Hoffnung für Patienten mit seltener Form der Blindheit - Ein schon bekannter Wirkstoff kann die Sehkraft verbessern

Meist trifft es Männer Mitte 20: Plötzlich lässt ihre Sehkraft nach, die Farben verblassen und sie sehen nur noch verschwommen. Viele Betroffene erblinden im Laufe der Zeit komplett für das zentrale Sehen. Die Ursache: Eine seltene erbliche Krankheit, die bislang unheilbare Lebersche Hereditäre Optikus-Neuropathie, kurz LHON. Doch jetzt gibt es Hoffnung: Ein bereits bekannter Wirkstoff kann bei einem Teil der Patienten die Sehkraft wieder verbessern. (Newsletter 55 / Januar 2012)

LHON-Patienten können auf einer Sehtafel meist keinen Buchstaben erkennen. Unter Idebenone-Behandlung konnten sieben Patienten wieder fünf Buchstaben und mehr lesen. Mitochondrien sind die Kraftwerke der Zellen. Bei mitochondrialen Erkrankungen ist die Energieproduktion der Zellen stark eingeschränkt. Eine der häufigsten mitochondrialen Erkrankungen ist die bisher nicht therapierbare Lebersche Hereditäre Optikus-Neuropathie (LHON), die bei einem von 30.000 Menschen auftritt. Damit gilt LHON als seltene Erkrankung. Meist führt sie innerhalb weniger Monate nach den ersten Symptomen zu einer schweren Beeinträchtigung des Sehens. Die erbliche Blindheit wird mütterlicherseits vererbt und trifft meist junge Männer zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr. Bei den Betroffenen ist ein Gen der Mitochondrien mutiert. Als Folge kommt es zur vermehrten Freisetzung von Sauerstoffradikalen, die wiederum die Zellen der Netzhaut und des Sehnervs schädigen.

Seit der ersten Beschreibung von Mutationen in der mitochondrialen DNA als Ursache menschlicher Erkrankungen im Jahr 1988 haben die Erkenntnisse über molekulare Ursachen und Verlauf dieser Krankheiten explosionsartig zugenommen. „Leider hat der rasante Erkenntniszuwachs der vergangenen Jahre bislang nicht zu wirksamen Therapien geführt“, bedauert Prof. Dr. Thomas Klopstock von der Universität München.

Einige Patienten können wieder lesen

Für die Betroffenen der erblichen Blindheit gibt es jetzt endlich Hoffnung. In einer Studie hat sich gezeigt, dass der bekannte Wirkstoff Idebenone im Vergleich zu einem Placebo-Präparat die Sehkraft einiger LHON-Patienten verbessern kann. „Von den Patienten, die zu Studienbeginn keinen Buchstaben auf einer Sehtafel erkennen konnten, sondern nur Fingerzählen, Handbewegungen und Hell oder Dunkel, konnten unter der Idebenone-Behandlung sieben von 25 Patienten wieder mindestens fünf Buchstaben lesen. Das gelang keinem Patienten in der Placebo-Gruppe“, fasst Professor Klopstock, Leiter der Studie, die Ergebnisse zusammen.

Insgesamt nahmen 85 LHON-Patienten an der Studie teil. 55 erhielten über ein halbes Jahr 900 mg Idebenone, 30 Patienten ein Placebo-Präparat. Es traten keine wesentlichen Nebenwirkungen auf. Idebenone ist ein synthetischer Abkömmling des körpereigenen Coenzyms Q10 und als wirksames Antioxidans bekannt. Bislang ist Idebenone in Kanada für die Behandlung der Friedreich-Ataxie zugelassen, einer schweren neuromuskulären Erkrankung. Die Herstellerfirma hat nun eine Zulassung des Medikaments für die Indikation LHON auf dem europäischen Markt beantragt.
 

Problem: Klinische Studien

Bildquelle: Clemens Pfeiffer, Wien; FotoliaSo oder so ähnlich sehen Patientinnen und Patienten mit der Leberschen Hereditären Optikus-Neuropathie die Tageszeitung. Ein Problem bei der Entwicklung neuer Therapien für seltene Erkrankungen ist die Durchführung großer randomisierter Studien. „Je weniger Patienten an einer Erkrankung leiden, desto schwieriger ist es, genug Patienten für eine Studie zu rekrutieren“, erklärt Professor Klopstock. „Wir wollten in unserem Projekt deshalb nicht nur die Wirkung von Idebenone bei LHON untersuchen, sondern auch zeigen, dass aussagekräftige klinische Studien auch für seltene Erkrankungen durchführbar sind!“ Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Deutsche Netzwerk für mitochondriale Erkrankungen (mitoNET), dessen Sprecher Professor Klopstock ist, trug mit seinem Patientenregister wesentlich zum Gelingen dieser internationalen Studie bei: Deutschland steuerte 44 der 85 LHON-Patienten bei.

Eine Krankheit wird als selten bezeichnet, wenn weniger als einer von 2.000 Menschen davon betroffen ist. Zusammengenommen sind seltene Erkrankungen jedoch kein seltenes Phänomen. Allein in Deutschland leiden rund vier Millionen Menschen an einer der zahlreichen seltenen Erkrankungen.

Ansprechpartner
Prof. Dr. Thomas Klopstock
Friedrich-Baur-Institut an der Neurologischen Klinik
Klinikum der Universität München – Innenstadt
Ziemssenstr. 1
80336 München
Tel.: 089-5160-7474
Fax: 089-5160-7402
E-Mail: thomas.klopstock@med.uni-muenchen.de