Ob als Schaufensterdeko, als Kinderkostüm oder als Fruchtgummi im Supermarktregal - Fledermäuse begegnen uns rund um das Fest Halloween fast täglich. Doch auch in natura könnten die fliegenden Säugetiere zukünftig Aufmerksamkeit erregen: als mögliche Quelle neuer Virusepidemien. (Newsletter 53 / September 2011)
Wenn Viren von Tieren auf den Menschen übertragen werden, kann es gefährlich werden: Ob Schweinegrippe, Vogelgrippe oder SARS - die Verursacher waren allesamt Viren, von denen zuvor ausschließlich Tiere infiziert wurden. Doch wie schaffen es diese eigentlich auf Tiere spezialisierten Erreger, plötzlich auch Menschen zu infizieren?
Es war im Jahr 2003 als urplötzlich eine schwere Infektionskrankheit weltweit eine Epidemie auslöste: SARS. Verursacht wurde das Schwere Akute Respiratorische Syndrom, kurz SARS, durch ein völlig neuartiges Virus aus der Familie der Coronaviren. Coronaviren sind eigentlich harmlose Erreger, die Erkältungen beim Menschen und auch eine Reihe von Tierkrankheiten hervorrufen. Besonders häufig kommen Coronaviren in Fledermäusen vor, lösen dort aber keine Symptome aus. "Als Erreger einer schweren Atemwegsinfektion, die bis zu zehn Prozent aller Infizierten töten, waren diese Viren bis dahin noch nicht in Erscheinung getreten", erklärt Prof. Dr. Christian Drosten vom Institut für Virologie am Universitätsklinikum Bonn.
Die Infektionskrankheit SARS ist ein Prototyp für die sogenannten Zoonosen, zu denen auch die Vogelgrippe, Schweinegrippe oder Ebola gehören. Ihnen ist gemeinsam, dass ein auf Tiere spezialisierter Erreger plötzlich auch Menschen infiziert. Das Virus wechselt also den Wirt. Oft steht das humane Immunsystem der neuen Herausforderung mehr oder weniger machtlos gegenüber; entsprechend verheerend können Zoonosen wüten. Doch wie schaffen die Viren überhaupt diesen Sprung über die Artgrenze? Mit dieser Frage beschäftigt sich der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Forschungsverbund "Ökologie und Pathogenese von SARS". "Wenn wir es schaffen, den Prozess des Wirtswechsels zu verstehen, verbessert sich unser grundsätzliches Verständnis zur Entstehung neuartiger Epidemien", sagt Professor Drosten.
Mehrere Jahre nach der SARS-Epidemie wurde klar, dass die Bedeutung von Coronaviren sowohl bei Tieren als auch beim Menschen in der Vergangenheit unterschätzt wurde. "Neuere Untersuchungen deuten an, dass gerade Coronaviren - im Gegensatz zu vielen anderen Zoonose-Erregern wie Tollwut, Ebola- oder Lassaviren - nach einem Wirtswechsel ein ganz besonders hohes Potenzial haben, sich epidemisch auszubreiten", erklärt Professor Drosten. So hatte das gefährliche SARS-Virus aus dem Jahr 2003, im Gegensatz zu anderen menschlichen Coronaviren, die nur einfache Symptome einer Erkältung hervorrufen, einige Besonderheiten. Hier nur zwei Beispiele: Zum einen bewirkte das SARS-Virus, dass ein bestimmtes Protein, ACE2, das eigentlich unsere Lunge vor Schäden schützt, abgebaut wird. Zusätzlich fing das SARSVirus durch bestimmte Oberflächenproteine, sogenannte Spikes, Antikörper des menschlichen Immunsystems, die ihm gefährlich werden könnten, ab.
Auch in Zukunft könnte der Welt durchaus eine neue SARSEpidemie drohen: "Besonders in Fledermäusen existiert weltweit und auch in Europa ein enorm großes Reservoir an neuen Coronaviren, von denen neue SARS-Epidemien ausgehen könnten." Um einzuschätzen, wie gefährlich diese Coronaviren tatsächlich sind, versuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Risiko der Viren zu bewerten. Hierzu isolieren sie unterschiedliche Coronaviren von wildlebenden Fledermäusen aus der ganzen Welt, zum Beispiel aus Ghana und Brasilien, und untersuchen, ob die Erreger neben Zellen der Fledermaus auch andere Säugetierzellen oder gar menschliche Zellen befallen können. "Hierbei untersuchen wir zum Beispiel, wie stark sich ein Virus genetisch verändern müsste, um tatsächlich menschliche Zellen zu befallen", erklärt Professor Drosten. Mit dieser Risikoeinschätzung können die Wissenschaftler zukünftig vorhersagen, welche Viren mit hoher Wahrscheinlichkeit eine neue Epidemie auslösen könnten. "Im Gegenzug bedeutet dies aber auch, dass wir unnötige und irreführende Meldungen über drohende Epidemien verhindern und frühzeitig Entwarnung geben können, wenn ein Virus nach unserer Risikoeinschätzung eher ungefährlich ist", so der Experte.
Um den Wirt zu wechseln, muss ein Virus mindestens zwei Hürden nehmen. Zum einen muss das tierische Virus in menschliche Zellen eindringen. "Wir gehen der Frage nach, was passieren muss, damit ein Virus mit seinen Oberflächenproteinen an die Zellrezeptoren im Menschen andockt - obwohl dies ja eigentlich nur in seinem Wirtstier funktionieren sollte", erklärt Professor Drosten. Eine weitere wichtige Barriere bei einem viralen Wirtswechsel ist meist das Immunsystem, das unseren Körper vor unerwünschten Eindringlingen schützt. Hier haben die Wissenschaftler bereits zwei Virusproteine identifiziert, mit denen sich die Viren vor dem menschlichen Immunsystem schützen. Andere Untersuchungen des BMBF-Forschungsverbundes haben ergeben, dass möglicherweise zwei seit langer Zeit zugelassene Immunsuppressiva, Cyclosporin A und Tracrolimus, eine neue generelle Therapieoption gegen Coronaviren darstellen könnten. "Derzeit testen wir, gegen welche Coronaviren diese Medikamente wirken", so Professor Drosten.
Forschung gegen Zoonosen
Schweinegrippe, SARS und jetzt der EHEC-Erreger: Die Gefahr des Auftretens wechselnder und auch neuartiger Erreger erfordert eine krankheitsübergreifende Erforschung und inhaltlich wie methodisch breite wissenschaftliche Ansätze. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV) und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) haben deshalb bereits im März 2006 eine Forschungsvereinbarung zu von Tieren auf Menschen übertragbaren Krankheiten (Zoonosen) abgeschlossen. Dafür wurden Fördermittel in Höhe von 60 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Ziel ist es, Prävention, Diagnose und Therapie der von Tieren auf Menschen übertragbaren Infektionskrankheiten langfristig zu verbessern. Zur besseren Koordinierung und Vernetzung aller beteiligten Akteure und aller Forschungsprojekte wurde 2009 die Nationale Forschungsplattform für Zoonosen (www.zoonosen.net) etabliert. Im Rahmen der Forschungsvereinbarung Zoonosen fördert das BMBF auch konkrete Forschungsprojekte. Von 2007 bis 2010 wurden Forschungsverbünde zu zoonotischen Erkrankungen mit 24,6 Millionen Euro gefördert, bis 2013 werden ca. 28 Millionen Euro bereitgestellt.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Christian Drosten
Institut für Virologie
Universitätsklinikum Bonn
Sigmund Freud Str. 25
53105 Bonn
Tel.: 0228 287-11055
Fax: 0228 287-19144
E-Mail: drosten@virology-bonn.de