Ab und zu mal eine Erkältung. Ab und zu mal Nasenbluten. Das geht wohl bald vorbei, dachten die Eltern vom kleinen Felix. Aber es ging nicht vorbei. Denn Felix leidet an einer seltenen angeborenen Abwehrschwäche. Das Bundesministerium für Bildung Forschung (BMBF) fördert im Kampf gegen genau diese seltenen Arten von Erkrankungen seit 2009 ein Netzwerk, das „PIDNET“ für Primäre Immundefekterkrankungen. (Newsletter 68 / Juni 2014)
Expertinnen und Experten aus der Klinik und den Grundlagenfächern forschen hier mit vereinten Kräften. Ihr Ziel: die Erkrankungen frühzeitig erkennen und die Behandlungsmöglichkeiten verbessern. Felix konnten sie bereits mit einer neuen Behandlungsmethode, einer Gentherapie, helfen.
Auch beim kleinen Felix dauerte es viele Monate, bis seine seltene Erkrankung erkannt und schließlich behandelt wurde.Felix ist vier Jahre alt. Er tobt ausgelassen mit den anderen Kindern. Das war nicht immer so. Felix leidet nämlich an einer seltenen Erkrankung. Seinen Eltern fiel schon früh auf, dass ihr Sohn oft krank war. Er hatte ständig eine Mittelohrentzündung und häufig Nasenbluten. Immer wieder hatte er blaue Flecken, auch von ganz leichten Prellungen und Stürzen. Wie viele Kinder mit seltenen Erkrankungen wurde auch bei Felix zunächst eine falsche Diagnose gestellt. Es dauerte viele Monate, bis die erste Diagnose „Idiopathische thrombozytopenische Purpura“, eine häufige und meist harmlose Erkrankung der Blutplättchen, in die Diagnose „Wiskott-Aldrich-Syndrom“ korrigiert wurde. Denn Felix leidet an einer sehr seltenen angeborenen Abwehrschwäche. Mediziner sprechen auch von einer Primären Immundefizienz oder kurz PID.
Bei diesen Erkrankungen sind nicht genügend Abwehrzellen im Blut, oder aber ihre Funktion ist eingeschränkt. Der Grund dafür liegt in den Genen. Betroffene Kinder leiden schon in ihren ersten Lebensmonaten an den Folgen der angeborenen Immunschwäche. Unbehandelt führen diese Erkrankungen oft zu einem frühen Tod in der Kindheit. Eine Therapie mit Antibiotika und Immunglobulinen kann zwar in vielen Fällen Symptome lindern, die Erkrankungen aber nicht heilen. Für viele Patienten mit PID ist eine Knochenmarkstransplantation die Therapie der Wahl.
Dabei ist man aber nicht nur auf einen geeigneten Spender angewiesen. Vor der Transplantation müssen die körpereigenen Blutstammzellen der Kinder gänzlich vernichtet werden. Das geht nur mit einer Chemotherapie. Nach der Transplantation besteht dann die Gefahr, dass das fremde Knochenmark sich gegen den neuen Körper richtet. Diese Therapie ist aufwendig, kräftezehrend und kann zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen.
Dass Felix heute trotz seiner Krankheit fast wie ein gesundes Kind leben kann, verdankt er einer neuen Behandlungsmethode, der Gentherapie, die maßgeblich im Rahmen des PID-NET und mit Fördermitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entwickelt wurde.
Ein Kind von hunderttausend ist betroffen
„Die Erforschung der Ursachen seltener Immundefekterkrankungen ist die Grundlage für die Entwicklung neuer Therapiever-fahren“, sagt Professor Dr. Christoph Klein, Sprecher des PID-NET.
Bei seltenen Erkrankungen ist es besonders schwierig, die Ursachen zu erforschen. Oftmals vergehen Jahre, bis eine Patientin oder ein Patient überhaupt weiß, woran sie oder er leidet. Ganz zu schweigen von den Behandlungsmöglichkeiten. „Die besonderen Herausforderungen bei einer Krankheit wie dem Wiskott-Aldrich-Syndrom können wir nur bezwingen, indem wir über Länder- und Fachgrenzen hinweg zusammenarbeiten. Nur wenn wir die Anstrengungen aller Akteure gut koordinieren, können wir Fortschritte erzielen“, fasst Professor Dr. Christoph Klein die Lage zusammen. Er ist der Sprecher des PID-NET und hat die Gentherapie für Felix maßgeblich mit entwickelt.
Kleiner Fehler, große Wirkung
Es sind oft nur kleine Fehler in der Erbsubstanz, die das gesamte Abwehrsystem der Betroffenen lahmlegen. Bisher wurden etwa 200 Gene identifiziert, deren Fehlfunktion zu einem Immundefekt führt. Im Fall von Felix liegt das veränderte Gen auf dem X-Chromosom. Ein bestimmtes Eiweiß, das WAS-Protein, kann nicht gebildet werden. Fehlt dieses Eiweiß, so ist die Funktion der Abwehrzellen im Körper eingeschränkt. Es können nicht ausreichend Antikörper gebildet werden, die wir brauchen, um Krankheitserreger schachmatt zu setzen. Auch die Blutplättchen, die normalerweise binnen Sekunden die Blutgerinnung ankurbeln und so dafür sorgen, dass sich unsere Wunden wieder verschließen, waren bei Felix nicht aktiv. Das führte bei Felix zu stundenlangem Nasenbluten und blauen Flecken in der Haut.
Gentherapie bringt ein gesundes Gen in die Blutzellen
Klein und seine Kolleginnen und Kollegen haben
bei Felix und neun weiteren kranken Kindern ein gesundes WAS-Gen in Blutstammzellen eingebracht. Hierfür müssen zunächst mittels eines Medikamentes die kranken Stammzellen aus dem Knochenmark in den Blutkreislauf gelockt werden. Anschließend können sie in einer Art Blutwäsche gesammelt und gereinigt werden. Im Labor wird dann das gesunde Stück Erbinformation mit einer „Genfähre“ in die kranken Knochenmarkzellen geschleust. Diese genetisch korrigierten Zellen werden den Patienten wieder zurückgegeben, sie nisten sich im Knochenmark ein und können gesunde Blutzellen bilden. „Neun von zehn Patienten konnten wir auf diese Weise helfen: Ihr Immunsystem funktionierte nach der Behandlung, und ihre Blutungsneigung verschwand“, fasst Klein zusammen.
Risiken mindern
Dieses Verfahren ist allerdings nicht ohne Risiko. Einige Kinder haben nach einem solchen Eingriff eine Leukämie (Blutkrebs) entwickelt. Wenn das neue gesunde Gen nämlich auch benachbarte Abschnitte in der Erbsubstanz aktiviert, könnten sich die Stammzellen ungehindert teilen und irgendwann zu Krebszellen werden. „Diese Nebenwirkung ist weltweit bei mehreren Patienten mit verschiedenen Immundefekten Jahre nach der Gentherapie beobachtet worden, auch bei unseren WAS-Patienten. Wir müssen daher neue Genfähren entwickeln, die einerseits ihre Wirksamkeit behalten, andererseits aber keine schweren Nebenwirkungen zur Folge haben“, erklärt Klein.
Ein kleiner Pieks kann Leben retten
Beim Neugeborenen-Screening werden ein paar Blutstropfen des Babys entnommen und anschließend im Labor untersucht. Das PID-NET hat einen Test etabliert, mit dem in diesem Blut seltene Immundefekterkrankungen festgestellt werden können, bevor das Kind krank wird.Immer noch werden primäre Abwehrschwächen viel zu spät erkannt – auch bei Felix war die Diagnose nur mit Verzögerung gestellt worden. Tückisch ist, dass die betroffenen Kinder meist direkt nach der Geburt keine Anzeichen einer Abwehrschwäche haben und gesund erscheinen. Doch das kann sich in den ersten Lebensmonaten und -jahren schlagartig ändern. Erkranken die Kinder dann an schweren Infektionen, können lebenswichtige Organe bleibende Schäden davontragen. Bei einigen dieser Erkrankungen würde ein einfacher Test Gewissheit geben, ob das Kind gesund ist oder nicht. Ein paar Tropfen Blut würden dafür ausreichen. Für einige Stoffwechselerkrankungen wie beispielsweise die Phenylketonurie wird das schon gemacht. Im Rahmen des Neugeborenen-Screenings werden bei allen Babys routinemäßig am dritten Lebenstag ein paar Tropfen Fersenblut entnommen und auf eine Art Löschpapier geträufelt. Eine Arbeitsgruppe im PID-NET hat einen Test etabliert, mit dem man in diesem Blut Immundefekterkrankungen feststellen kann, bevor die Kinder krank werden. „Dieser Test kann Leben retten“, betont Klein. Denn Studien aus den USA und England zeigen, dass Babys, deren primäre Abwehrschwäche bereits während eines frühen Screenings erkannt wird, eine deutlich höhere Heilungschance haben. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des PID-NET setzen sich derzeit gemeinsam mit Patientenverbänden dafür ein, dass dieses Screening auch in Deutschland von den Sozialversicherungsträgern finanziert wird.