Medizinische Detektivarbeit: 10 Jahre Deutsches Cochrane Zentrum

Interview mit Dr. Gerd Antes, Leiter des Deutschen Cochrane Zentrums (DCZ)

Herr Dr. Antes, am 2. April 2008 feierte das Deutsche Cochrane Zentrum (DCZ) sein 10jähriges Bestehen. Wie erklären Sie einem Laien die Arbeit und die Bedeutung dieser Institution?
Unser Ziel ist es, den Transfer von Forschungsergebnissen in die Gesundheitsversorgung zu verbessern. Die Hauptaufgabe der internationalen Cochrane Collaboration ist die Erstellung, Verbreitung und Aktualisierung von systematischen Übersichtsarbeiten – Reviews – in der Medizin. Sie wurde 1993 gegründet und nach dem britischen Epidemiologen Sir Archibald Leman Cochrane benannt. Die Reviews fassen das zu einem spezifischen medizinischen Thema weltweit verfügbare Wissen zusammen. Sie bieten so Wissenschaftlern, Ärzten und Patienten eine fundierte Informationsgrundlage, um den aktuellen Stand der klinischen Forschung in kurzer Zeit objektiv
beurteilen zu können.

Wie ist die Arbeit der internationalen Cochrane Collaboration organisiert?
Die eigentliche inhaltliche Arbeit wird nicht von den 12 Cochrane Zentren gemacht, sondern von Autoren, die weltweit in 52 thematischen Review-Gruppen organisiert sind. Zwei davon haben ihren Sitz in Deutschland, in Köln und Düsseldorf. Hier im Deutschen Cochrane Zentrum organisieren wir hauptsächlich Schulungen für Autoren und Nutzer und sorgen dafür, dass die Informationen weltweit verfügbar sind. Die Übersichtsarbeiten fließen schließlich in eine vierteljährlich aktualisierte Datenbank ein, die Cochrane Library.

Wie stellen Sie die Unabhängigkeit der Review-Autoren sicher?
Es gibt strenge Regeln, die auf den Webseiten dargestellt sind. Regel Nummer Eins: Reviewer dürfen nicht von Herstellern finanziert werden, wenn ein Zusammenhang zu der bewerteten Intervention oder dem Medikament besteht. So sind zum Beispiel auch Autoren nicht zugelassen, die von einer Konkurrenzfirma bezahlt werden. Generell schließen wir privat finanzierte Studien aber nicht aus. Da nur 20 Prozent der Studien öffentlich finanziert werden, ist das nicht anders machbar.


Überschneidet sich die Arbeit der Cochrane Collaboration mit den Leitlinien, die weltweit von den medizinischen Fachgesellschaften erarbeitet werden und Ärzten konkrete Handlungsanweisungen für bestimmte Therapien geben?
Ja, aber in einem positiven Sinne. Die Leitlinien brauchen als Basis systematische Übersichtsarbeiten. Und diese Übersichten werden zu einem großen Teil von uns verfasst. Die Leitlinien-Gestaltung ist der nächste Schritt, der auf der Erstellung von systematischen Übersichtsarbeiten aufbaut. Eine Leitlinie zur Behandlung von Bluthochdruck kann auf Dutzende von Reviews aufbauen, die thematisch sehr spezialisiert sind - beispielsweise auf Reviews zu den entsprechenden Medikamenten, zum Einfluss von Sport auf den Blutdruck oder zur Rolle der Ernährung.

Zu den Aktivitäten des DCZ gehört auch das „Freiburger Handsearch-Projekt“. Warum suchen Sie in deutschen Fachzeitschriften der letzten 50 Jahre und in aktuellen Ausgaben nach medizinischen Studien?
Das systematische manuelle Durchsuchen von medizinischen Zeitschriften - wir sagen Handsearching - dient dem Ziel, sowohl ältere wie auch aktuelle hochwertige Studien aufzuspüren und weltweit in Datenbanken verfügbar zu machen. Ohne diese Detektivarbeit wären vor Jahrzehnten in deutschen Fachzeitschriften publizierte Studien nicht mehr nutzbar, weil sie in der elektronisch vernetzten Welt nicht auffindbar sind. Wir gehen etwa 50 Jahre zurück. In den ersten 10 Jahren finden wir aber nicht viel. Richtig los geht es eigentlich ab Anfang der 80er Jahre. Wir nehmen die Titel und übersetzen sie ins Englische. Die Beiträge finden Sie dann in der Cochrane-Datenbank. Auf diese Weise haben wir bis heute 18.000 Studien gefunden. Der Eintrag in der Cochrane Library bedeutet aber nicht mehr als einen Hinweis auf die Existenz einer Studie. Besorgen muss man sich die Studie dann immer noch beim Verlag, der die Zeitschrift herausgab.

Wie finanziert sich die Cochrane Collaboration?
Die Cochrane Collaboration ist eine internationale, gemeinnützige Organisation. Grundsätzlich muss jeder für die Arbeit in diesem Netzwerk sein eigenes Geld - das heißt Fördergelder oder andere Formen der Unterstützung - mitbringen. Die Einnahmen, die aus den Lizenzen für die Cochrane Library fließen, werden für die zentralen Strukturen und Funktionen der Collaboration verwendet. Das Deutsche Cochrane Zentrum wurde von seinen Anfängen im Jahr 1998 an in zwei Förderphasen bis 2004 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Derzeit erhalten wir Gelder vom Universitätsklinikum Freiburg und von Bundesministerium für Gesundheit. Weil wir hier in Freiburg die Webseiten der internationalen Cochrane Collaboration betreuen, werden auch Mitarbeiter von der Zentrale in Oxford finanziert.

Welche Rolle spielt das DCZ innerhalb der global agierenden Cochrane Collaboration?
Wir sind eher ein größeres Zentrum. Bei uns in Freiburg werden, wie schon erwähnt, alle Webseiten der internationalen Cochrane Collaboration gepflegt. Das sind rund 100 Webseiten in einem Dutzend unterschiedlicher Sprachen. Die Seiten werden von Menschen in rund 200 Ländern aufgerufen, rund 10 Millionen Mal im Jahr.

Ansprechpartner:
Dr. Gerd Antes
Deutsches Cochrane Zentrum
Universitätsklinikum Freiburg
Abteilung für Medizinische Biometrie
und Statistik
Stefan-Meier-Straße 26
79104 Freiburg
Tel.: 0761 203-6715
Fax: 0761 203-6712
E-Mail: mail@cochrane.de
Internet: www.cochrane.de