Schizophrene Menschen können mithilfe geeigneter Trainingsprogramme ihre sozialen Fähigkeiten verbessern. Zu diesem Ergebnis kommen Wissenschaftler des Kompetenznetzes Schizophrenie. Sie boten in einem Pilotprojekt spezielle Übungsverfahren zur Steigerung der so genannten emotionalen Intelligenz an. Die Ergebnisse sind ermutigend: Nach dem Training erkannten die Betroffenen Gefühle ihres Gegenübers sehr viel genauer als vorher.
Zu den typischen Erscheinungsformen einer Schizophrenie gehören nicht nur Wahnvorstellungen, Halluzinationen und Denk- oder Ich-Störungen. Auch so genannte negative Symptome, das heißt der Verlust oder die Verflachung bestimmter Fähigkeiten, charakterisieren die Erkrankung. Negativsymptomatik kann sich zum Beispiel äußern in Antriebslosigkeit bis hin zur Apathie oder in einer Sprechverarmung. Besonders hinderlich für die Integrationsfähigkeit Schizophrener und häufige Ursache für Isolation und sozialen Rückzug sind Beeinträchtigungen der "emotionalen Intelligenz". Der Begriff beschreibt die Fähigkeit, eigene und fremde Emotionen zu erkennen, einzuordnen und mit ihnen umzugehen - unter anderem auch das Vermögen, im Kontakt mit anderen Menschen deren "emotionale Botschaften" richtig zu deuten. Schizophrene Menschen haben oft große Schwierigkeiten, jenseits der Sprache, aus Mimik und Verhalten des Gegenübers auf dessen Gefühle zu schließen. Sie bemerken nicht, ob der Gesprächspartner fröhlich, traurig, zornig oder angeekelt ist. Dass sich daraus massive Schwierigkeiten im täglichen Umgang mit den Mitmenschen ergeben können, liegt auf der Hand.
Patienten vom Training begeistert
Mitarbeiter des Kompetenznetzes Schizophrenie entwickelten deshalb die Idee, Defizite im Bereich der emotionalen Intelligenz durch spezielle Trainingsprogramme auszugleichen. Das Projekt "Psychologische Interventionsstrategien bei kognitiven und emotionalen Störungen" startete im Januar 2000 zeitgleich an den Universitätskliniken Düsseldorf und Freiburg. Als Teil des Kompetenznetzes Schizophrenie wird es vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. In die Programme aufgenommen werden in der Regel Patienten gegen Ende eines stationären Klinikaufenthalts, deren akute schizophrene Symptomatik mit Wahnvorstellungen oder Halluzinationen bereits abgeklungen ist. Das Training erstreckt sich über sechs Wochen und umfasst zwölf Sitzungen von jeweils etwa einer Stunde Dauer. Bisher wurden 170 Patienten eingeschlossen. Die Betroffenen nehmen das Trainingsangebot mit großer Begeisterung an, wie Dr. Wolfgang Wölwer, Leiter des Düsseldorfer Teilprojekts zufrieden bemerkt. "Es ist eines der wenigen Projekte im Kompetenznetz Schizophrenie, das sein Soll bei der Patientenrekrutierung übererfüllt."
Standardisierte Porträt-Fotografien
Die Wissenschaftler wählten an den beiden Universitäten unterschiedliche Ansätze, die sich vor allem in der "Breite" der trainierten Fähigkeiten unterscheiden. Das Düsseldorfer Team konzentrierte sich von vornherein auf einen kleinen Teilbereich der emotionalen Intelligenz. Schizophrene Menschen sollen dabei lernen, den Gesichtsausdruck anderer Personen richtig zu deuten. Im Mittelpunkt des "Trainings zur Affekt-Dekodierung" (TAD) steht die Beschäftigung mit Porträt-Fotografien. Diese entstammen standardisierten Fotoserien und stellen beispielhaft charakteristische Gesichtsausdrücke vor. Spezielle Computerprogramme ermöglichen die gezielte Modifikation der Mimik und die Herstellung von Bilderfolgen sowie kürzeren Filmsequenzen. Therapeut und Patient analysieren die Besonderheiten der Gesichtsausdrücke, setzen sie in Beziehung zu den möglichen Gefühlen und Gedanken des Foto-Gegenübers und bringen sie in einen situativen Kontext. Die Patienten müssen ihre Eindrücke zu Beginn des Trainings verbalisieren und begründen. Im weiteren Verlauf sollten im Alltag Analyse und Deutung dann wieder weitgehend automatisch ablaufen. In Freiburg wird umfassender geübt. Das "Training emotionaler Intelligenz" (TEI) hat zum Ziel, neben der Fremd- auch die Selbstwahrnehmung zu verbessern und den angemessenen Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen zu fördern. So werden Situationen, die dem Patienten Angst machen, hinterfragt und Strategien entwickelt, um mit der Angst besser umgehen und dadurch die Situation bewältigen zu können. Dabei kommen unter anderem Rollenspiele zum Einsatz.
Soziale Wahrnehmung lässt sich trainieren
Der Erfolg von TAD und TEI wird zunächst anhand standardisierter Testverfahren überprüft. Die Studienteilnehmer bewerten einmal vor Beginn der Trainingsprogramme und einmal an ihrem Ende den emotionalen Ausdruck auf 24 Porträt-Fotografien. Beim TEI kommen wegen des breiteren Ansatzes zusätzlich weitere Testverfahren zur Anwendung. Um festzustellen, ob Erfolge unter TAD und TEI tatsächlich auf das Training zurückzuführen sind und nicht nur auf einen engen Therapeuten-Patienten-Kontakt und intensive Betreuung, werden außerdem Kontrollgruppen gebildet. Diese Patienten unterziehen sich einem im Ablauf vergleichbaren Training, das jedoch in erster Linie auf eine Verbesserung kognitiver Leistungen wie Aufmerksamkeit und Gedächtnis abzielt. Die ersten Ergebnisse sind erfreulich. Sowohl unter TAD als auch unter TEI verbesserte sich das Erkennen der Mimik anderer Personen deutlich. TAD scheint dabei geringfügig effektiver zu sein. In den Kontrollgruppen zeigten sich zwar positive Effekte in Bezug auf das trainierte kognitive Vermögen, die Affekt-Dekodierung blieb aber unbeeinflusst."Die Fähigkeit zur sozialen Wahrnehmung bei Schizophrenie-Patienten lässt sich tatsächlich trainieren. TAD und TEI sind dabei ähnlich erfolgreich", stellt Dr. Wölwer fest. Gleichzeitig merkt er an, dass für die übrigen, im Rahmen des TEI bearbeiteten emotionalen Kompetenzen - der Umgang mit eigenen und fremden Gefühlen leider keine Verbesserungen nachweisbar waren. Auch Langzeiteffekte ließen sich zurzeit noch nicht abschätzen. Es ist deshalb geplant, sechs Monate nach Abschluss der Trainingsprogramme alle Patienten noch einmal einem Test zu unterziehen. "Noch wichtiger", so Dr. Wölwer, "ist die Frage, ob das Training auch das langfristige Ziel solcher Therapiebausteine erreicht - nämlich ob es die Integration der Betroffenen in die Familie, den Beruf und den Freundeskreis verbessert." Die Programme sind deshalb nur ein erster - wenngleich ermutigender - Schritt hin zu umfassenden Angeboten, die den Betroffenen die Rückkehr in ein weitgehend normales Leben ermöglichen sollen.
Ansprechpartner:
Dr. phil. Wolfgang Wölwer, Dipl.-Psych.
Leiter der Netzwerkzentrale des
Kompetenznetzes Schizophrenie
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
- Rheinische Kliniken Düsseldorf -
Bergische Landstraße 2
40629 Düsseldorf
Tel.: 0211/9 22-20 02
Fax: 0211/9 22-20 20
E-Mail: woelwer@uni-duesseldorf.de
BMBF-Förderung
Kompetenznetz Schizophrenie
Laufzeit: 1999-2004
Fördersumme: 12,8 Mio. Euro
Im Kompetenznetz Schizophrenie arbeiten 16 Psychiatrische
Universitätskliniken, fünf Kinder- und Jugendpsychiatrische
Universitätskliniken, 14 Landes-, Bezirks- und Fachkrankenhäuser
sowie sechs nervenärztliche und allgemeinärztliche Praxenverbünde
zusammen.
Weitere Informationen:
http://www.kompetenznetz-schizophrenie.de/
Neurologische und psychiatrische Erkrankungen