Mai 2017

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„Hirndoping“ – lernen leicht gemacht mit Pillen?

Viele Menschen greifen im Wettbewerb um gute Noten und Leistungen am Arbeitsplatz zu vermeintlich leistungssteigernden Substanzen. Das Projekt JuHdo führt Jugendliche an den gesellschaftlichen Diskurs über das „Hirndoping“ heran.

Frau mit fragendem Gesichtsausdruck in einem Großraumbüro.

Der Leistungsdruck am Arbeitsplatz steigt. Bis zu 12 Prozent der Berufstätigen sollen ihre kognitive Leistung durch verschreibungspflichtige Substanzen stärken.

contrastwerkstatt/Fotolia

Handelt es sich bei der Einnahme leistungssteigernder Medikamente um verwerfliches „Hirndoping“ im täglichen Konkurrenzwettbewerb? Oder kann „Cognitive Enhancement“ die Chancengleichheit fördern – beispielsweise indem es Studierenden mit Nebenjobs und Kindern hilft, Mehrfachbelastungen zu kompensieren? Und wäre es nicht sogar im Sinne der Gesellschaft, wenn Angehörige von Berufsgruppen mit verantwortungsvollen Aufgaben „Neuro-Enhancer“ nutzten, falls deren leistungssteigernde Wirkung erwiesen und die Einnahme gesundheitlich unbedenklich wäre?

Was können die „Wunderpillen“ wirklich?

Methylphenidat, auch bekannt als Ritalin, gilt als Wundermittel, von dem sich gesunde Menschen eine gesteigerte Wachheit und Konzentration beim Lern- und Arbeitsmarathon erhoffen. Die Zahl der Ritalin-Verschreibungen steigt. Das ist ein Indiz dafür, dass immer mehr Menschen die Substanz missbrauchen, um ihre geistige Leistungsfähigkeit zu optimieren. Neben Medikamenten gegen Unruhe, Nervosität und Angst werden auch Präparate gegen Depressionen, Tagesmüdigkeit und Betablocker zu diesem Zweck konsumiert.

Tatsächlich können einige Substanzen die Aufmerksamkeit verbessern oder die Erschöpfung bei Schlafentzug mindern. Gesicherte Ergebnisse, die eine leistungssteigernde Wirkung bei Gesunden belegen, fehlen jedoch. Sicher ist nur, dass all diese Präparate Nebenwirkungen haben. Kopfschmerzen und Persönlichkeitsveränderungen wie emotionale Abstumpfung gehören dazu. Zudem können sich Abhängigkeit etablieren.

Öffentliche Diskurse – so früh wie möglich

Medikamentendose mit mehreren unterschiedlichen Präparaten

Eine leistungssteigernde Wirkung durch „Hirndoping“ ist wissenschaftlich nicht belegt. Alle einschlägigen Präparate haben jedoch unerwünschte Nebenwirkungen.

crazydiva/Thinkstock

Die vielfältigen Aspekte des „Hirndopings“ zeigen, wie wichtig es ist, mögliche Folgen des lebenswissenschaftlichen Fortschritts mit einem gesellschaftlichen Diskurs zu begleiten. Dieser muss die ethischen, rechtlichen und sozialen Dimensionen neuer Entwicklungen öffentlich ausleuchten. Denn eine frühzeitige Meinungsbildung ist wichtig: Sie kann die Weichenstellung durch gesellschaftliche Akteure mitgestalten und unerwünschte Entwicklungen verhindern.

Für die Diskussion um das „Cognitive Enhancement“ heißt das: Es gilt, sich jetzt Gedanken darüber machen, ob „hirnverbessernde“ Substanzen einen Fortschritt bedeuten oder nicht, ob ihre Anwendung reguliert oder der Entscheidungsfreiheit jedes Einzelnen überlassen werden sollte.

Junge Menschen besser einbinden

Die Beteiligung junger Menschen an solchen Diskussionen verläuft bisher meist nur im Hintergrund. Dabei ist es besonders wichtig, Jugendliche zu motivieren, sich über zukunftsrelevante Themen zu informieren und eine reflektierte Meinung zu bilden.

Das unterstützte das Forschungsprojekt „JuHdo – Junge Menschen und ihr Umgang mit ethischen, rechtlichen und sozialen Fragen der Leistungssteigerung durch Hirndoping“. Das Bundesforschungsministerium förderte JuHdo im Rahmen seines Schwerpunktes „Ethische, rechtliche und soziale Aspekte in den Lebenswissenschaften“, kurz ELSA.

Britta Oertel ist Informationswissenschaftlerin am Institut für Zukunftsstudien und Technologiebewertung (IZT). Sie leitete das Projekt JuHdo und stellt bei Jugendlichen ein hohes Informationsdefizit zur kognitiven Leistungssteigerung fest. „Das betrifft sowohl das Wissen um die Wirkung als auch um die gesundheitlichen Nebenwirkungen der Substanzen. Aber auch die ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekte haben Jugendliche kaum im Blick“, so Oertel. „Das gibt durchaus Anlass zur Sorge. Denn wenn sich junge Menschen auf der Basis mangelhafter Informationen dafür entscheiden, ‚Neuro-Enhancer‘ zu nutzen oder sie zu akzeptieren, birgt das persönliche und gesellschaftliche Risiken.“

Wie viele Menschen „dopen“ ihr Gehirn?

6,7 Prozent der befragten Berufstätigen nutzen ohne medizinische Notwendigkeit verschreibungspflichtige Medikamente, um ihre kognitiven Leistungen zu verbessern. Doch die Dunkelziffer ist hoch: Expertinnen und Experten glauben, dass bis zu 12 Prozent der Erwerbstätigen, „Hirndoping“ praktizieren (DAK-Gesundheitsreport 2015). Und Studierende? Einer Studie aus dem Jahr 2012 zufolge konsumieren 5 Prozent leistungssteigernde Substanzen (Hochschul-Informations-System GmbH, HIS-Studie). Eine in der Fachzeitschrift „Phamarcotherapy“ veröffentlichte Arbeit kommt 2013 zu dem Ergebnis, dass 20 Prozent der Studierenden leistungssteigernde Substanzen konsumieren. Diese Studie garantierte den Befragten absolute Anonymität.

JuHdo als Blaupause für die bioethische Bildung

Um Jugendliche für das Thema „Hirndoping“ zu interessieren und ihre Meinungs- und Willensbildung zu fördern, integrierte JuHdo vielfältige Methoden und Medien in sein Informationskonzept:

Kleingruppendiskussionen deckten den Informationsstand und -bedarf Jugendlicher auf. Sie verdeutlichten, welche Gesichtspunkte die Entscheidung für oder wider den Konsum oder die Akzeptanz leistungssteigernder Präparate entscheidend beeinflussen.

Die Projektwebseite supermenschen.info wurde eingerichtet. Sie dient Jugendlichen als aktuelle und objektive Informationsquelle zum Thema kognitive Leistungssteigerung.

  • Während des Projektes wurden im Internet Video-Konferenzen durchgeführt, die Experten- und Erfahrungswissen verbreiten. Aufzeichnungen der Konferenzen sind auf supermenschen.info abrufbar.
  • Die Ergebnisse eines Schreibwettbewerbs „Risiken und Chancen von Hirndoping“ zeigen die Unsicherheit junger Menschen beim Umgang mit dem Thema auf. Die Beiträge der Gewinnerin und des Gewinners sind auf ze.tt veröffentlicht, der Online-Plattform für junge Leserinnen und Leser der Wochenzeitung DIE ZEIT.
  • Das Projekt entwickelte einen Werkzeugkasten für die politische Bildung. Informations- und Arbeitsmaterialien führen die Projektergebnisse zusammen. Sie können in der schulischen und außerschulischen Jugendarbeit genutzt werden.

„Mit JuHdo konnten wir zeigen, wie man junge Menschen erfolgreich an komplexe Themen heranführt“, so Sie Liong Thio, Senior Researcher am IZT. „Das macht JuHdo auch für andere für bioethische Debatten zur wertvollen Blaupause.“

Ansprechpartner:
Britta Oertel und Sie Liong Thio
IZT – Institut für Zukunftsstudien und Technologie-
bewertung gemeinnützige GmbH
Schopenhauerstraße 26
14129 Berlin
030 803088-43
030 803088-88
b.oertel@izt.de
s.thio@izt.de