10.02.2021

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Handlungsempfehlungen für die Krebsversorgung in Corona-Zeiten

Die Corona-Pandemie hat Auswirkungen auch auf die Versorgung krebskranker Menschen. Angesichts begrenzter Ressourcen braucht es medizinethisch begründete Entscheidungshilfen für den Versorgungsalltag, wie sie im Verbundprojekt OnCoVID erarbeitet werden.

Patient sitzt auf Krankenbett

Viele Menschen mit einer Krebserkrankung sind besorgt, dass ihre Therapie während der Corona-Pandemie beeinträchtigt werden könnte.

lightpoet/Adobe

Die zweite Welle der Corona-Pandemie bringt die Klinken in Deutschland an ihre Belastungsgrenze; zu Beginn des Jahres war die medizinische Versorgung vielerorts nur eingeschränkt möglich. Dies löst Sorgen und Ängste aus – auch bei Krebspatientinnen und -patienten, von denen viele aufgrund ihres geschwächten Immunsystems zu den besonderen Risikogruppen für einen schweren Verlauf einer COVID-19-Erkrankung zählen.

Auch Experten fürchten, dass die Corona-Pandemie zur Folge haben könnte, dass Termine zur Krebsdiagnose, onkologische Eingriffe und die Krebsnachsorge verschoben oder stark reduziert werden. Dies nimmt das Projekt OnCoVID in den Blick, ein Verbundvorhaben im Rahmen des ELSA-Förderschwerpunkts des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Forschende der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) und der Leibniz Universität Hannover wollen eine Checkliste für das Management der Krebsversorgung erarbeiten und Ärztinnen und Ärzten medizinethisch begründete Entscheidungshilfen für den Versorgungsalltag an die Hand geben.

Schwierige Abwägung angesichts stark belasteter Ressourcen

Jede Krebspatientin und jeder Krebspatient ist auf eine individuelle Versorgung angewiesen, denn Krankheitsverläufe und Therapieverfahren können sich je nach Tumorart stark voneinander unterscheiden. Die Frage, ob Therapien verschoben werden sollten oder können, ist deshalb nicht pauschal zu beantworten. „Viele Mediziner stehen aktuell vor einer schwierigen Abwägung – angesichts begrenzter Ressourcen müssen sie Prioritäten bei der Behandlung von Krebskranken setzen, die sich direkt auf klinische Entscheidungsprozesse auswirken“, erläutert Prof. Dr. Jörg Haier, der Leiter des Vorhabens. „Diese Komplexität in der Krebsversorgung wirft in besonderer Weise ethische, medizinrechtliche und gesundheitsökonomische Fragen auf.“ Überlegungen zu solchen Aspekten seien während der Pandemie vor allem für die Intensiv- und Notfallversorgung angestellt worden, so Haier. In der Krebsversorgung fehle es bislang an Richtlinien, in die die Perspektive von Ärztinnen und Ärzten sowie Pflegenden als auch aktuelle Daten aus der onkologischen Versorgung eingeflossen seien.

Das Team um Haier verschickte deshalb zunächst Fragebögen an Vertreter dieser Berufsgruppen, ob Therapien an die pandemiebedingte Lage angepasst wurden, welche Faktoren möglicherweise zu einer veränderten Risikobewertung beigetragen haben und welche Entscheidungskonflikte dabei auftraten. Zusätzlich erhoben die Forschenden Angaben aus verschiedenen Quellen, um Veränderungen in der Krebsbehandlung auswerten zu können: aus klinischen Krebsregistern, Abrechnungsdaten, Leistungsdaten sowie Daten zur onkologiespezifischen Verfügbarkeit kritischer Ressourcen während der Pandemie. Ergänzt um Erkenntnisse und Leitlinien aus anderen Bereichen der medizinischen Versorgung sollen diese Daten in eine Checkliste für das Management zur onkologischen Behandlung einfließen.

In einer gesundheitlichen Notlage wie der Pandemie verändere sich aber auch der normative Rahmen für medizinische Behandlungen ganz dramatisch, sagt Prof. Dr. Nils Hoppe vom Centre for Ethics and Law in the Life Sciences (CELLS) der Universität Hannover, der ein Teilprojekt im Rahmen von OnCoVID betreut: „ Der Fokus verlagert sich von der patientenzentrierten Versorgung stark auf die öffentliche Gesundheit“. Diese Verschiebung werde analysiert und als Referenzrahmen für klinische Prozess- und Ressourcenentscheidungen in der Krebsbehandlung verwendet.

Die Forschenden wollen ihre Erkenntnisse in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlichen und einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen. Wichtigstes Ziel des Vorhabens ist die Entwicklung evidenzbasierter Handlungsempfehlungen und damit einer Orientierungshilfe, die zunächst in den beteiligten Versorgungseinrichtungen eingesetzt, aber auch auf andere Notfallsituationen übertragen werden soll.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung öffnete zu Beginn der SARS-CoV-2 Pandemie das Rapid Response Modul der „Richtlinie zur Förderung eines Nationalen Forschungsnetzes zoonotische Infektionskrankheiten“ für einen Förderaufruf zur Erforschung von COVID-19. Ab dem 3. März 2020 konnten Forschende Anträge stellen, um zum Verständnis des Virus und dessen Ausbreitung beizutragen sowie um therapeutische und diagnostische Ansätze gegen COVID-19 zu entwickeln und um ethische, rechtliche und sozio-ökonomische Implikationen (ELSA) im Zusammenhang mit der Pandemie zu erforschen.

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