Wissenschaftler und Ingenieure entwickeln ein intelligentes Gerät zur Zahnsteinentfernung
Es beginnt meist ganz harmlos ohne Schmerzen. Das Zahnfleisch ist gerötet und geschwollen, manchmal blutet es. Freunde oder Partner machen einen vielleicht auf Mundgeruch aufmerksam. Doch irgendwann, oft ganz ohne Vorwarnung, ist es zu spät: Vollkommen gesunde Zähne lockern sich, fallen aus oder müssen gezogen werden.
Die Rede ist von der Parodontitis, einer Entzündung des Zahnhalteapparates "50 Prozent aller Deutschen über 40 Jahre sind davon betroffen, vor allem Raucher", sagt Professor Thomas Kocher, Leiter der Abteilung für Parodontologie an der Universität Greifswald.
Die Ursache des Übels ist ein Zahnbelag aus Essensresten, Speichel und Bakterien. Er bildet sich auf der Zahnoberfläche und in Zahnfleischtaschen. Wird er nicht entfernt, wandelt er sich in Zahnstein um. Dann hilft auch intensives Putzen nichts mehr, sondern nur noch eine professionelle Behandlung in der Zahnarztpraxis.
Nicht entfernter Zahnstein dient Bakterien als Nische, in der sie sich ungestört vermehren können. Die Keime lösen eine Entzündung von Zahnfleisch und Kiefer-knochen aus, die unaufhaltsam fortschreitet, bis irgendwann die Zähne ausfallen.
Doch das ist nicht die einzige Folge der Parodontitis: Sie begünstigt auch Herz-Kreislauf-Erkrankungen und erhöht das Risiko für Frühgeburten. Experten sind sich daher einig: Der Zahnstein, vor allem auch der in Zahnfleischtaschen verborgene, muss regelmäßig mechanisch beseitigt werden – und zwar vollständig.
Herkömmliche Methoden oft unbefriedigend
Bisher verwenden Zahnärzte üblicherweise ein Gerät zur Zahnsteinentfernung, das Ultraschallschwingungen erzeugt und so harte und weiche Zahnbeläge mechanisch beseitigt. Die Probleme dabei: Der Zahnarzt kann die Behandlungsstelle im Bereich der Zahnfleischtaschen kaum einsehen oder ertasten. Außerdem sind die bisher verwendeten Instrumente nicht in der Lage zwischen Zahnbelägen oder gesunder Zahnhartsubstanz zu unterscheiden.
Daher wird bei der Zahnsteinentfernung meistens auch gesunde Zahnhartsubstanz mit abgetragen. Darüber hinaus kann nicht kontrolliert werden, ob und zu welchem Zeitpunkt der Zahnstein vollständig entfernt ist.
"Verschiedene Studien zeigen seit langem, dass es mit den herkömmlichen Methoden einerseits zu einer Übertherapie kommt, das heißt, dass auf schon sauberen Stellen weitergeschabt und gesunde Zahnsubstanz abgetragen wird. Andererseits wird Zahnstein aber auch übersehen, also untertherapiert", so Kocher.
Um die bisherigen Probleme der Zahnsteinentfernung zu umgehen, arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure unter der Leitung von Kocher und PD Dr. Jens Strackeljan, Leiter der Abteilung Schwingungsmechanik an der TU Clausthal, in einem Projekt zusammen, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird.
Gemeinsam entwickeln sie ein Instrument, das Zahnstein nicht nur aufspüren und entfernen kann, sondern gleichzeitig auch den Behandlungserfolg überprüft. Ein Prototyp liegt bereits vor.
Zwischen Zahn und Zahnstein unterscheiden
Die Idee zu diesem intelligenten Zahnsteinentfernungsgerät entstand, als Kocher und Strackeljan sich 1996 auf der Hannover Messe kennen lernten. Gemeinsam überlegten sie, ein Gerät zu konstruieren, das mithilfe von Ultraschallschwingungen nicht nur Zahnstein entfernen, sondern gleichzeitig auch verschiedene Zahnoberflächen voneinander unterscheiden kann – zum Beispiel Zahnstein und saubere Zahnwurzel.
Die Lösung: Das Handstück des Gerätes fängt die Ultraschallschwingungen, die von der Instrumentenspitze ausgesendet werden, auf und verarbeitet sie weiter. Denn diese Signale unterscheiden sich sehr deutlich, je nachdem auf welcher Oberfläche sich die Spitze befindet. "Das ist vergleichbar mit einer Rissprüfung an Weingläsern, die jeder kennt", erklärt Strackeljan. "Man schnippt mit dem Fingernagel gegen das Glas und regt es so zu Schwingungen an. Je nach Klang kann man sehr gut unterscheiden, ob ein Glas einen Sprung hat oder nicht." Letztendlich soll das Instrument danach gesteuert werden, ob Zahnstein vorhanden ist oder nicht.
Erstmals sofortige Erfolgskontrolle möglich
Das neue Zahnsteinentfernungsgerät bietet sowohl für Patienten als auch für Zahnärzte viele Vorteile: Zahnstein wird sehr viel besser erkannt als mit bisher verwendeten Verfahren. Das haben erste Tests im Labor und am Patienten gezeigt. Die Gefahr, Zahnstein zu übersehen oder gesunde Zahnsubstanz durch zu starkes Abschleifen zu schädigen, ist damit deutlich geringer. Im derzeitigen Stadium des Projektes kann das neu entwickelte Gerät in etwa 80 Prozent aller Fälle eine korrekte Unterscheidung treffen.
"Gegenüber den herkömmlichen Verfahren, bei denen praktisch keine objektive Kontrolle möglich war, ist dies eine entscheidende Verbesserung", sagt Kocher. Außerdem gibt es als Kontrolle für den Behandlungserfolg bisher nur die Möglichkeit, mit feinen Drahtsonden die behandelte Stelle abzutasten.
Die Erfolgsquote, dabei Restzahnstein zu erkennen, ist jedoch selbst bei geübten Untersuchern nicht sehr groß. Zudem muss der Zahnarzt, sollte er mit dem Diagnosegerät noch Zahnstein aufgespürt haben, die behandlungsbedürftige Stelle mit dem Therapieinstrument erst einmal wiederfinden – eine zusätzliche Fehlerquelle. Das neue Gerät umgeht dieses Problem, da es Therapie- und Diagnoseinstrument in einem ist.
Noch nicht auf dem Markt, aber schon ein Gewinner
Als industrieller Partner konnte die Firma Sirona Dental Systems aus Bensheim gewonnen werden. Die Zusammenarbeit zwischen den nun drei Partnern findet im sehr engen Austausch statt. Schon jetzt sind die Ergebnisse im Bereich der Dentaltechnik eine echte Innovation.
Das wurde 2000 belohnt: Das von Kocher und Strackeljan geleitete Projekt war einer der Gewinner des Innovationswettbewerbes zur Förderung der Medizintechnik. Dieser Preis wird jedes Jahr vom BMBF verliehen und soll den ausgewählten Projekten die Möglichkeit geben, die Machbarkeit eines neuen Verfahrens, einer neuen Technik beziehungsweise einer neuen Projektidee für die medizinische Versorgung nachzuweisen.
"Das Preisgeld hilft uns sehr, die momentan noch kostenintensive und risikoreiche Grundlagenentwicklung unseres Projektes voranzutreiben", so Kocher. Und das ist ein wichtiger Schritt, damit die neue Methode zur Zahnsteinentfernung bald den Patienten zugute kommen kann.
Parodontitis
Parodontitis – umgangssprachlich auch Parodontose genannt – ist die Entzündung des Zahnhalteapparates. Sie wird durch Gifte aus dem Stoffwechsel von Bakterien verursacht und ist einer der Hauptgründe dafür, dass Menschen über 40 Jahre heutzutage ihre Zähne verlieren. Die Keime vermehren sich in Zahnfleischtaschen, ihr Nährboden sind Zahnbelag und Zahnstein. Die Erkrankung verläuft in Schüben. Mangelnde Zahnpflege, fehlerhafte Ernährung, Rauchen, Allgemeinerkrankungen wie Diabetes mellitus oder Faktoren wie Depression, Stress und Angst können den Verlauf beeinflussen.
Ziel einer Parodontitisbehandlung ist es, alle bakteriellen Verunreinigungen aus der Zahnfleischtasche zu entfernen und dabei das Zahnfleisch sowie die gesunde Zahnsubstanz so wenig wie möglich zu schädigen. Um einen langfristigen Behandlungserfolg zu erzielen, muss der Patient seine Mundhygiene optimieren.
Das bedeutet, zusätzlich zum Zähneputzen die Zahnzwischenräume einmal täglich mit Zahnseide oder speziellen Bürstchen zu reinigen und regelmäßig im Abstand von drei bis sechs Monaten eine professionelle Belagsentfernung beim Zahnarzt durchführen zu lassen. Nur so kann die Neubildung von Zahnbelägen und damit das Fortschreiten der Parodontitis verhindert werden.
Ansprechpartner:
Professor Dr. Thomas Kocher
Abteilung Parodontologie
Zentrum ZMK
Rotgerberstr. 8
17487 Greifswald
Tel.: 03834/86 71 72
Fax: 03834/86 71 71
E-Mail: kocher@uni-greifswald.de