November 2017

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Frühzeichen von Alzheimer im Nervenwasser

Eine zuverlässige und frühe Diagnose ist wichtig, um Alzheimer besser behandeln zu können. DZNE-Forscherinnen und -Forscher entdeckten im Nervenwasser einen Eiweißstoff, der noch vor dem Auftreten erster Symptome auf die Krankheit hinweisen könnte.

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In Deutschland leben mehr als 1,5 Millionen Menschen mit einer Demenz. Viele von ihnen sind von Alzheimer betroffen. Diese neurodegenerative Erkrankung schädigt Zellen des Gehirns und lässt sie nach und nach absterben – ein schleichender Vorgang, der über Jahre unbemerkt bleiben kann. Ursache dafür ist die enorme Anpassungsfähigkeit des menschlichen Gehirns: Es kann den Verlust von Nervenzellen in einem gewissen Maße ausgleichen. Erst wenn solche Ausfälle überhandnehmen, machen sich Gedächtnisprobleme oder andere Auffälligkeiten bemerkbar, die für Alzheimer typisch sind. Gehen die Betroffenen dann zum Arzt, hat die Erkrankung bereits umfangreiche Zerstörungen angerichtet. „Alzheimer wird viel zu spät erkannt, um noch eine effiziente Therapie zu ermöglichen. Wir benötigen dringend eine zuverlässige Frühdiagnostik“, sagt Prof. Dr. Christian Haass vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in München. „Zwar ist Alzheimer bislang nicht heilbar. Aber eine Diagnose und Behandlung im Anfangsstadium würde die Chancen verbessern, auf die Erkrankung effektiver und insbesondere frühzeitiger einzuwirken, als es bislang möglich ist.“

Spuren im Nervenwasser

Schon im Anfangsstadium einer Alzheimer-Erkrankung wird das Immunsystem des Gehirns aktiv.

Schon im Anfangsstadium einer Alzheimer-Erkrankung wird das Immunsystem des Gehirns aktiv.

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Eine Analyse des Nervenwassers könnte dafür möglicherweise wichtige Hinweise liefern. In dieser Körperflüssigkeit – sie umspült Gehirn und Rückenmark und kann über einen Einstich im Bereich der Lendenwirbel entnommen werden – entdeckte Haass gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen nun Vorboten einer Alzheimer-Erkrankung. An der Studie war auch eine Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Michael Ewers vom Institut für Schlaganfall und Demenzforschung (ISD) am Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) beteiligt.

Die Untersuchungen fanden im Rahmen einer internationalen Forschungsinitiative statt: dem Dominantly Inherited Alzheimer Network (DIAN). In deren Fokus steht die vererbte, auch „familiär“ genannte Form der Alzheimer-Erkrankung. Davon betroffene Personen weisen in ihrem Erbgut bestimmte Gendefekte auf, die eine Alzheimer-Demenz früher oder später auslösen. Im Allgemeinen geschieht dies zwischen dem 40. und 60. Lebensjahr. „In einzelnen Familien lässt sich der Zeitpunkt sehr genau vorhersagen. Denn erfahrungsgemäß treten die Symptome in ähnlichem Alter auf wie bei bereits erkrankten Verwandten“, so Haass.

Die Münchner Forschenden untersuchten rund 130 Personen mit einer erblichen Veranlagung für Alzheimer. Zu diesem Zeitpunkt zeigte die Mehrheit keine Anzeichen einer Demenz oder allenfalls geringe kognitive Beeinträchtigungen. Doch im Nervenwasser gab es Auffälligkeiten: Bereits rund fünf Jahre vor dem erwarteten Ausbruch von Alzheimer-Symptomen stieg der Pegel des Eiweißstoffes TREM2.

Auffällige Immunreaktion

Dieses Protein wird von Fresszellen des Gehirns abgesondert: den „Mikroglia“. Sie zählen zum Immunsystem und tragen dazu bei, das Gehirn funktionsfähig zu halten – zum Beispiel, indem sie zelluläre Abfallprodukte aus dem Weg räumen. „In den letzten Jahren hat sich herausgestellt, dass die Alzheimer-Erkrankung mit einer Entzündung des Gehirns einhergeht, welche die Nervenzellen beschädigt und somit die Krankheitsentwicklung beeinflusst. Unsere Ergebnisse belegen, dass solche Immunreaktionen bereits im Frühstadium einsetzen“, erläutert Haass. Der erhöhte TREM2-Pegel deute darauf hin, dass bei der erblichen Alzheimer-Variante die Fresszellen des Gehirns aktiv werden, lange bevor die Erkrankung offensichtlich wird. Außerdem fanden Haass und sein Team heraus, dass auch bei Menschen, die an der weitaus häufigeren „sporadisch“ genannten Form der Alzheimer-Demenz erkranken, die Konzentration des TREM2-Proteins zu einem sehr frühen Zeitpunkt ansteigt.

Möglicher Biomarker

Angesichts dessen sieht Haass in der Erfassung des TREM2-Werts breites Potenzial für Anwendungen. Die Konzentration des Eiweißstoffes könnte demnach ein „Biomarker“ sein – eine Messgröße, die Auskunft darüber gibt, ob im Gehirn Immunreaktionen stattfinden. „Der TREM2-Wert ist ein Marker für den Aktivierungszustand der Mikroglia. Informationen darüber könnten in die Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung einfließen“, so der Neurowissenschaftler. Vor allem aber könnte der TREM2-Wert als therapeutischer Marker geeignet sein. Haass: „Anhand der TREM2-Konzentration lässt sich möglicherweise die Entwicklung von Immunreaktionen überwachen und daran wiederum ablesen, ob eine Behandlung anschlägt oder nicht.“

Ansatzpunkt für künftige Medikamente

Möglichkeiten für die Therapie sieht der DZNE-Forscher auch in der Reaktion der Mikroglia. Es gebe Hinweise dafür, dass diese Immunreaktion den Verlauf der Erkrankung bremsen kann – im Zuge der Erkrankung jedoch nachlässt. Haass: „Wir arbeiten daher an Wirkstoffen, um die Aktivität der Fresszellen zu erhöhen. Denn sie attackieren schädliche Proteine, die sich bei einer Alzheimer-Erkrankung rund um die Nervenzellen ansammeln.“

Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE)

Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) erforscht die Ursachen von Störungen des Nervensystems und entwickelt Strategien zur Prävention, Therapie und Pflege. Es bündelt exzellente, über Deutschland verteilte Expertise innerhalb einer einzigen Forschungseinrichtung und umfasst die neun Standorte Berlin, Bonn, Dresden, Göttingen, Magdeburg, München, Rostock/Greifswald, Tübingen und Witten.

Das DZNE kooperiert eng mit Universitäten, deren Kliniken und außeruniversitären Einrichtungen. Es ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren und gleichzeitig eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zur Bekämpfung der wichtigsten Volkskrankheiten eingerichtet wurden. Das Zentrum wird vom BMBF und Bundesländern gefördert, in denen die Standorte des DZNE angesiedelt sind. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter www.dzne.de und auf Facebook unter www.dzne.de/facebook.

Ansprechpartner: 
Prof. Dr. Christian Haass
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Feodor-Lynen-Straße 17
81377 München
christian.haass@dzne.deundefined

Pressekontakt:
Dr. Marcus Neitzert
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Stabsstelle Kommunikation
Sigmund-Freud-Straße 27
53127 Bonn
marcus.neitzert@dzne.de