Dezember 2023

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Im Wettlauf gegen Antibiotika-Resistenzen: Neuer Wirkstoff entschlüsselt

Neue Wirkstoffe gegen bakterielle Krankheitserreger werden dringend gesucht, denn immer mehr Erreger werden resistent gegen gängige Antibiotika. Gemeinsam mit Teams in den Niederlanden und den USA wurden DZIF-Forschende fündig – in einem Bodenbakterium.

Im Labor: Viele kleine braune Fläschchen mit blauen Deckeln stehen in einer Haltevorrichtung

Im Labor: In den Gläsern befinden sich verschiedene Zellwandvorläufer, die die Bonner Forschenden zur Analyse isoliert haben, darunter die Zielstrukturen von Clovibactin.

Uni Bonn/Gregor Hübl

Angesichts der zunehmenden Gefahr, dass heute verfügbare Medikamente künftig nicht mehr gegen pathogene Bakterien wirken, sucht die Wissenschaft weltweit nach neuen Wirkstoffen. Ein Team um Professorin Tanja Schneider vom Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn und des Universitätsklinikums Bonn wurde fündig: Gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in den Niederlanden und den USA entdeckten die Forschenden in einem Bodenbakterium ein neues hochwirksames Antibiotikum und konnten seine Wirkungsweise entschlüsseln.

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Der Clovibactin genannte neue Wirkstoff erwies sich als sehr wirksam gegen gefährliche multiresistente Keime und aufgrund seiner speziellen Wirkungsweise auch als außergewöhnlich widerstandsfähig gegen die Entwicklung bakterieller Resistenzen. Clovibactin wirkt vor allem auf grampositive Bakterien. Hierzu zählen die als „Krankenhauskeime“ bekannten Methicillin-resistenten Staphylococcus aureus (MRSA)-Bakterien, aber auch der Tuberkulose-Erreger Mycobacterium tuberculosis, an dem weltweit viele Millionen Menschen erkranken.

In den vergangenen Jahrzehnten kamen nur sehr wenige neue Substanzen zur Bekämpfung bakterieller Erreger auf den Markt. Das liegt unter anderem daran, dass in vielen Erregern innerhalb weniger Jahre oder manchmal sogar Monate Resistenzen gegen neue Wirkstoffe entstehen und sich die aufwendige und teure Entwicklung neuer Antibiotika für Pharmaunternehmen oft nicht lohnt.

„Wir brauchen dringend neue Antibiotika, um im Wettlauf gegen resistent gewordene Bakterien zu bestehen“, sagt Tanja Schneider, die als stellvertretende Koordinatorin im Forschungsbereich Neue Antibiotika des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) tätig und darauf spezialisiert ist, die Wirkungsweise von Antibiotika-Kandidaten zu entschlüsseln. „Im Vergleich zu den gängigen Antibiotika hat Clovibactin eine neuartige Wirkungsweise, die es potenziell sehr widerstandsfähig gegen Resistenzen macht.“

Antibiotika-Resistenzen – eine schleichende Pandemie

Antibiotika werden zur Vorbeugung und Behandlung bakterieller Infektionen eingesetzt, doch entwickeln immer mehr Bakterien eine Resistenz gegen diese Medikamente: Die Bakterien können sich weiterhin vermehren, die Antibiotika werden unwirksam.

Schätzungen zufolge werden weltweit insgesamt 4,95 Millionen Todesfälle pro Jahr mit resistenten Bakterien in Verbindung gebracht. Etwa ein Viertel dieser Todesfälle ist direkt auf die Resistenz gegen antimikrobielle Mittel zurückzuführen. Fachleute bezeichnen die zunehmende Zahl resistenter bakterieller Krankheitserreger auch als „schleichende Pandemie“; die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt sie zu den größten globalen Bedrohungen der Menschheit.

 Glücklicher Fund im Boden dank neuer Kultivierungstechnologie

Das aus einer Bodenprobe im US-Bundesstaat North Carolina isolierte Bodenbakterium Eleftheria terrae subspezies carolina trägt seinen Herkunftsort im Namen. In der Natur produziert es den Clovibactin genannten Wirkstoff, um sich vor konkurrierenden Bakterien zu schützen. Das Team in den USA hatte Clovibactin mithilfe einer Apparatur entdeckt, die „isolation chip“ oder iCHip genannt wird. Damit lassen sich Bakterien im Labor züchten, die bislang als unkultivierbar galten und daher bisher für die Entwicklung neuer Antibiotika nicht zur Verfügung standen. Die US-amerikanischen Forschenden konnten zudem zeigen, dass Clovibactin eine sehr gute Aktivität gegen ein breites Spektrum von bakteriellen Krankheitserregern aufweist und in Modellstudien infizierte Mäuse erfolgreich mit dem Wirkstoff behandelt werden konnten.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Tanja Schneider konnten zeigen, dass Clovibactin ganz gezielt und mit hoher Spezifität an Pyrophosphatgruppen bakterieller Zellwandbausteine bindet. Dadurch wird die Zellhülle zerstört und werden die Bakterien getötet. „Das neue Antibiotikum attackiert den Aufbau der bakteriellen Zellwand gleichzeitig an mehreren Stellen, indem es essenzielle Bausteine blockiert“, erklärt Schneider.

Das Team im Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn: (v. l.) Annika Krüger, Professorin Dr. Tanja Schneider, Dr. Stefania De Benedetti und Dr. Fabian Grein.

Das Team im Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie der Universität Bonn: (v. l.) Annika Krüger, Professorin Dr. Tanja Schneider, Dr. Stefania De Benedetti und Dr. Fabian Grein.

Uni Bonn/Gregor Hübl

Wie genau diese Bindung aussieht, hat eine Forschungsgruppe der Universität Utrecht in den Niederlanden aufgedeckt, indem sie die Struktur des Komplexes aus Clovibactin und dem bakteriellen Zellwandbaustein Lipid II entschlüsselten. Diese Untersuchungen zeigten, dass Clovibactin die Pyrophosphatgruppe wie ein Käfig umgreift – in Anlehnung an diesen Mechanismus entstand auch der vom griechischen „Klouvi“ (Käfig) abgeleitete Wirkstoffname Clovibactin.

„Wir sind sehr zuversichtlich, dass die Bakterien nicht so schnell Resistenzen gegen Clovibactin entwickeln werden“, sagt Schneider. Denn die Erreger können die Bausteine in ihrer Zellwand nicht so leicht verändern, um die Wirkung des Antibiotikums zu unterlaufen, daher bleibt diese bakterielle „Achillesferse“ bestehen.

Kombinierte Attacke minimiert Resistenzentwicklung

Doch Clovibactin kann noch mehr. Nach dem Andocken an die Zielstrukturen bildet Clovibactin supramolekulare faserartige Strukturen aus, die die Zielstrukturen fest umschließen und die Bakterienzellen weiter schädigen. Bakterien, die auf Clovibactin treffen, werden außerdem dazu angeregt, bestimmte Enzyme – sogenannte Autolysine – freizusetzen, die dann die Zellhülle auflösen. „Die Kombination dieser verschiedenen Mechanismen ist der Grund für die außergewöhnliche Widerstandsfähigkeit gegenüber der Entwicklung von Resistenzen“, erläutert Schneider.

Die Entdeckung des Wirkstoffs und seiner Wirkungsweise zeigt, welches Potenzial noch in der natürlichen Vielfalt der Bakterien steckt, das in Zukunft für neue Antibiotika genutzt werden könnte. Das internationale Forschungsteam will nun seine Erkenntnisse nutzen, um die Wirksamkeit von Clovibactin weiter zu steigern. „Doch bis der Wirkstoff optimiert und für die klinische Verwendung zugelassen ist, ist es noch ein weiter Weg“, sagt Schneider.

Originalpublikation:
Shukla, R., Peoples, A. J., Ludwig, K. C., Maity, S., Schneider, T., et al. (2023). An antibiotic from an uncultured bacterium binds to an immutable target. Cell, Vol. 186, Issue 19, 14.09.2023, pp. 4059−4073.e27. DOI: 10.1016/j.cell.2023.07.038, Internet: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S009286742300853X?via%3Dihub

Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)

Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickeln bundesweit mehr als 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 35 Institutionen gemeinsam neue Ansätze zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten. Das DZIF ist eines der Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Sitzländern zur Bekämpfung der wichtigsten Volkskrankheiten gegründet wurden. Weitere Informationen: www.dzif.de

​Wissenschaftliche Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Tanja Schneider
Stellv. Koordinatorin des Forschungsbereichs Neue Antibiotika
Institut für Pharmazeutische Mikrobiologie
Universität Bonn
Universitätsklinikum Bonn
Tel.: 0228 73-5688
E-Mail: tschneider@uni-bonn.de

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Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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