Medikament statt Blutwäsche - Kinder vor Nierenversagen schützen

„Für meine Krankheit gibt es leider keine Behandlung!“ Das wissen Kinder mit Alport-Syndrom nur allzu gut. Ihre seltene erbliche Nierenerkrankung endet bislang unweigerlich im lebensbedrohlichen Nierenversagen. Doch seit 2013 gibt es endlich Hoffnung für die kleinen Patienten. Ein für die Behandlung von Bluthochdruck zugelassenes Medikament könnte das Nierenversagen deutlich verzögern. Eine klinische Studie soll die Belege liefern. (Newsletter 66 / Februar 2014)

Bildquelle: Thinkstock Patienten mit Alport-Syndrom sind meist ab ihrem 22. Lebensjahr auf eine regelmäßige Blutwäsche angewiesen.Seit mehr als zehn Jahren hat Professor Dr. Oliver Gross ein Ziel: Kinder mit dem seltenen Alport­-Syndrom vor dem Nierenversagen zu bewahren. Tagsüber kümmert er sich um seine Patienten, abends steht er im Labor und forscht, an den Wochenenden schreibt er Publikationen, Anträge und klinische Prüfpläne. Gross ist passionierter Mediziner: „Ich konnte einfach nicht akzeptieren, dass wir Eltern und Kindern, bei denen wir im Grundschulalter das Alport-Syndrom diagnostizieren, sagen müssen: Sorry, da kann man nichts machen, in zehn Jahren sehen wir uns an der Dialyse wieder.“ Denn genau das war bislang die Konsequenz der Diagnose. Die Kinder haben fehlgebildetes Bindegewebe, meist durch einen Gendefekt in den Typ IV Kollagenfasern. Diese genetische Veränderung lässt ihre Nieren zunehmend vernarben. Die Folge: Die Nieren können den Körper nicht mehr von schädlichen Substanzen und überflüssigem Wasser befreien. Im Schnitt sind die Betroffenen ab dem 22. Lebensjahr auf eine Dialyse, also eine künstliche Blutwäsche, oder eine Nierentransplantation angewiesen. Zudem leiden die Kinder bereits früh an Wachstumsstörungen, Schwerhörigkeit, Sehstörungen, Herz-­Kreislauferkrankungen und häufigen Infekten. „Es gibt Patienten mit Alport­-Syndrom, die schon mit 20 Jahren nicht mehr arbeitsfähig sind – in erster Linie wegen ihrer Dialysepflicht“, beschreibt Gross.

Beharrlichkeit zahlt sich aus

Bildquelle: Universitätsmedizin Göttingen/Oliver Gross „Sollten wir Erfolg haben, gäbe es endlich Hoffnung für Kinder mit Alport-Syndrom“, sagt Professor Oliver Gross.Doch damit wollte sich der Nephrologe und Oberarzt am Uniklinikum Göttingen nicht abfinden. Sein damaliger Chef, Professor Manfred Weber aus Köln, und er hatten beobachtet, dass sich andere Nierenerkrankungen erfolgreich mit Medikamenten behandeln lassen, die eigentlich für die Behandlung von Bluthochdruck zugelassen sind. Warum sollte das nicht auch beim Alport­-Syndrom gelingen? „Kollegen haben unsere Idee damals als wissenschaftlich abwegig kritisiert, eine so einfache Therapie könne bei einer so hochkomplizierten genetischen Erkrankung nie und nimmer helfen“, erzählt Gross. Doch seine Kritiker sollten sich geirrt haben.
In Mäusen mit Alport­-Syndrom konnte Gross zeigen, dass ein ACE-­Hemmer mit dem Wirkstoff Ramipril tatsächlich das Nierenversagen deutlich hinauszögern kann. Seither werden viele Kinder mit Alport-­Syndrom bereits mit dem Medikament behandelt, obwohl bislang keine zuverlässigen Daten zu Wirkung und Nebenwirkungen vorliegen. Dies soll sich ändern. In einer länderübergrei­fenden klinischen Stu­die untersucht Gross derzeit, ob die Behandlung mit Ramipril Kindern mit Alport-­Syndrom tatsächlich hilft und welche möglichen Risiken damit verbunden sind. Dabei unterstützt ihn das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit knapp einer Million Euro. „Ohne diese Förderung könnten wir die Studie nicht durchführen. Denn Pharmafirmen hatten bislang kein Interesse an der Studie, weil sich hieraus keine wirtschaftlichen Gewinne erzielen lassen. Erstens ist Ramipril ein alter Wirkstoff und zweitens ist das Alport­Syndrom eine seltene Krankheit, mit der sich nicht viel Geld verdienen lässt“, beschreibt der Nephrologe. In Deutschland sind etwa 5.000 Menschen vom Alport-­Syndrom betroffen. In der Studie möchte Gross herausfinden, ob es sinnvoll ist, Kinder so früh wie möglich, also unmittelbar nach der genetischen Diagnose und noch vor dem eigentlichen Ausbruch der Krankheit, mit dem ACE­-Hemmer zu behandeln. „Sollten wir Erfolg haben, gäbe es endlich Hoffnung für die Kinder und ihre Familien“, betont Gross. Die Studie ist die weltweit erste klinische Studie zur Behandlung von Kindern mit Alport­-Syndrom. „Für die Zukunft planen wir klinische Studien mit ganz neuen Wirkstoffen, die hoffentlich dazu beitragen, die Behandlungsmöglichkeiten des Alport­-Syndroms weiter zu verbessern.“
Kürzlich wurde Gross für seine langjährigen Forschungsarbeiten zur Behandlung von Kindern mit Alport­-Syndrom mit dem Galenus-­von-­Pergamon-Preis für Grundlagenforschung ausgezeichnet.

Wie wirkt der ACE-Hemmer?

Bildquelle: Universitätsmedizin Göttingen/Oliver GrossDie übermäßige Rotfärbung im Gewebeschnitt einer Maus mit Alport-Syndrom zeigt die Vernarbung der Niere durch fehlgebildetes Bindegewebe (links). Nach Behandlung mit dem ACE-Hemmer ist das Nierengewebe wieder intakt (rechts). Der vergrößerte Ausschnitt zeigt ein Nierenkörperchen, das für die Ultrafiltration des Harns verantwortlich ist.Wie genau der ACE-­Hemmer das Nierenversagen bei Alport­-Syndrom hinauszögert, ist noch nicht bekannt. „Das Medikament wirkt jedoch vermutlich auf verschiedenen Ebenen im Bereich der Nierenkörperchen“, so Gross. Die Nierenkörperchen sind  
für die Ultrafiltration des Harns verantwortlich. Sie bilden dabei eine Blut-­Harn-­Schranke, die darüber entscheidet, welche Moleküle filtriert werden. Die Blut­-Harn­-Schranke besteht aus drei Strukturen: dem Kapillarendothel, spezialisierten Zellen (Podozyten) und einer dazwischenliegenden Basalmembran. „Beim Alport-Syndrom ist diese Basalmembran lückenhaft zusammengebaut und kann deshalb ihre Funktion nicht erfüllen. Die Betroffenen haben deshalb Eiweiß im Urin“, erklärt Gross. Wie schützt der ACE-­Hemmer nun die Niere beim Alport­-Syndrom? Zum einen senkt der ACE-­Hemmer den Filtrationsdruck in den Nierenkörperchen und schont so die lückenhafte Basalmembran. Zum anderen schützt er die Podozyten, die durch die erhöhte Durchlässigkeit der Basalmembran besonders verwundbar sind. Darüber hinaus schirmt er den hinter den Nierenkörperchen liegenden Harn­-Sammelapparat ab und bewahrt ihn so vor den schädlichen Auswirkungen des vermehrten Eiweißverlustes der Niere. „Um genau zu verstehen, welchen Einfluss der ACE-­Hemmer auf die Nierenfunktion hat, muss aber noch viel geforscht werden“, sagt Gross.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Oliver Gross
Universitätsmedizin Göttingen
Abteilung Nephrologie
Robert­Koch­Str. 40
37075 Göttingen
Tel.: 0551 39-8912
Fax: 0551 39-8906
E­-Mail: gross.oliver@med.uni-goettingen.de