Für die Therapie einer Demenz ist es entscheidend zu wissen, unter welcher Form der Erkrankung Betroffene leiden. Forschende der TU München entwickeln ein KI-Tool, das die vier häufigsten Demenztypen schnell und treffsicher zu unterscheiden hilft.
Weltweit sind etwa 55 Millionen Menschen an einer Demenz erkrankt. Aktuellen Schätzungen zufolge wird sich diese Zahl in den kommenden 30 Jahren verdreifachen. Mehr als die Hälfte aller Patientinnen und Patienten leiden unter Alzheimer, der häufigsten Form von Demenz. Es gibt aber noch einige weitere Typen. Je nach Demenzform, Krankheitsstadium und individuellem Gesundheitszustand kommen unterschiedliche Medikamente und Therapien in Frage. Zu Beginn ähneln sich die Symptome der verschiedenen Erkrankungsformen jedoch stark, was eine differenzierte Diagnose bislang erschwert.
Ein Forschungsteam der TU München will das ändern: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler entwickeln ein KI-Tool, dass die Form der Demenz bereits im Anfangsstadium schnell und zuverlässig ermitteln soll. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt das Projekt „DeepMentia“ im Rahmen der Förderinitiative „Computational Life Sciences – CompLS“.
„Demenz – die Welt steht Kopf“: So lautet in diesem Jahr das Motto des Welt-Alzheimertages. Die Betroffenen leiden unter Gedächtnisstörungen und Zerstreutheit. Ihnen fehlen häufig die richtigen Worte für Alltagsgegenstände, und aus Scham ziehen sie sich oftmals zurück. Die Deutsche Alzheimer Gesellschaft will daher mit zahlreichen Veranstaltungen auf die Situation demenzkranker Menschen und ihrer Angehörigen aufmerksam machen. „Wir alle können etwas tun, damit Menschen mit Demenz den Boden unter den Füßen spüren, sich aufgefangen fühlen und Teil unserer Gemeinschaft sind“, so die Selbsthilfeorganisation.
Bis zur ersten Diagnose durchlaufen die Patientinnen und Patienten eine Reihe von Untersuchungen, bei der jede Menge Daten erzeugt werden. Dazu zählen etwa Bilddaten wie MRT-Aufnahmen des Gehirns, aber auch die Ergebnisse psychiatrischer Tests und genetische Informationen. „Mit dieser Vielzahl an unterschiedlichen Daten haben wir unser KI-Modell gefüttert und trainiert“, erklärt Professor Dr. Christian Wachinger von der TU München. „Dabei konnten wir auf einen Datensatz von mehreren Hundert Demenzerkrankten zugreifen.“ Das KI-Tool soll Ärztinnen und Ärzte künftig zuverlässig bei der Diagnose der vier häufigsten Demenzformen unterstützen. Neben Alzheimer zählen dazu die vaskuläre Demenz, die Lewy-Körperchen-Demenz sowie die Frontotemporale Demenz.
„Jeder Demenztyp hat eigenes Muster“
Für die treffsichere Analyse haben die Forschenden ein neuartiges KI-Verfahren entwickelt, das die Oberfläche des so genannten Kortex innerhalb von Sekunden rekonstruieren kann. Der Kortex, auch als Großhirnrinde bezeichnet, ist eine Schicht an der Oberfläche des Gehirns. Bei einer Demenzerkrankung nimmt die Dicke dieser Schicht ab. „Wir können messen, in welchen Regionen des Gehirns es zu einer Verdünnung des Kortex gekommen ist“, so Wachinger. „Das gibt Aufschluss über die Art der Demenz, denn jeder Demenztyp hat hier sein eigenes Muster.“ Diese Ergebnisse fließen neben anderen Daten in die Diagnose mit ein.
Wichtig ist den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern dabei auch, dass die KI-Analyse für die Anwendenden nachvollziehbar ist. „Bisher gleichen KI-Tools in der Regel einer Black Box. Niemand weiß genau, auf welcher Basis sie zu einem bestimmten Ergebnis gekommen sind“, sagt Wachinger. Das Münchener Forschungsteam visualisiert dagegen die Entscheidungswege der KI mit Hilfe von Diagrammen und Bilddaten. „So können die Ärztinnen und Ärzte genau sehen, welche Informationen zur Ermittlung der Diagnose beigetragen haben“, erläutert Wachinger. Das, so sind sich die Forschenden sicher, wird auch die Akzeptanz des Tools deutlich erhöhen. „Von den Medizinerinnen und Medizinern, mit denen wir zusammenarbeiten, wurde das sehr gut aufgenommen.“
Wachinger rechnet damit, dass das Modell in spätestens drei Jahren einsatzbereit sein wird. Dann, so hoffen die Forschenden, könnten sie eine Firma mit ins Boot holen, die bereits gängige Software für den Alltag in der Klinik oder Arztpraxis anbietet. Das KI-Tool zur Demenz-Diagnose könnte dann einfach in dieses System integriert werden. Und Wachinger ist sich sicher: „Dann hat es noch bessere Chancen, von Ärztinnen und Ärzten angenommen zu werden.“
Innovative Software-Tools für Diagnostik und Therapie
In der Patientenversorgung und der klinischen Forschung wächst die Menge an elektronisch verfügbaren Daten rasant. Intelligente Algorithmen können in diesen riesigen Datenschätzen versteckte Muster aufspüren. Sie helfen dabei, Zusammenhänge zu erkennen sowie verbesserte Ansätze für die Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten zu finden. So entwickeln Forschende etwa mit Methoden der Künstlichen Intelligenz innovative Software-Werkzeuge, die den individuellen Krankheitsverlauf vorhersagen sollen und somit passgenaue Therapieempfehlungen liefern können. Mit der Förderinitiative „Computational Life Sciences“ treibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Entwicklung innovativer Software-Tools für die Lebenswissenschaften voran. Einer der Schwerpunkte ist die Nutzung von Methoden der Künstlichen Intelligenz in der Biomedizin. Seit 2018 hat das BMBF bislang rund 53 Millionen Euro für mehr als 70 Forschungsprojekte bereitgestellt.