Ein therapeutischer Impfstoff zur Heilung der chronischen Hepatitis B könnte weltweit die Rettung für 300 Millionen Betroffene sein. Hoffnung macht ein Impfstoff des Forschungsteams um Professorin Dr. Ulrike Protzer, der 2023 klinisch getestet werden soll.
Etwa drei Prozent der Weltbevölkerung sind chronisch mit dem Hepatitis-B-Virus (HBV) infiziert, nur jeder zehnte Mensch weiß von der Gefahr, die in seinem Körper lauert. Denn eine HBV-Infektion kann Leberzirrhose und Leberkrebs auslösen und wird oft viel zu spät erkannt. Mit den derzeitigen Behandlungen wird nur selten eine Heilung der Patientinnen und Patienten erreicht. Ein Forschungsteam bei Helmholtz Munich und an der Technischen Universität München entwickelt einen therapeutischen Impfstoff, dessen Wirkprinzip in aktuellen Studien bestätigt wurde. Die Forschenden fanden heraus, dass in der Leber gebildete Virusproteine die körpereigene Abwehr hemmen und so eine effektive Kontrolle des Virus verhindern; der von ihnen entwickelte neuartige therapeutische Impfstoff soll diese Hemmung überkommen und die Immunabwehr ankurbeln, um so eine Heilung zu ermöglichen. Das Projekt wird geleitet von Professorin Dr. Ulrike Protzer, die im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) den Forschungsbereich „Hepatitis“ koordiniert. Unter dem Label TherVacB erhält der Impfstoff europaweite Förderung für die klinische Entwicklung.
TherVacB: Der Ansatz
Bei einer chronischen HBV-Infektion kann das Immunsystem der Patientinnen und Patienten das Virus nicht mehr effektiv bekämpfen: Die zuständigen Abwehrzellen – B- und T-Zellen – arbeiten nicht mehr in ausreichendem Maße. „Wir glauben daher, dass eine gleichzeitige Aktivierung von B- sowie CD4- und CD8-T-Zellantworten notwendig ist, um eine Immunkontrolle von HBV zu erreichen“, erklärt Protzer. Aus dieser Erkenntnis heraus wurde TherVacB entwickelt: ein neuartiger heterologer Prime-Boost-Impfstoff, der auf alle relevanten HBV-Genotypen abzielt und dadurch das Potenzial hat, eine chronische HBV-Infektion bei mehr als 95 Prozent der Menschen weltweit zu heilen, wenn er sich in klinischen Studien bewährt.
Zunächst erfolgt eine zweimalige Grundimmunisierung, bei der HBV-Proteine gespritzt werden, um spezifische Helfer-T-Zellen und B-Zellen zu aktivieren. Sie beginnen daraufhin mit der Produktion von neutralisierenden Antikörpern, um eine weitere Ausbreitung des Virus zu verhindern. Zudem werden durch die Grundimmunisierung Helfer-T-Zellen aktiviert und Effektor-T-Zellen aufgeweckt (Priming). Eine weitere Impfung, ein Boost mit dem Vektor-Impfstoff MVA-HBVac-Vektor, erfolgt vier Wochen nach der zweiten Grundimmunisierung und bewirkt eine breite und multifunktionale Effektor-T-Zell-Antwort, die schließlich das Virus eliminieren soll.
Neueste Ergebnisse
Dass man bei der Entwicklung eines effektiven Impfstoffes zahlreiche Hürden überwinden muss und an vielen Details scheitern kann, zeigt sich schon daran, dass in den letzten zwei Jahrzehnten trotz zahlreicher Versuche kein wirksamer Impfstoffkandidat eine antivirale Wirksamkeit bei Hepatitis-B-Patienten und -Patientinnen gezeigt hat. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, die für eine erfolgreiche therapeutische Impfung wesentlichen Faktoren zu entschlüsseln und sie durch ein rationales Impfstoffdesign gezielt anzugehen.
Das Forschungsteam um Protzer konnte nun diese entscheidenden Faktoren für TherVacB dingfest machen. In einer aktuellen Studie fanden die Forschenden heraus, dass der Erfolg ihrer therapeutischen Hepatitis-B-Impfung von einer effizienten Aktivierung abhängt, dem Priming der HBV-spezifischen CD4-Helfer-T-Zellen. CD4-T-Zellen sind eine bestimmte Gruppe von Lymphozyten, die das CD4-Molekül auf ihrer Oberfläche tragen und die Immunabwehr gegen fremde Krankheitserreger koordinieren. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wiesen nach, dass es zu einem vollständigen Verlust der durch TherVacB induzierten antiviralen Wirksamkeit führt, wenn die CD4-T-Zellen in präklinischen Mausmodellen entzogen wurden. Darüber hinaus ermöglichte die Anwendung einer optimalen Proteinimpfstoff-Formulierung während der Grundimmunisierung eine ordnungsgemäße Aktivierung der Helfer-T-Zellen und legte den Grundstein für eine Boost-Impfung zur Kontrolle der HBV-Infektion.
„Die Studie erklärt die Wirkung der einzelnen Impfstoffkomponenten und liefert den ersten direkten Nachweis dafür, dass eine effiziente Aktivierung von HBV-spezifischen CD4-T-Zellen für die Einleitung der Immunkontrolle von HBV unerlässlich ist“, erklärt Dr. Anna Kosinska, DZIF-Postdoktorandin bei Helmholtz Munich. Sie bestimme auch, welche Komponenten für eine erfolgreiche therapeutische Hepatitis-B-Impfung erforderlich seien, und gebe wichtige Einblicke in das datenbasierte und rationale Design von therapeutischen Impfstoffen für die dringend benötigte klinische Anwendung.
Was Sie über Hepatitis B wissen sollten
HBV wird durch Blut-Blut-Kontakt, durch sexuelle Kontakte oder direkt von der Mutter auf ihr Kind bei der Geburt übertragen. Letzteres ist der häufigste Übertragungsweg, der zu einer chronischen Infektion führt, die jahrzehntelang unerkannt bleibt.
Jugendliche und Erwachsene, die nicht geimpft sind, können sich bei ungeschütztem Sexualkontakt oder durch kontaminierte Blutprodukte oder Instrumente anstecken, zum Beispiel beim Tätowieren, oder durch Drogenmissbrauch mit kontaminierten Spritzen und Zubehör.
Chronische HBV-Träger sind sich ihrer tödlichen Krankheit oft lange Zeit nicht bewusst. Diejenigen, die Symptome entwickeln, leiden unter Müdigkeit, Appetitlosigkeit, Magenschmerzen, Übelkeit oder Gelbsucht.
Vorhandene Therapien verhindern nur die Vermehrung des Virus, können die Infektion aber nicht vollständig ausheilen. Solange infizierte Menschen keine schützende Immunantwort bilden können, überlebt das Virus. Eine solche Immunantwort hoffen die Forschenden mit einer therapeutischen Impfung auslösen zu können. Generell aber gilt: Die vorbeugende Impfung gegen Hepatitis B ist noch immer der beste Schutz, da sie verhindert, dass überhaupt Viren in den Körper gelangen.
„Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung der Prime-Impfung, um das Immunsystem in die gewünschte Richtung zu lenken. Die Studie dient somit der gezielten Verbesserung therapeutischer Impfstoffe gegen die chronische Hepatitis B – und vielleicht auch gegen andere chronische oder bösartige Krankheiten“, betont Protzer.
Und noch ein aktuelles Forschungsergebnis, das kürzlich veröffentlicht wurde, ist an Bedeutung nicht zu unterschätzen. Ein großes Problem besteht für viele Impfstoffe darin, dass der Impfstoff hitzestabil sein muss, um größere Kühlketten zu vermeiden. Für dieses Problem hat das Team in München jüngst eine Lösung gefunden: eine optimale Formulierung, die alle Impfstoff-Komponenten stabilisiert und eine längerfristige Lagerung bei Raumtemperatur erlaubt.
Das TherVacB-Forschungsteam ist zuversichtlich, dass die klinische Studie mit ihrem Vakzin Mitte 2023 beginnen kann. Sie wird die Sicherheit und Verträglichkeit des Ansatzes bewerten und erste Wirksamkeitsdaten des therapeutischen Hepatitis-B-Impfstoffkandidaten bei chronischen Hepatitis-B-Patienten und -Patientinnen sammeln.
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF)
Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickeln bundesweit mehr als 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus 35 Institutionen gemeinsam neue Ansätze zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten. Das DZIF ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Sitzländern zur Bekämpfung der wichtigsten Volkskrankheiten gegründet wurden.
Weitere Informationen: www.dzif.de
Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Ulrike Protzer
DZIF-Forschungsbereich „Hepatitis“
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