Infektionen sind für die Medizin auch im 21. Jahrhundert eine der zentralen Herausforderungen. Wie lassen sich die großen Infektionskrankheiten am besten eindämmen? Was tun, wenn Keime immer unempfindlicher gegen Medikamente werden? Was sind die besten Präventionsstrategien? Diesen und anderen Fragen wollen die Forscherinnen und Forscher im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung, kurz DZIF, nachgehen. (Newsletter 62 / April 2013)
Das DZIF bringt seit 2012 mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in 32 universitären und außeruniversitären Einrichtungen an sieben Standorten zusammen. Es ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zur Erforschung der wichtigsten Volkskrankheiten initiiert wurden.
Herr Professor Krönke, Sie sind Sprecher des neu gegründeten Deutschen Zentrums für Infektionsforschung, kurz DZIF. Was sind die Ziele dieser neuen Struktur?
Professor Dr. Martin Krönke ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene an der Uniklinik Köln und Sprecher des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung.Die Aufgabe des DZIF kann man am besten unter dem Stichwort „Translation“ zusammenfassen. Es geht uns also um den Transfer von Ergebnissen aus der Grundlagenforschung in die medizinische Praxis. Denn nicht nur in Deutschland, sondern weltweit besteht eine Lücke zwischen der Grundlagenforschung auf der einen Seite und der Umsetzung der Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung in der Klinik auf der anderen Seite. Diese Lücke wollen wir im DZIF schließen. Und zwar nicht in erster Linie mit einzelnen Forschungsprojekten, sondern indem wir neue Strukturen schaffen.
Können Sie Beispiele für diese neuen Strukturen nennen?
Zum Beispiel bauen wir am Paul-Ehrlich-Institut, das in Deutschland unter anderem für die Zulassung neuer Impfstoffe zuständig ist, eine Beratungsstelle für regulatorische Fragestellungen auf. Hier können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler dann Fragen rund um die Prüfung und Zulassung neuer Therapien und Impfstoffe für Infektionserkrankungen stellen. Diese Beratungsstelle wird nicht nur den Wissenschaftlern des DZIF zugute kommen, sondern allen Infektionsforschern in Deutschland zur Verfügung stehen.
Ein weiteres Beispiel ist eine Einheit, die wir am Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig aufbauen. Hier werden Forscherinnen und Forscher von Experten hinsichtlich kommerzieller Aspekte ihrer Projekte beraten. Also zum Beispiel: Wie sieht die Patentsituation für einen neuen Therapieansatz aus? Gibt es verwandte Wirkstoffe, die in der Klinik wegen toxischer Nebenwirkungen gescheitert sind? Oder: Ist die Herstellung des Stoffes problematisch? Diese Beratungsstelle wird auch für unsere Kolleginnen und Kollegen außerhalb des DZIF sowie für die fünf anderen Deutschen Zentren ihre Dienste anbieten. Kooperation wird bei uns im DZIF großgeschrieben.
Was sind für Sie die wichtigsten oder erfolgversprechendsten Forschungsprojekte des DZIF?
Ein wichtiger Schwerpunkt des DZIF ist die Entwicklung neuer Antiinfektiva. Denn antibiotika-resistente Bakterien kommen wie eine Dampfwalze auf uns zu. Aktuell haben wir beispielsweise das Problem, dass in Krankenhäusern – insbesondere auf den Intensivstationen – Bakterien zu finden sind, die gegen alle Antibiotika resistent sind, die uns zur Verfügung stehen. Wir brauchen also dringend neue Antibiotika. Die Zeiten, in denen regelmäßig neue Antibiotika- Substanzklassen entdeckt wurden, sind vorbei. Seit den 80er Jahren ist nichts wesentlich Neues dazugekommen. Im DZIF beteiligen wir uns deshalb an der Entdeckung neuer Antibiotika. In Bonn und Saarbrücken werden große Substanz-Bibliotheken durchforstet, um neue inhibitorische, also wachstumshemmende oder gar Bakterien-tötende Wirkstoffe zu identifizieren. Bereits jetzt haben die Kollegen über 30 neue Substanzen entdeckt, die – zumindest im Reagenzglas – antibakterielle Wirksamkeit gezeigt haben. Eine dieser Substanzen steht kurz vor der klinischen Prüfung.
Forschung ist bekanntlich ein langwieriger Prozess. Oft muss man Jahre oder gar Jahrzehnte auf Ergebnisse warten. Gibt es dennoch bereits erste Ergebnisse im DZIF, die Sie erwähnen möchten?
Wir haben am DZIF eine Einheit „Emerging Infections“ gegründet, die sich mit neu auftretenden Infektionserregern beschäftigt. Diese Einheit hat sich auch auf die Fahne geschrieben, diagnostische Tests für neue Viren zu entwickeln. Denn wenn ein Erreger erstmals auftritt, gibt es zunächst auch keinen Test zum Nachweis des Erregers. Doch erst wenn man einen Test hat, kann man herausfinden, wo das neue Virus grassiert und wie es sich verbreitet. Hier haben wir am DZIF bereits einen ersten Erfolg erzielt. Derzeit verbreitet ein neues Coronavirus in Saudi-Arabien Angst und Schrecken. Unserer Einheit „Emerging Infections“ ist es innerhalb von zwei Wochen gelungen, einen diagnostischen Test für dieses neue Virus zu entwickeln. Zukünftig plant diese Einheit auch, Impfstoffe zu entwickeln.
Im DZIF werden auch klinische Studien durchgeführt. Haben Sie damit bereits begonnen?
In der Tat betreiben wir schon jetzt klinische Studien, die zum Beispiel darauf abzielen, ob man schon bestehende und bereits zugelassene Medikamente für andere Indikationen einsetzen kann. Ich erkläre das an einem Beispiel. Es gibt die HPV-Impfung, die junge Frauen vor Gebärmutterhalskrebs schützen soll. Wir werden nun eine Studie starten, die der Frage nachgeht, ob die Impfung gegen das humane Papillomvirus auch als Therapie bei Analkarzinomen eingesetzt werden kann, die ebenfalls durch HPV-Viren verursacht werden.
Ein anderes Beispiel. Bei einer Infektion mit Staphylokokken schreiben Richtlinien den Ärzten vor, Infizierte mindestens für zwei Wochen intravenös mit Antibiotika zu behandeln. Die Frage, die wir uns stellen, ist: Reicht es nicht, die Patienten nur sieben oder zehn Tage mit Antibiotika zu behandeln? Falls sich diese Hypothese bestätigt, hätte das eine immense Bedeutung für die Patienten und auch für den Verbrauch von Antibiotika. Denn je größer unser Antibiotikaverbrauch ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Resistenzen entwickeln. Die Pharmaindustrie hat natürlich kein Interesse, eine solche Studie durchzuführen.
Im DZIF arbeiten mehr als 150 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in 32 Einrichtungen an sieben Standorten zusammen. Wie funktioniert das?
Das funktioniert nach demokratischen Prozessen. Es gibt eine Mitgliederversammlung, in der jede der 32 Einrichtungen Mitspracherecht und jeder der sieben Standorte eine Stimme hat. Das DZIF ist als Rechtsform ein eingetragener Verein. Die Mitgliederversammlung ist unser oberstes Organ. Sie trifft sich zweimal im Jahr und wählt den dreiköpfigen Vorstand.
Einer der spannendsten Prozesse in der Aufbauphase des DZIF war die Frage: Wie koordinieren wir uns? Denn wenn 32 Einrichtungen zusammenarbeiten sollen, kann nicht jede Einrichtung machen, was sie will. Deshalb haben wir unsere Forschungsgebiete auf die Standorte verteilt und jedem Standort thematische Schwerpunkte zugeordnet. Zum Beispiel beschäftigen sich die Standorte Heidelberg und Köln schwerpunktmäßig mit dem Thema HIV. Diese Schwerpunktsetzung kann sich natürlich im Laufe der Entwicklung des DZIF verändern. Unser Verein soll atmen und die Strukturen sind nicht zementiert.
Es gab Zeiten, da wähnte man die Infektionskrankheiten schon besiegt. Werden wir Ihrer Meinung nach dank intensiver Forschung die Infektionskrankheiten zukünftig im Griff haben?
Infektionen sind alles andere als besiegt und wir werden den Kampf gegen die Bakterien und Viren nie gewinnen. Bakterien zum Beispiel teilen sich alle 20 Minuten. Im Vergleich zu uns Menschen haben sie eine enorm schnelle Evolution und können sich jederzeit an neue Bedingungen anpassen. Gerade ihre Resistenzentwicklung ist derart schnell, dass wir sprichwörtlich zusehen können, wie die Bakterien von Jahr zu Jahr resistenter gegen Antibiotika werden und ihre genetischen Informationen untereinander austauschen – auch über Speziesgrenzen hinweg.
Was man allerdings nicht vergessen darf: Bakterien werden zwar gegen Antibiotika resistent und Viren gegen anti-virale Therapien – aber nicht gegen Impfungen. Denn wenn man in einem Menschen eine Immunität erzeugt, greift diese bereits, bevor sich die Bakterien oder Viren vermehren können. Wenn sich hingegen bei einer Infektion erstmal Milliarden von Bakterien im Körper befinden, ist die Chance groß, dass sich einige wenige Antibiotika-resistente Bakterien darunter befinden. Diese wachsen dann auch unter Antibiotika-Gaben ungestört weiter. Bei einer Impfung können sich die Erreger gar nicht erst vermehren. Auf Dauer sind deshalb vor allem Impfstoffe eine Strategie, mit der wir am nachhaltigsten den Infektionskrankheiten entgegentreten können. Neben den Antibiotika, anti-viralen Therapien und Impfstoffen ist auch die Hygiene, vor allem in Krankenhäusern, ein wichtiges Standbein. Auch die Hygiene hat einen großen Stellenwert im DZIF.
Werden Sie im DZIF auch über die Grenzen Deutschlands hinweg forschen?
Ja, denn Erreger kennen keine Grenzen. Wir beschäftigen uns deshalb auch mit der Erregersituation im Ausland und verstehen uns nicht als Zentrum für deutsche Infektionskrankheiten, sondern als Deutsches Zentrum für Infektionserkrankungen und Infektionsforschung.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Martin Krönke
Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene
Universität zu Köln
Goldenfelsstraße 19–21
50935 Köln
Tel.: 0221 478-32000
Fax: 0221 478-32002
E-Mail: m.kroenke@uni-koeln.de
Geschäftsstelle des DZIF e. V.
Inhoffenstraße 7
38124 Braunschweig
Tel.: 0531 6181-1152
Fax: 0531 6181-1153
E-Mail: info@dzif.de