Oktober 2019

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Hepatitis: eine unterschätzte Krankheit mit hoher Dunkelziffer

Die Virushepatitis wird oft erst spät erkannt – die Folgen sind Leberschäden und -krebs sowie weltweit jährlich 1,34 Millionen Todesfälle. Forschende des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) wollen Diagnostik, Behandlung und Prävention verbessern.

Hepatitis-B-Virionen (Viruspartikel) orange angefärbt; elektronenmikroskopische Aufnahme

Hepatitis-B-Virionen (Viruspartikel) orange angefärbt;
elektronenmikroskopische Aufnahme

CDC/Dr. Erskine Palmer

„Die Virushepatitis ist für mehr Todesfälle verantwortlich als HIV oder Tuberkulose“, betont Professorin Dr. Ulrike Protzer, Virologin an der Technischen Universität München und am Helmholtz Zentrum München. Sie koordiniert die Hepatitis-Forschung im DZIF. Von den fünf bekannten Hepatitis-Viren – gekennzeichnet mit den Buchstaben A bis E – sind Hepatitis-B- (HBV), -C- (HCV) und -D-Viren (HDV) die gefährlichsten. Sie können zu einer chronischen Erkrankung führen und sind langfristig für Leberzirrhose und Leberkrebs verantwortlich. „Das Virus kann lange im Körper sein, ohne dass Symptome auftauchen. Betroffene merken oft nichts von der Erkrankung, obwohl die Leber langsam kaputtgeht“, erklärt Protzer. Geschätzt wird eine Dunkelziffer von etwa 290 Millionen Menschen, die weltweit eine chronische Hepatitis haben, ohne es zu wissen.

„B“Aware − aufmerksam machen und aufklären

Protzer hat deshalb mit internationalen Kolleginnen und Kollegen die „B“Aware-Kampagne initiiert, die auf Hepatitis B aufmerksam machen soll. Sie zielt darauf, über Hepatitis zu informieren und so die Erkrankung bei mehr Betroffenen frühzeitiger erkennen und therapieren zu können. Im DZIF werden dafür neue Behandlungsstrategien entwickelt, denn die aktuellen Möglichkeiten bewirken nur, dass sich die Viren in den Leberzellen nicht weiter vermehren. Das Virus selber aber wird nicht eliminiert. Genau hier setzt die Forschung im DZIF an: Die Forscherinnen und Forscher wollen das körpereigene Immunsystem so aktivieren, dass es den Kampf mit den Viren aufnehmen kann.

Die Arbeit im Sicherheitslabor erfordert eine sinnvolle Schutzausrüstung sowie eine solide Ausbildung und Training.

Die Arbeit im Sicherheitslabor erfordert eine sinnvolle Schutzausrüstung
sowie eine solide Ausbildung und Training.

Neue Behandlungsstrategien für Hepatitis-B-Viren

Erstmals ist es im Tiermodell mit einer T-Zelltherapie gelungen, eine chronische Infektion mit dem Hepatitis-B-Virus zu besiegen. „Wir konnten zeigen, dass diese neue Technologie zu einer echten Heilung führen kann. Sie stellt eine ermutigende Lösung für die Behandlung der chronischen Infektion und den durch das Hepatitis-B-Virus ausgelösten Leberkrebs dar“, erklärt Protzer.

T-Zellen, eine Gruppe von weißen Blutkörperchen, sind Bestandteil des Immunsystems des Menschen. In chronisch infizierten Hepatitis-Patienten sind virus-spezifische T-Zellen entweder gar nicht zu finden, oder sie weisen eine niedrige Aktivität auf. „Damit liegt nahe, dieses Defizit durch spezifische T-Zellen auszugleichen“, erklärt Dr. Karin Wisskirchen, Erstautorin der aktuellen Studie und DZIF-Wissenschaftlerin am Helmholtz Zentrum München. Der Münchner Arbeitsgruppe um Wisskirchen gelang es gemeinsam mit den DZIF-Verbundpartnern aus Hamburg und Heidelberg, die genetische Information für Hepatitis-B-spezifische T-Zellrezeptoren zu isolieren und im Labor in die T-Zellen der kranken Tiere einzubringen. Das Ergebnis waren hochaktive Immunzellen, die das Virus eliminieren konnten.

Bisher konnten die manipulierten T-Zellen sich nur im Tiermodell beweisen. Bereits eine einmalige Gabe kontrollierte das Virus in der Leber. Die T-Zellen griffen nur infizierte Leberzellen an, schonten aber das gesunde Gewebe. Myrcludex B, ein experimenteller Arzneistoff, der ebenfalls im DZIF entwickelt wird, verhinderte dann, dass sich das Virus in den gesunden Leberzellen wieder ausbreiten konnte, sobald die T-Zellen nicht mehr zirkulierten. Die Infektion konnte ausheilen.

Das kleine Alphabet der Hepatitis

Die Viren, die zu einer Leberentzündung führen können, sind sehr unterschiedlich und müssen daher gesondert betrachtet werden.

Hepatitis A gilt als Reisekrankheit, die durch verunreinigtes Wasser oder Lebensmittel übertragen wird und häufig ohne Folgen ausheilen kann.

Hepatitis B ist die am weitesten verbreitete Infektionskrankheit, die durch Körpersäfte übertragen wird. Also durch ungeschützten Geschlechtsverkehr, Kontakt mit infiziertem Blut sowie von der Mutter auf ihr Kind. Sie geht vor allem bei Kindern häufig in eine chronische Form über, die schwere Leberschäden verursachen kann. Eine komplette Heilung ist derzeit noch nicht möglich, eine Kontrolle der Viruslast schon. Ein Impfstoff ist verfügbar.

Hepatitis C wird ebenfalls durch Körpersäfte übertragen. Eine Impfung existiert bisher nicht, aber eine Heilung ist seit 2014 mit neuen Medikamenten in den meisten Fällen möglich.

Hepatitis D ist die schwerste Form der chronischen Virushepatitis, da im Verlauf ein besonders hohes Risiko für Leberzirrhose und Leberkrebs besteht. Sie tritt nur im Zusammenhang mit Hepatitis B auf, sodass eine Hepatitis-B-Impfung auch schützt.

Hepatitis E wird meist durch infiziertes und unzureichend erhitztes Schweinefleisch übertragen. Bei Schwangeren und älteren Menschen werden schwere Verläufe beschrieben, die zum Tod führen können. Neben der Leberentzündung stehen oft neurologische Symptome im Vordergrund. In Europa gibt es bisher keine Impfung.

Per Impftherapie heilen

Einen Entwicklungsschritt weiter ist ein zweites Projekt, das Hepatitis-B-Kranken Hoffnung gibt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben im DZIF einen therapeutischen Impfstoff entwickelt, der spätestens 2020 an ersten Probanden getestet werden soll. Die Europäische Union unterstützt das Vorhaben mit zehn Millionen Euro. Auch diese therapeutische Impfung nutzt die Kräfte des Abwehrsystems.

Die neue Immuntherapie wirkt dabei doppelt: Zunächst bildet das Immunsystem wie bei einer herkömmlichen Impfung neutralisierende Antikörper gegen spezifische Hepatitis-B-Proteine und alarmiert die T-Zellen. Im zweiten Schritt wird die Bildung von spezifischen T-Zellen verstärkt, und diese töten die infizierten Leberzellen ab. In präklinischen Modellen war diese Impfung außerordentlich erfolgreich: „Der Ansatz ist geeignet, auch die versteckten Viren in den befallenen Zellen zu vernichten und damit die Krankheit zu heilen“, ist Protzer überzeugt. Für die klinische Studie an gesunden Probanden und später an Hepatitis-B-Patienten im DZIF-Verbund läuft aktuell unter strengen Vorgaben die Impfstoffproduktion.

Hepatitis-Forschung am DZIF

Hepatitis B, C, D und auch E stehen im Mittelpunkt der Forschung. Ein Erfolgsprojekt für Hepatitis D ist das bereits erwähnte Myrcludex B, das den Eintritt von Hepatitis-B- und -D-Viren in menschliche Leberzellen verhindern kann.

Medizinische Doktoranden sind aktiv in die Forschung eingebunden.

Die Substanz befindet sich derzeit in einer Phase-III-Zulassungsstudie für die chronische Hepatitis D. Myrcludex B wurde von DZIF-Professor Stephan Urban am Universitätsklinikum Heidelberg entwickelt.

Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)

Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickeln bundesweit mehr als 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 35 Institutionen gemeinsam neue Ansätze zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten. Das DZIF ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung zur Bekämpfung der wichtigsten Volkskrankheiten ins Leben gerufen wurden. Mehr Informationen finden Sie unter www.dzif.de.

Ansprechpartnerin:

DZIF-Koordinatorin „Hepatitis“
Prof. Dr. Ulrike Protzer
Technische Universität München/Helmholtz Zentrum München
Trögerstraße 30
81675 München
089 4140-6821
089 4140-6823
protzer@tum.de

Pressekontakt:

DZIF-Pressestelle
Karola Neubert
05138 6181-1170
presse@dzif.de