstehen und neue Diagnosemethoden sowie Therapie- und Pflegestrategien entwickeln. Es ist das erste außeruniversitäre Zentrum, das mit dem Auftrag gegründet wurde, eng mit Universitäten und Universitätskliniken zu kooperieren. Im DZNE forschen Experten an den Standorten in Bonn, Tübingen, München, Rostock/Greifswald, Göttingen, Magdeburg und Witten sowie beim Kooperationspartner in Dresden. Das DZNE wird zu 90 Prozent vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und zu zehn Prozent von den jeweiligen Bundesländern mit einem DZNE-Standort gefördert.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Pierluigi Nicotera
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative
Erkrankungen e. V. (DZNE)
Ludwig-Erhard-Allee 2
53175 Bonn
Tel.: 0228 43302-260
Fax: 0228 43302-279
E-Mail: information@dzne.de
Prof. Dr. Wolfgang Maier
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Universitätsklinikum Bonn
Sigmund-Freud-Straße 25
53105 Bonn
Tel.: 0228 287-15723
Fax: 0228 287-16097
E-Mail: Wolfgang.Maier@ukb.uni-bonn.de