Einzelne Genveränderungen können schwere Autoimmunerkrankungen hervorrufen, die mehrere Organe gleichzeitig angreifen. Ansatzpunkte für neue und bessere Therapien suchen Forschungsteams im Verbund GAIN, den das BMBF 2019 auf den Weg gebracht hat.
Manchmal genügt ein einziger veränderter Baustein im menschlichen Erbgut, und das körpereigene Immunsystem greift gleich mehrere der eigenen Organe an. Damit können schwere Entzündungen des Darms, der Lunge, der Niere, der Haut und des zentralen Nervensystems einhergehen, die im Einzelfall lebensbedrohlich sein können. Für die Betroffenen ist eine frühzeitige Diagnose und gezielte Therapie deshalb besonders wichtig. Diese Multi-Organ-Autoimmunerkrankungen sind allerdings extrem selten, und auch wegen des komplexen Krankheitsbildes kann es lange dauern, bis Patientinnen und Patienten die richtige Diagnose erhalten – oft erst nach Besuchen bei mehreren Facharztpraxen und einer jahrelangen Odyssee.
„Wir wollen diese Krankheiten besser verstehen und Behandlungsprotokolle oder Leitlinien zur Therapie der betroffenen Patientinnen und Patienten entwickeln“, beschreibt Professor Dr. Bodo Grimbacher das Ziel seiner Arbeit. Grimbacher forscht am Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI) am Universitätsklinikum Freiburg und leitet den Forschungsverbund GAIN (German multi-organ Auto-Immunity Network), den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit Mai 2019 für zunächst drei Jahre mit rund drei Millionen Euro fördert.
Auf der Suche nach Schutz- und Risikofaktoren
Die Forschung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass Multi-Organ-Autoimmunerkrankungen durch Mutationen in einem einzigen Gen verursacht werden können. „Nicht alle Mutationsträger aber werden krank, und selbst wenn sie krank werden, sind nicht immer dieselben Organe betroffen“, so Grimbacher. Einige Betroffene bleiben seinen Angaben zufolge während ihres gesamten Lebens vergleichsweise gesund, obwohl sie die gleiche krankheitsverursachende Mutation tragen wie ihre zum Beispiel schon im Kindesalter verstorbenen Verwandten. Was sind Schutz- und was Risikofaktoren? Und wo finden sich diese Faktoren: im Erbgut oder auch in Umwelteinflüssen wie Ernährung oder Stress? Das sind die Fragen, denen der GAIN-Verbund nachgeht.
Zum GAIN-Verbund gehören sowohl Medizinerinnen und Mediziner als auch Forschende der Universitätskliniken Freiburg, Hannover, Kiel und München. An diesen Standorten befassen sich insgesamt sieben Teams mit molekularen und zellulären Mechanismen von komplexen Autoimmunerkrankungen. Sie suchen nach den Risiko- und Schutzfaktoren und beleuchten unter anderem die Rolle der Plasmazellen, die für die Produktion der Antikörper zuständig sind, bei der Krankheitsentstehung.
Aufbau eines Patientenregisters soll bessere Behandlung ermöglichen
Einer der ersten Schritte auf dem Weg zu einer besseren Behandlung ist der Aufbau eines Patientenregisters, das sich auf eine gemeinsam verwaltete Biomaterialienbank stützt. Dazu werten die Forschungsteams (Blut-)Proben von Betroffenen aus und dokumentieren neben den genetischen und klinischen Daten auch Informationen zur bislang erfolgten Behandlung. Bislang nämlich liegen keine detaillierten Daten vor, wie viele Menschen in Deutschland an diesen Seltenen Erkrankungen leiden − als „selten“ gelten Erkrankungen dann, wenn sie nicht mehr als fünf von 10.000 Menschen betreffen.
Ein wichtiges Ziel von GAIN ist es zudem, ein auf europäischer Ebene bereits bestehendes Register der European Society for Primary Immunodeficiencies (ESID) weiterzuentwickeln. Das ESID-Register bietet die technische Plattform des GAIN-Patientenregisters. Aktuell werden sogenannte „Level 1“-Basis-Datensätze der GAIN-Patientinnen und -Patienten über das ESID-Register erhoben. Ein „Level 2“-Datensatz zur Beantwortung spezifischer klinischer Fragen für Menschen mit komplexen Autoimmunerkrankungen ist in Programmierung und soll zum Jahresende zur Verfügung stehen. Künftig soll die Datenbank über ein von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten geführtes Register hinausgehen und gesundheitsrelevante Angaben von Patientinnen und Patienten zu ihrer Lebensqualität enthalten.
Kleine Veränderung, große Folgen
CTLA4 ist ein Oberflächenmolekül, das die T-Zellen des Immunsystems hemmt. Ist das Gen für CTLA4 verändert, kommt es zu einem Defekt des CTLA4-Moleküls und die Hemmung des Immunsystems funktioniert nicht. Menschen mit einem solchen Gendefekt entwickeln eine sogenannte CTLA4-Haploinsuffizienz: Das ist ein komplexes Krankheitsbild mit Entzündungen der Lunge, des Darms, des zentralen Nervensystems, der Niere und der Leber sowie häufigen Atemwegsinfekten.
LRBA ist ein Eiweiß, das die Menge der CTLA4-Moleküle auf der Oberfläche der T-Zellen reguliert. Für Menschen mit LRBA-Defizienz stellt jeder Erreger ein Risiko dar: Immer wieder erkranken sie an Atemwegsinfekten. Aber auch Blutarmut, Erkrankungen der Blutplättchen, entzündliche Darmerkrankungen sowie Diabetes und Arthritis sind Anzeichen dieser Erkrankung.
Studie prüft Sicherheit und Wirksamkeit einer medikamentösen Behandlung
Anhand des Patientenregisters wollen die GAIN-Forschenden Teilnehmende für eine klinische Studie rekrutieren. Mit ihr soll geklärt werden, ob Abatacept, ein Wirkstoff zur Hemmung des überaktivierten Immunsystems, sicher und wirksam bei der Behandlung von Multi-Organ-Autoimmunerkrankungen helfen kann. Diese Studie mit dem Kürzel ABACHAI ist im Juli gestartet.
In der ABACHAI-Studie sollen 20 Patientinnen und Patienten mit zwei besonders seltenen Immundefekten zwölf Monate lang mit Abatacept behandelt werden, wobei die Betroffenen sich das Medikament wöchentlich selbst unter die Haut spritzen. Im Fokus der Untersuchungen stehen die möglichen Nebenwirkungen des Medikaments, und hier vor allem eine erhöhte Anfälligkeit für neue Infektionen und das Wiederauftreten bereits abgeklungener Infektionen beispielsweise durch Herpesviren wie das Zytomegalie- und das Epstein-Barr-Virus, der Erreger des Pfeifferschen Drüsenfiebers.
Um die Behandlungserfolge besser beurteilen und vergleichen zu können, haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein Punktesystem entwickelt, denn die klinischen Symptome können infolge der Medikation je nach betroffenem Organsystem stark variieren. Neben der Betrachtung von klinischen und Labordaten untersucht die Studie auch, wie sich die Behandlung mit Abatacept auf die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten auswirkt. Ihre Ergebnisse, so hoffen die Forschenden, werden patientenrelevante Aussagen zu einer möglicherweise neuen Therapieoption für diese Seltenen Erkrankungen ermöglichen. „Für uns Ärzte ist die Untersuchung solcher seltenen Störungen, die auf ein einzelnes Gen zurückzuführen sind, sehr lehrreich. Sie bieten uns die Chance, auch häufigere Autoimmunkrankheiten zu entschlüsseln, bei denen mehrere Gene gestört sind“, so Grimbacher.
German multi-organ Auto-Immunity Network (GAIN)
Zum Forschungsverbund GAIN gehören Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Ärztinnen und Ärzte der Universitätskliniken Freiburg, München, Kiel und Hannover; die Federführung liegt beim Freiburger Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert GAIN für zunächst drei Jahre mit rund drei Millionen Euro.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Bodo Grimbacher
Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI)
Universitätsklinikum Freiburg
Breisacher Straße 115
79106 Freiburg
0761 270-77731
bodo.grimbacher@uniklinik-freiburg.de
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