Immunsystem und Brustkrebs - Bedeutung bislang unterschätzt

Eine Therapieentscheidung auf der Basis von Genanalysen – vor wenigen Jahren war das noch Zukunftsmusik, aber für Brustkrebspatientinnen beginnt dies, Realität zu werden. Für etwa zwei Drittel der Patientinnen gibt es bereits heute klinisch anwendbare Gentests – für ein Drittel noch nicht. Unser mechanistisches Verständnis der Tumore reicht noch nicht aus, um für alle Brusttumore exakte Tests zu entwickeln. Eine Entdeckung der Universitätsmedizin Mainz markiert jedoch einen wichtigen Fortschritt auf diesem Weg. (Newsletter 58 / Juli 2012)

„Gene Fishing“, so nennt man im Forscherjargon eine Technik der modernen biomedizinischen Forschung. Tatsächlich ähnelt das Verfahren dem Auswerfen von Netzen in unbekannten Gewässern: Durch besondere Analysetechniken lassen sich Tausende von Genen gleichzeitig analysieren und auf ihre Funktion und Rolle bei spezifischen Krankheiten untersuchen. Mit einer solchen Technik haben Privatdozent Dr. Marcus Schmidt, Leiter der Konservativen und Translationalen Gynäkologischen Onkologie an der Universitätsmedizin Mainz, und Dr. Mathias Gehrmann, ehemals Siemens Healthcare Diagnostics, mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) nach Genen gesucht, die Hinweise auf optimale Behandlungsstrategien bei selteneren Brustkrebstypen geben. Die Forscher haben dabei eine interessante, überraschende und vielversprechende Entdeckung gemacht: Sie fanden heraus, dass ein einzelner Faktor des Immunsystems die Prognose von Brustkrebspatientinnen und den Erfolg einer Chemotherapie vorhersagen kann: Immunglobulin kappa C, kurz IGKC, ein Gen, das für die Synthese von Antikörperbestandteilen im Körper verantwortlich ist.

Abwehr gegen den Tumor

Gut bekannt ist die Rolle der Antikörper bei der Abwehr von Infektionen im Körper. Selbst ein einfacher Schnupfen lässt den menschlichen Körper ganz spezifisch Antikörper aufbauen. Die Beobachtungen, die Dr. Schmidt und Dr. Gehrmann bei dem Gen des Antikörpers IGKC machten, sind ganz anlog zu dem, was man über Antikörper bei der Infektionsabwehr kennt: Je höher die Antikörper-Konzentration im Tumor ist, desto harmloser der Krankheitsverlauf, also desto besser die Prognose der Patientin.

Immunglobulin kappa C wird von speziellen Zellen des Immunsystems, den Plasmazellen, nicht nur bei einer Infektion, sondern ganz offensichtlich auch gezielt im Tumorgewebe gebildet. Diese Plasmazellen innerhalb des Tumors zeigen charakteristische Zeichen für eine spezifische Immunreaktion gegen ein Antigen, einen so genannten Isotypen-Wechsel. „Das lässt sich kaum anders erklären, als durch eine natürliche Immunreaktion innerhalb des Tumors, die anscheinend einen schützenden Einfluss hat“, erklärt Dr. Schmidt. „In der Vergangenheit wurde das Immunsystem, was die Prognose bei Brustkrebs angeht, als Einflussfaktor durchaus erkannt. Es war aber schwer dies wirklich quantitativ zu fassen.“

Ein Gen reicht

Zwar ließ sich der schützende Einfluss des Immunsystems durch Charakterisierung von sogenannten B-Zell Metagenen beschreiben. Hierbei müssen Dutzende von Genen in den B-Zellen des Immunsystems untersucht werden. „Für klinische Anwendungen“, so Dr. Schmidt, „ein nicht wirklich praktikables Verfahren.“ Nach der Entdeckung der Mainzer Forscher reicht jetzt aber die Untersuchung eines einzelnen Gens aus, des IGKC-Gens. Dr. Schmidt: „Die medizinischen Anwendungen unserer Forschungsergebnisse sind sehr naheliegend: Wir werden Gentests für Patientinnen entwickeln können, für die es diese Tests heute noch nicht gibt. Außerdem zeigt die Rolle des IGKC, dass es sinnvoll ist, Antikörper- basierte Immuntherapien zur Behandlung von Brustkrebs weiter voranzutreiben. Beides wird uns unserem Ziel, Brustkrebspatientinnen dauerhaft zu heilen, einen Schritt näher bringen.“


NGFN-LogoDas Nationale Genomforschungsnetz (NGFN, www.ngfn.de) ist ein groß angelegtes biomedizinisches Forschungsprogramm, das durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird. Die weltweit einzigartige intensive Vernetzung verschiedener Bereiche an mehr als 60 Standorten bundesweit ermöglicht die Erforschung der genetischen Ursachen gesellschaftlich wichtiger Krankheiten wie etwa Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen mit dem Ziel, die Forschungserfolge rasch den Patienten zugutekommen zu lassen. Der Erfolg des NGFN spiegelt sich in den mehr als 4000 Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und 100 Patenten der Förderjahre 2001 bis 2010 sowie einer Vielzahl internationaler Kooperationen wider.



Ansprechpartner:
Priv.-Doz. Dr. Marcus Schmidt
Klinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Frauenkrankheiten
Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
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55131 Mainz
Tel.: 06131 17-2683
Fax: 06131 17-5673
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