Röntgenstrahlen, Magnetresonanztomografie, Ultraschall – es gibt einige Verfahren, um Bilder aus dem menschlichen Körper zu erzeugen. Sie können wichtige Körperfunktionen und kleinste Strukturen sichtbar machen. Jetzt ist ein weiterer großer Schritt in der medizinischen Bildgebung absehbar. Ein neues Verfahren kann hochauflösende Bilder mithilfe von Lichtblitzen und Schallwellen erzeugen – ganz ohne Strahlung oder Kontrastmittel. (Newsletter 71 / Dezember 2014)
Das photoakustische Verfahren ist nicht-invasiv und erzeugt keine Strahlenbelastung.Ein Blick in einen Operationssaal der Zukunft: Der Patient auf dem OP-Tisch befindet sich noch in Narkose. Gerade ist ihm ein Tumor aus der Lunge entfernt worden. Die Operation ist gut verlaufen – der Tumor konnte vollständig entfernt werden. Doch bevor die Chefärztin die Operation für beendet erklärt, führt sie einen Handscanner über den operierten Bereich. Auf dem Computerbildschirm vor ihr erscheint das Bild eines Lymphknotens. Sie sucht nach Metastasen des Tumors. Diese wandern bevorzugt in die umliegenden Lymphknoten ein. Die Kontrolle der Lymphknoten, die in der Nähe des entfernten Tumors liegen, ist daher besonders wichtig, um die Heilungsaussichten des Patienten zu verbessern. Sind sie von Krebszellen befallen, müssten sie entfernt werden. Die Chirurgin ist erleichtert, in den Lymphknoten des Patienten gibt es keine Anzeichen für Metastasen. Das Team kann die Operation beenden.
Schall überträgt Informationen aus dem Inneren des Körpers
Was derzeit noch Fiktion ist, könnte bald Realität werden. Zwar ist es noch nicht möglich, Metastasen im Routinebetrieb so einfach zu visualisieren. Aber in absehbarer Zukunft könnte den Medizinerinnen und Medizinern eine solche Technik zur Verfügung stehen. Sie trägt den etwas sperrigen Namen „Multispektrale optoakustische Tomografie“. Entwickelt wurde das Verfahren in Deutschland von zwei Experten für medizinische Bildgebung: Professor Dr. Vasilis Ntziachristos und Professor Dr. Daniel Razansky vom Helmholtz Zentrum München. Die beiden Forscher haben sich dabei ein ganz altes Prinzip der ärztlichen Diagnose zunutze gemacht, wie Razansky erklärt: „Der Arzt legt zwei Finger auf Bauch oder Rücken, klopft und horcht aufmerksam auf die Geräusche, die dabei entstehen. Dieses traditionelle Untersuchungsverfahren ist als Perkussion bekannt.“ Allerdings wird es in der modernen Medizin kaum noch angewendet. „Stattdessen geht es für die Patientinnen und Patienten oftmals direkt in die ‚Röhre‘.“ Bilder sind häufig das Mittel der Wahl in der modernen Diagnostik.
„Aber auch Schall überträgt wichtige Informationen aus dem Inneren des menschlichen Körpers“, betont Razansky. „Wir haben daher die althergebrachte Methode der Perkussion mit technologisch hochempfindlichen Geräten wie Laserstrahl und Ultraschallsensoren angepasst. Die Aussagekraft der Untersuchung wird dadurch erweitert.“
Bilder ohne Nebenwirkungen
Ultraschall ist eine schmerzfreie und schnelle Methode, um Organe und Gewebe zu untersuchen. Im
Gegensatz zur Multispektralen optoakustische Tomografie können damit jedoch keine einzelnen Zellen
dargestellt werden.Photoakustik heißt das physikalische Prinzip hinter dem neuen Verfahren. Auch hier werden Bilder erzeugt, aber die Bildinformation liefert der Schall. Ausgelöst werden die Schallwellen von unserem Körper selbst, und zwar wenn Laserimpulse auf ihn treffen und die Lichtenergie in Wärme umgewandelt wird. Die Erwärmung führt zu einer minimalen Ausdehnung des Gewebes. Hierdurch werden Signale – genauer Druckwellen – im Ultraschallbereich erzeugt. Die so erzeugten akustischen Signale aus dem Körper werden detektiert und von einem Computer in ein Bild umgerechnet. Ntziachristos sieht schon hier einen großen Fortschritt für die Patientinnen und Patienten: „Die meisten bildgebenden Verfahren belasten den menschlichen Körper, beispielsweise durch Strahlung oder durch verabreichte Kontrastmittel. Das entfällt bei der Photoakustik vollständig. Die Laserimpulse verursachen keine Beschädigung oder Belastung des menschlichen Gewebes.“ Aber auch technisch hat das neue Verfahren einiges zu bieten: Jedes Gewebe reagiert anders auf die Laserimpulse, abhängig von seiner Lichtabsorption. Dadurch entstehen individuelle und charakteristische Signalmuster, die typisch für das jeweilige Gewebe oder für bestimmte Zellen sind. „Sogar einzelne Zellen lassen sich so detektieren, beispielsweise Krebszellen. Das ist der große Unterschied zum Ultraschall, der eine solche Differenzierung nicht ermöglicht“, beschreibt Ntziachristos. Am besten funktioniert die Multispektrale optoakustische Tomografie derzeit mit den sehr aggressiven Krebszellen des schwarzen Hautkrebses. Aber auch andere Zelltypen lassen sich anhand des Klangmusters unterscheiden. „Chirurgen könnten bald schon während einer Tumoroperation kontrollieren, ob sie tatsächlich alle Krebszellen entfernen konnten. Es wäre ohne Zweifel ein weiterer Meilenstein in der medizinischen Bildgebung. Im Tierversuch haben wir das schon geschafft. Auch erste Untersuchungen bei Menschen sehen sehr erfolgversprechend aus“, betont Ntziachristos.
Die Biochemie des Körpers sichtbar machen
Die Entwicklung des neuen Verfahrens war laut Ntziachristos keinesfalls ein Selbstläufer: „Sehr geholfen hat uns dabei die Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung“, sagt der Forscher. „Vielen privaten Investoren waren die Risiken damals zu hoch.“ Inzwischen haben die beiden Wissenschaftler, zusammen mit weiteren Partnern, die Firma iThera Medical gegründet. „Unser neues Verfahren zeigt also, dass Gesundheitsforschung nicht nur die medizinische Behandlung verbessern, sondern auch den Innovationsstandort Deutschland stärken kann“, erklärt Ntziachristos. Auch unter dem neuen Dach wird die Technik weiterentwickelt, denn an Zielen mangelt es nicht: „Wir wollen hinunter auf die Ebene der Moleküle. Was uns wirklich interessiert, sind die biochemischen Reaktionen der Zellen“, betont Razansky. Das Team hofft, Krankheiten früher detektieren und besser verfolgen zu können. Zukünftige Therapien könnten so besser auf die jeweilige Person zugeschnitten werden. Hierdurch ließen sich die Heilungsaussichten verbessern und am Ende sogar die Gesundheitskosten senken.