Gesundheitsförderung im Alter macht Sinn: Das belegt die Langzeitstudie LUCAS. Welche Hürden müssen dabei überwunden werden? Was kann helfen? Und worauf schaut man am Ende? Im Interview antwortet Präventionsforscherin Dr. Ulrike Dapp auf diese Fragen.
Sehr geehrte Frau Dr. Dapp, Sie haben über 20 Jahre eine wissenschaftliche Studie zur aktiven Gesundheitsförderung im Alter durchgeführt und begleitet – ein Projekt mit Marathon-Charakter. Was hat Sie beim Start des Projekts bewegt?
Als wir vor gut 20 Jahren mit der Datenerhebung starteten, wollten wir vor allem das Ausmaß an Hilfs- und Pflegebedürftigkeit älterer Menschen wissenschaftlich erfassen. Das kam zu dieser Zeit noch einem Blick in die „Blackbox“ gleich; Gesundheit im Alter war weniger ein Thema als die mit dem Alter verbundenen Krankheiten. Wie Menschen ab 60 Jahren – immerhin etwa ein Viertel der Bevölkerung – über einen langen Zeitraum gesund altern können, war in der Präventionsforschung bis dahin eine vernachlässigte Frage.
Wie haben Sie es geschafft, LUCAS über einen so langen Zeitraum weiterzuentwickeln und die Ergebnisse in der Praxis zu verankern?
Gar nicht so einfach war es für uns, Geldgeber mit „langem Atem“ zu finden. Denn in der Regel beschränken sich öffentliche Gelder, mit denen Forschungsprojekte gefördert werden, auf eine Dauer von zwei bis vier Jahren. Die kontinuierliche Finanzierung der Langzeitstudie war deshalb zumindest in den ersten Jahren eine Herausforderung. Die Förderung für LUCAS glich zunächst einer Patchworkfinanzierung: Immer dann, wenn eine Finanzierung auslief, galt es, eine passgenaue Anschlussfinanzierung zu finden, um die nächste Phase der Erhebung an den Start bringen zu können. LUCAS steht dank der Förderung durch das Bundesfamilien- und das Bundesforschungsministerium, durch die Europäische Kommission im Rahmen von HORIZON 2020 und Stiftungen sowie durch kommunale Behörden auf sehr vielen Füßen. Diese breit gefächerte Unterstützung hat sich sehr gut ergänzt, denn immer war die LUCAS-Kohorte für uns ein zentrales Fundament, das wir bei unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen nutzen konnten. Jetzt nach 20 Jahren Beobachtungszeitraum ist die Finanzierung sehr viel leichter geworden. Denn nun liegen einzigartige Daten vor, die sonst niemand anders hat.
Mit unseren Arbeiten konnten wir zeigen, dass aktive Gesundheitsförderung über passgenaue Maßnahmen auch und gerade im Alter Sinn macht. Die praktische Umsetzung unserer Forschungsergebnisse haben wir dabei von Anfang an mitgedacht – ermuntert und unterstützt von Förderinstitutionen wie dem BMBF, das potenziellen Verwertungsprodukten zentrale Bedeutung beimisst. Sowohl die Forschung als auch die Förderung war immer darauf ausgerichtet, pragmatische Maßnahmen zu entwickeln, die auf die Zielgruppe älterer Menschen ausgerichtet waren und auf die Akteure, die mit diesen Menschen arbeiten.
Mit unseren Arbeiten konnten wir zeigen, dass aktive Gesundheitsförderung über passgenaue Maßnahmen auch und gerade im Alter Sinn macht.
Ulrike Dapp
Inzwischen ist das von uns entwickelte Programm „Aktive Gesundheitsförderung im Alter“ zum festen Bestandteil der Präventionsdatenbanken der gesetzlichen Krankenversicherer in Deutschland geworden. Wir haben schon früh während der Förderung durch das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend – und vor der Auszeichnung des Programms mit dem Deutschen Präventionspreis 2005 – ein Curriculum geschrieben, auf dessen Grundlage deutschlandweit Schulungen durchgeführt werden können. Das Curriculum steht beispielhaft für die Relevanz von Verwertungsprodukten, die auch im Zuge einer BMBF-Förderung immer gefordert werden.
Was waren bzw. sind besonders wichtige Wegbereiter für die Transfererfolge von LUCAS – und auch allgemein für die Präventionsforschung?
Zum einen veröffentlichen wir unsere wissenschaftlichen Ergebnisse vornehmlich auf Deutsch und in deutschen Wissenschaftsjournalen. Zudem sind wir in internationalen Gremien, wie beispielsweise der europäischen Akademie für Altersmedizin, kurz EAMA, vertreten und publizieren natürlich auch in englischer Sprache. Doch uns geht es darum, unsere Erkenntnisse an die Entscheidungsträgerinnen und -träger vor Ort weiterzugeben und sie zu beraten, wie sich unsere Forschungsergebnisse in die Praxis umsetzen lassen. Schließlich sind auch unsere Interventionsmaßnahmen auf die deutsche Bevölkerung und das deutsche Gesundheitssystem zugeschnitten.
Wichtig und bemerkenswert ist zum Zweiten, dass die LUCAS-Kohorte so stabil ist; von den ursprünglich mehr als 3.000 Teilnehmenden sind etwa 1.000 immer noch dabei. Wir altern sozusagen gemeinsam und tun alles dafür, einen engen Kontakt zu den Seniorinnen und Senioren zu halten – nicht nur über Fragebögen und persönliche Begegnungen im Albertinen Haus. Seit 20 Jahren ist die Ansprechperson an unserer Telefonhotline deshalb die gleiche und wir empfinden eine große Wertschätzung füreinander, die sich zum Beispiel auch in Kleinigkeiten wie selbst gedichteten Oster- oder Weihnachtsgrüßen ausdrückt.
Wir forschen mit den Teilnehmenden der Studie und für sie.
Ulrike Dapp
Drittens haben wir die Seniorinnen und Senioren immer wieder auch angeregt, Themen zu benennen, die sie in ihrem Lebensalltag bewegen und in die Studie aufgenommen werden sollen. Außerdem werden in der LUCAS-Kohorte die Einstellungen zu aktuellen Inhalten aus den Altersberichterstattungen wie beispielsweise Ambient Assisted Living vertiefend erfragt. Das spricht die älteren Menschen an. Sie finden es gut, gehört zu werden und für die Wissenschaft etwas beizutragen. Umgekehrt haben wir den Menschen aus der LUCAS-Kohorte ja auch etwas zurückgeben können, indem wir gezeigt haben, was aus ihren Angaben geworden ist – wir forschen mit den Teilnehmenden der Studie und für sie.
Was motiviert und begeistert Sie auch nach 20 Jahren noch für das LUCAS-Projekt?
Dass wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Transfer von der Forschung in die Praxis so aktiv mitgestalten konnten und können, freut uns natürlich sehr. Der 2015 veröffentlichte Aktionsplan der Weltgesundheitsorganisation WHO „Ageing and Health“ spiegelt viele unserer Forschungsergebnisse wider – natürlich fühlen wir uns dadurch in unserer Arbeit bestätigt. Wir konnten zu einem Umdenken in der Gesellschaft beitragen: Aktive Gesundheitsförderung im Alter und das Thema Prävention sind zu wichtigen, auch in den Medien viel kommunizierten Themen geworden.
Vielen Dank für das Gespräch.