Ende der täglichen Spritzen für Typ 1-Diabetiker in Sicht?
Insulin ist das einzige Medikament, mit dem sich Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) vom Typ 1 behandeln lässt.
Jahrelang wurde dieses Hormon hauptsächlich von Schweinen gewonnen. Mit dem Beginn der gentechnischen Herstellung menschlichen Insulins in den achtziger Jahren verlor die tierische Quelle jedoch zunehmend an Bedeutung. Jetzt ist es wiederum das Borstenvieh, das Typ 1-Diabetikern helfen könnte: als Spender von Insulin produzierenden Zellen aus der Bauchspeicheldrüse.
Blutzucker messen, Insulin spritzen, auf Ernährung und Bewegung achten – Typ 1-Diabetiker müssen sehr viel Selbstdisziplin aufbringen. Denn nur durch eine konsequente Behandlung lassen sich typische Folgeerkrankungen, zum Beispiel am Gefäßsystem und an den Nieren, verhindern.
Doch die herkömmliche Therapie kann noch so gut sein – sie erreicht nie die Perfektion eines gesunden Zuckerstoffwechsels. Ideal wäre für Typ 1-Diabetiker eine Behandlung, die den Körper wieder in die Lage versetzt, seinen Blutzuckerspiegel selbst zu regulieren. Das kann mit der Transplantation einer Bauchspeicheldrüse beziehungsweise von Insulin produzierenden Inselzellen aus diesem Organ erreicht werden.
Doch dabei gibt es Probleme: Es mangelt an menschlichen Spenderorganen, und das Immunsystem des Empfängers stößt das Transplantat ab. Nur eine lebenslange Unterdrückung des Immunsystems mit Medikamenten kann diese Abstoßung verhindern. Durch eine Immunsuppression wird der Körper aber anfälliger für Infektionen. Zudem steigt das Risiko, an Krebs zu erkranken.
Inselzellen im Tarnanzug
Frau Professor Karin Ulrichs und ihre Arbeitsgruppe von der Chirurgischen Universitätsklinik und Poliklinik in Würzburg favorisieren deshalb einen alternativen Behandlungsansatz. Dieser umgeht sowohl den Mangel an menschlichem Spendergewebe als auch die Immunsuppression.
Finanziert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) arbeiten die Wissenschaftler mit Insulin produzierenden Zellen aus Bauchspeicheldrüsen von Schweinen. Sie eignen sich gut, denn Schweineinsulin unterscheidet sich nur in einer Aminosäure von menschlichem Insulin. Jahrelange klinische Erfahrungen belegen, dass Diabetiker dieses Insulin gut vertragen.
Weil das Immunsystem des Empfängers auch die Insulin produzierenden Zellen aus dem Schwein als fremd erkennen und sie zerstören würde, verwenden die Forscher einen Trick. Sie umgeben die Schweinezellen mit einer Mikrokapsel, so dass das Abwehrsystem des Empfängers sie nicht wahrnehmen kann, und die Zellen überleben. Das für solch eine Mikrokapsel verwendete Material muss eine Reihe von Bedingungen erfüllen: Es darf keine Entzündungsreaktionen auslösen und muss stabil sein.
Außerdem ist es wichtig, dass es für Nährstoffe, die die Zellen benötigen, sowie für das produzierte Insulin durchlässig ist. Antikörper und andere Abwehrstoffe des Immunsystems dürfen nicht in die Kapsel eindringen. Ulrichs und ihr Team griffen auf einen Stoff zurück, der alle gewünschten Eigenschaften erfüllt: das Alginat aus braunen Meeresalgen.
Bei zuckerkranken Ratten haben sie schon gute Erfahrungen mit Alginat-verkapselten Inselzellen von Schweinen gemacht: Innerhalb von 24 Stunden normalisierte sich der Blutzuckerspiegel der Tiere, und bei einem Drittel von ihnen blieb er auch über eine lange Zeit nach der Transplantation konstant – Spitzenwert waren 502 Tage. Der große Vorteil: Die Ratten benötigen keine Immunsuppressiva.
Trojanisches Pferd für Mikroorganismen?
Bei der Verpflanzung von tierischen Organen müssen die Wissenschaftler sicherstellen, dass keine Krankheitserreger übertragen werden. Hierbei können insbesondere Erreger ein Problem sein, die bei Schweinen keine Erkrankung hervorrufen und deshalb nicht entdeckt werden, aber beim Menschen eine Krankheit auslösen könnten.
Allerdings "sind wir bezüglich der biologischen Sicherheit wesentlich hoffnungsvoller als noch vor fünf Jahren", betont Ulrichs. Als besonders großes Risiko galten bislang die porcinen endogenen Retroviren (PERV). Diese Viren sind nämlich dauerhaft an verschiedenen Stellen im Erbgut der Schweine integriert. Daher ist es schwierig, sie durch gezieltes Züchten oder gentechnische Eingriffe zu entfernen. Doch bei 160 Patienten, denen bisher Leber-, Bauchspeicheldrüsen- oder Nervenzellen vom Schwein übertragen wurden, konnte auch über einen Zeitraum von 10 bis 15 Jahren keine Infektion mit PERV beobachtet werden. "PERV sind also sehr wahrscheinlich ungefährlich für den Menschen", folgert Ulrichs.
Darüber hinaus bieten die Mikrokapseln einen zusätzlichen Schutz vor der Übertragung von Viren. Außerdem muss bei der Verpflanzung von verkapselten Inselzellen das Immunsystem des Empfängers nicht ausgeschaltet werden. Es wäre also im Notfall in der Lage, übertragene Viren zu bekämpfen. Noch mag Ulrichs sich nicht festlegen, wann verkapselte Inselzellen vom Schwein Anwendung beim Menschen finden werden. "Die im Tierversuch erreichten Funktionszeiten der transplantierten, verkapselten Inselzellen sind noch zu kurz. Sie liegen momentan bei einem Jahr. Erst wenn wir Zeiten von fünf Jahren erreicht haben, ist an einen klinischen Einsatz beim Menschen zu denken", erklärt Ulrichs. Aber die Fortschritte der letzten zehn Jahren lassen sie optimistisch in die Zukunft blicken.
Diabetes mellitus: Typ 1 und Typ 2
Mediziner unterscheiden zwischen Typ 1- und Typ 2-Diabetes.
Der Typ 1-Diabetes (etwa fünf Prozent der Fälle) ist eine Autoimmunkrankheit, bei der das körpereigene Immunsystem die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse attackiert und zerstört. Insulin reguliert die Zuckeraufnahme der Zellen aus dem Blut. Fehlt das Hormon, steigt die Zuckerkonzentration im Blut an.
Typ 2-Diabetes ("Altersdiabetes", etwa 90 Prozent der Fälle) beruht auf einer Funktionsstörung der Rezeptoren auf der Zelloberfläche, über die Insulin seine Wirkungen vermittelt. Dadurch kommt es ebenfalls zu einer Erhöhung des Blutzuckerspiegels. Ursachen des Typ 2-Diabetes sind in den meisten Fällen falsche Ernährung und Übergewicht. Durch die dauerhaft erhöhten Blutzuckerwerte entstehen schwere Folgeerkrankungen, unter anderem am Gefäßsystem und an den Nieren. Während ein Typ 2-Diabetes häufig durch Diät, Gewichtsreduktion und Tabletten in den Griff zu bekommen ist, sind Typ 1-Diabetiker immer auf Insulinspritzen angewiesen.
Ansprechpartner:
Professor Dr. Karin Ulrichs
Chirurgische Universitätsklinik und Poliklinik
Josef-Schneider-Straße 2
97080 Würzburg
Tel.:0931/20 13 13 55
E-Mail: ulrichs@chirurgie.uni-wuerzburg.de