Oktober 2015

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Gentherapie als Chance für schwer herzkranke Neugeborene?

Wenn Babys von beiden Elternteilen ein bestimmtes defektes Gen erben, erkrankt ihr Herz unmittelbar nach der Geburt sehr schwer. Forscherinnen und Forscher des Deutschen Zentrums für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) testeten eine Gentherapie erfolgreich an Mäusen.

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Angeborene Herzfehler gehören zu den häufigsten Fehlbildungen bei Neugeborenen. Bei der sehr seltenen Neugeborenen-Kardiomyopathie ist das Herz scheinbar normal ausgebildet, der Herzmuskel arbeitet aber dennoch nicht richtig. Erst seit Kurzem kennt man die Ursachen dieser dramatisch verlaufenden Krankheit: Es sind meist veränderte − mutierte − Gene, welche die Bauanleitung für Proteine des Sarkomers tragen. Ein Sarkomer ist dabei die kleinste funktionelle Einheit unserer Muskeln. Es misst nur ein tausendstel Millimeter und ist mit dem bloßen Auge nicht sichtbar. Sein Bauplan findet sich aber als Grundlage für jede Muskulatur, auch die des Herzens. Seine Proteine bilden somit den molekularen Motor der Herzzellen. Die veränderten Gene bewirken, dass die Herzzellen nicht genug Kraft entwickeln können, sich verdicken und unsymmetrisch wachsen. Die Babys sterben noch im ersten Lebensjahr an einer schweren Herzschwäche. Eins von 100.000 Babys ist von einer Neugeborenen-Kardiomyopathie betroffen.

Seltene und häufige Herzerkrankung haben eine gemeinsame Ursache

Schätzungen zufolge ist eins von 100.000 Babys von der seltenen Neugeborenen-Kardiomyopathie betroffen.

Schätzungen zufolge ist eins von 100.000 Babys von der seltenen Neugeborenen-Kardiomyopathie betroffen.

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Neue Studien haben nun einen Zusammenhang zwischen der Neugeborenen-Kardiomyopathie und der häufigsten angeborenen Herzerkrankung, der hypertrophischen Kardiomyopathie (HCM) gefunden. An den Studien war auch Professorin Dr. Lucie Carrier vom Institut für Experimentelle Pharmakologie und Toxikologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, einer Partnereinrichtung des DZHK, be-teiligt.

Dass für die HCM ebenfalls Gene des Sarkomers verantwortlich sind, ist schon länger bekannt. Am häufigsten betroffen ist das Gen für das kardiale Myosin-bindende Protein C (MYBPC3) – ein molekularer Bestandteil des Sarkomers. Etwa jeder Fünfhundertste kommt mit einem solchen oder vergleichbaren Gendefekt zur Welt. Im Laufe des Lebens verdicken sich dann die Herzwände, was aber häufig keine Symptome verursacht und oft von den Betroffenen gar nicht bemerkt wird. Ist der Gendefekt ausgeprägter, verengt sich der Ausfluss des Herzens in der Hauptschlagader, es kommt zu Atemnot und Herzschwäche. Die HCM ist aber vor allem einer der häufigsten Gründe für den plötzlichen Herztod bei jungen Erwachsenen, insbesondere bei Athleten unter körperlicher Belastung.

Sind zwei Allele betroffen, verläuft die Krankheit dramatisch

Warum aber führen Mutationen in denselben Genen relativ häufig zur HCM und nur sehr selten zur Neugeborenen-Kardiomyopathie? „Obwohl die Antwort eigentlich auf der Hand liegt, kennen wir sie erst seit Kurzem“, sagt Carrier. Im Körper gibt es fast alle Gene doppelt, man nennt sie „Allele“. Fällt ein Allel wegen einer Mutation aus, kann das gesunde Allel noch bis zu 75 Prozent des benötigten Proteins herstellen. Bei der HCM ist nur ein Allel betroffen, und deshalb ist der funktionelle Defekt im Herzmuskel nicht so stark.

Bei der Neugeborenen-Kardiomyopathie hingegen sind beide oder zwei unabhängige Allele in verschiedenen Sarkomer-Genen betroffen. Die Herzzellen der betroffenen Babys können dann überhaupt kein gesundes Protein mehr produzieren. Da etwa bei jedem fünfhundertsten Menschen eines der Gene verändert ist, die für die Funktion der Sarkomere nötig sind, und dies weitervererbt werden kann, ergibt sich eine Wahrscheinlichkeit von etwa 1:250.000 für die Neugeborenen-Kardiomyopathie (1:500 mal 1:500 ist gleich 1:250.000) . „Das stimmt recht gut mit der geschätzten Häufigkeit der seltenen Erkrankung überein“, erklärt Carrier.

Die defekten Gene haben bei der HCM und bei der Neugeborenen-Kardiomyopathie die gleichen Effekte: Intakte Sarkomer-Proteine fehlen und falsch zusammengebaute Proteine können der Zelle schaden. Carriers Team stellte nun folgende Hypothese auf: Könnte man bei Neugeborenen den Bauplan für das korrekte Protein zu einem sehr frühen Zeitpunkt, also kurz nach der Geburt, in die Herzmuskelzellen einschleusen? Dann müssten die Zellen der Theorie nach das gesunde Protein produzieren und sich normal entwickeln. Die Krankheit könnte also mit einer Gentherapie gestoppt werden.

Gentherapie heilt kranke Mäuseherzen dauerhaft

Bei Mäusen funktioniert die Gentherapie: Sie schützt die Tiere vor der Neugeborenen-Kardiomyopathie. Nun sollen weitere Untersuchungen zeigen, ob die Behandlung auch für den Menschen geeignet sein könnte.

Bei Mäusen funktioniert die Gentherapie: Sie schützt die Tiere vor der Neugeborenen-Kardiomyopathie. Nun sollen weitere Untersuchungen zeigen, ob die Behandlung auch für den Menschen geeignet sein könnte.

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Diese These überprüften sie an Mäusen mit einer künstlich erzeugten Neugeborenen-Kardiomyopathie. Die Tiere hatten in beiden Allelen eine beim Menschen häufig vorkommende Punktmutation für das MYBPC3-Gen. Die Forscherinnen und Forscher wählten eine Art der Gentherapie, bei der das intakte Gen nicht in das Genom der Zelle eingebaut wird, sondern als winzige ringförmige DNA-Struktur im Zellkern zirkuliert. Herzzellen eignen sich besonders für diese Form der Gentherapie, weil sie sich ein Leben lang nicht mehr teilen. Bei Zellen, die sich teilen, wie etwa den blutbildenden Zellen des Knochenmarks, funktioniert eine Gentherapie nur dann dauerhaft, wenn das Gen in das Chromosom eingebaut wird, denn nur so wird es bei der Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben.

Therapierte Herzen unterscheiden sich kaum von gesunden Herzen

Carriers Team verpackte das MYBPC3-Gen in einen rekombinanten Adenoviren-assoziierten Vektor Serotyp 9 (AAV9). Dabei handelt es sich um eine ungefährliche Virushülle, welche vor allem in das Herzgewebe eindringt. Die erkrankten Mäuse erhielten an ihrem ersten Lebenstag eine einmalige Dosis des therapeutischen Gens. In einem Zeitraum bis 34 Wochen nach der Behandlung untersuchte das DZHK-Forschungsteam Form und Pumpeigenschaften der Mäuseherzen. „Tatsächlich unterschieden sich diese kaum noch von gesunden Herzen“, erklärt Carrier. Außerdem produzierten die Herzmuskelzellen rund zwei Drittel des richtigen Proteins, ohne Behandlung waren es nur zehn Prozent. Der Vektor hatte also die therapeutischen Gene in den Zellkern geschleust, wo sie wie winzige Proteinfabriken das gesunde Protein herstellten. Carrier: „Erstaunlicherweise produzierten die Herzmuskelzellen jetzt auch weniger krankes Protein. Welcher Mechanismus dem zugrunde liegt, ist bislang aber noch unklar.“

Gene betroffener Neugeborener sollen untersucht werden

Das Team um Professorin Lucie Carrier hat eine Gentherapie entwickelt, die Babys mit der seltenen Neugeborenen-Kardiomyopathie heilen könnte.

Das Team um Professorin Lucie Carrier hat eine Gentherapie entwickelt, die Babys mit der seltenen Neugeborenen-Kardiomyopathie heilen könnte.

DZHK

„Wir haben einen Weg gefunden, wie in Mäuseherzen dauerhaft ein gesundes Protein hergestellt werden kann. Jetzt wollen wir versuchen, das auf den Menschen zu übertragen“, sagt Lucie Carrier. Im Rahmen des DZHK wollen die Forscherinnen und Forscher die Therapie nun an Schweinen testen, der letzte Schritt vor der Klinik. Bei den Schweinen muss zuvor eine Neugeborenen-Kardiomyopathie durch MYBPC3 Mutationen erzeugt werden, womit die Forscher ebenfalls Neuland betreten. Das DZHK hat extra für solche wichtigen Schritte der Übertragung von präklinischen Forschungsergebnissen in die Praxis ein Förderprogramm aufgelegt, in dem auch das Projekt von Carrier gefördert wird. „Sollte unsere Therapie bei Schweinen ähnlich erfolgreich sein wie bei Mäusen, kann sie vielleicht in absehbarer Zeit zu den kleinen Patienten gelangen, die bislang außer durch eine Herztransplantation kaum eine Überlebenschance haben“, hofft Carrier.

Die MYBPC3-Mutationen in den Mäusen dienten den Forschern lediglich als Modell, um die Krankheit zu simulieren. Um herauszufinden, welche Gene bei betroffenen Neugeborenen konkret verändert sind, startet Carriers Team demnächst ein Projekt mit dem Kompetenznetz für Angeborene Herzfehler. Ziel ist es, die wenigen betroffenen Neugeborenen in Deutschland zu identifizieren und jeweils die genauen zugrunde liegenden Gendefekte zu ermitteln. „Diese können bei jedem Kind ein wenig anders aussehen, und je nachdem, welches Protein fehlt, müsste die Gentherapie angepasst werden“, erklärt Carrier.

Originalarbeit:
Mybpc3 Gene Therapy for Neonatal Cardiomyopathy Enables Long-Term Disease Prevention in Mice. Mearini, G., Stimpel, D., Geertz, B., Weinberger, F., Kramer, E., Schlossarek, S., Mourot-Filiatre, J., Stoehr, A., Dutsch, A., Wijnker, P. J., Braren, I., Katus, H. A., Muller, O. J., Voit, T., Eschenhagen, T. & Carrier, L. Nature communications 5, 5515, (2014)

Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung

Im Deutschen Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung, kurz DZHK, bündeln 28 universitäre und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen an sieben Standorten in ganz Deutschland ihre Kräfte, indem sie eine gemeinsame Forschungsstrategie verfolgen. Das vom Bundesforschungsministerium initiierte DZHK bietet ihnen einen Rahmen, um Forschungsideen gemeinsam, besser und schneller als bisher umsetzen zu können. Wichtigstes Ziel des DZHK ist es, neue Forschungsergebnisse möglichst schnell für alle Patientinnen und Patienten verfügbar zu machen und Therapien sowie die Diagnostik und Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu verbessern. Neben dem DZHK gibt es fünf weitere Deutsche Zentren, welche die wichtigsten Volkskrankheiten erforschen.

Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Lucie Carrier
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE),
Institut für Experimentelle und
Klinische Pharmakologie
Martinistraße 52
20246 Hamburg
040 7410-52180/53304
040 7410-59757
l.carrier@uke.uni-hamburg.de

Pressekontakt:
Christine Vollgraf
Deutsches Zentrum für
Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK)
Pressestelle
Oudenarder Straße 16
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christine.vollgraf@dzhk.de