Fünfzig auf einen Streich! - Neue Methode findet Gendefekte kostengünstig, schnell und zuverlässig

Allein in Deutschland leiden mindestens 200.000 Menschen an einer erblichen Erkrankung des Herzmuskels, einer Kardiomyopathie. Derzeit sind mehr als 50 Gene bekannt, die - sofern defekt - solche Herzmuskelerkrankungen verursachen oder deren Verlauf ungünstig beeinflussen. Kennt man die exakte genetische Ursache einer Kardiomyopathie, können Patientinnen und Patienten gezielter behandelt werden. Bislang war die Suche nach den Fehlern im Erbgut teuer und arbeitsintensiv. Nun haben Heidelberger Wissenschaftler die genetische Diagnostik von Herzpatienten revolutioniert. (Newsletter Nr. 52 / Juli 2011)

Bislang wird bei den meisten Patienten mit einer erblichen Kardiomyopathie gar nicht nach der genetischen Ursache gesucht. Denn bei jedem Kardiomyopathie-Patienten alle der über 50 derzeit bekannten genetischen Defekte zu untersuchen, ist mit den gängigen DNA-Sequenziermethoden kaum handhabbar. "Deshalb untersuchen die behandelnden Kardiologen in der Regel nur ein oder zwei der mehr als 50 Gene auf mögliche Defekte. Das kostet sehr viel - und bringt häufig keinen Treffer", sagt Dr. Benjamin Meder von der Uniklinik Heidelberg. "Es ist wie mit der Nadel im Heuhaufen. Viele Betroffene werden daher gar nicht genetisch untersucht." Das könnte sich nun ändern. Denn eine neue Methode, das "Targeted Next-Generation Sequencing", ermöglicht es, auf einen Streich, alle möglichen Defekte schnell, zuverlässig und kostengünstig zu untersuchen.  

 Untersucht wird nur die "interessante" DNA

Das Schlaue bei dem neuen Verfahren: Es werden in einem ersten Schritt nur die für die Kardiomyopathien relevanten Abschnitte der DNA angereichert. "Das macht bei 50 Krankheitsgenen insgesamt mehr als 1.000 Exone", so Dr. Meder. Diese Exone werden über maßgeschneiderte Sonden eingefangen und dann weiterverarbeitet. Der für die Diagnose uninteressante Bereich der DNA wird ausgewaschen. "Das spart viel Zeit und Geld", sagt Dr. Meder. Im nächsten Schritt erfolgt dann die eigentliche Next-Generation-Sequenzierung. Hierbei finden auf kleinstem Raum milliardenfach Sequenzierreaktionen gleichzeitig statt. Anschließend werden per Computer die Daten ausgewertet. "Pro Patient entsprechen die Daten in etwa der Informationen von einem gigantischen Buch mit 15.000 Seiten", vergleicht Biologe Jan Haas, Wissenschaftler im Team um Dr. Meder. "Mit dem von uns entwickelten Verfahren ist es nun möglich innerhalb kurzer Zeit - das heißt in etwa zwei Wochen - bei einem Bruchteil der Kosten, alle als krankheitsrelevant bekannten Gene zu untersuchen", betont Haas. In der Regel können die Wissenschaftler dabei die genetische Krankheitsursache in nur einem Testdurchlauf aufklären. Die Entwicklung des Verfahrens wurde im Rahmen des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN-Transfer) vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.  

Gleichzeitig stoßen die Wissenschaftler bei diesem Test auch auf bisher unbekannte Mutationen, die ebenfalls zu dem Krankheitsbild einer Kardiomyopathie beitragen können. "Funktionelle Untersuchungen dieser neuen Kandidatenmutationen werden langfristig zu einem besseren Verständnis von Kardiomyopathien führen", so Dr. Meder. Bislang wird der zweistufige Gencheck ausschließlich innerhalb von Studien in der Kardiologischen Abteilung der Universitätsklinik Heidelberg, Leiter Prof. Dr. Hugo A. Katus, angewendet.

"Zurzeit arbeiten wir daran, den Test so zu standardisieren, dass er Einzug in die klinische Routine findet." Wichtig sei besonders die Entwicklung von Softwarelösungen, um die enormen Datenmengen auszuwerten, relevante Informationen für das Krankheitsbild zu identifizieren und Befunde zu interpretieren. Damit der Test auch tatsächlich auf den Markt kommt, kooperieren die NGFN-Wissenschaftler intensiv mit der Industrie. Dr. Meder: "Begonnen haben wir unsere Forschung mit der Heidelberger Firma febit biomed GmbH. Wir sind sehr froh, dass wir mittlerweile mit großen Industriepartnern wie Siemens Healthcare gemeinsam an der Vision arbeiten, diese Technologie für eine breite klinische Anwendung zu etablieren."


Kardiomyopathien - nicht nur Spitzensportler sind betroffen
Mindestens 200.000 Menschen in Deutschland leiden an einer erblichen Kardiomyopathie. Hierbei ändert der Herzmuskel allmählich seine Struktur und verliert an Leistungsfähigkeit. Diese Veränderungen bleiben häufig lange Zeit unentdeckt, können jedoch zu Rhythmusstörungen und Herzversagen führen. Ohne Vorwarnung kann das Herz dann plötzlich stillstehen. Einige Beispiele dafür sind tragische Todesfälle von Leistungssportlern. Kardiomyopathien treten aber keinesfalls nur bei Leistungssportlern auf. Wichtig ist es, eine Kardiomyopathie frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.


Ansprechpartner:
Dr. Benjamin Meder
Abteilung für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie
Medizinische Universitätsklinik Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 350
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 56-8610
Fax: 06221 56-4866
E-Mail: benjamin.meder@med.uni-heidelberg.de