Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) hat ein neues Forschungskonsortium gegründet, das die vernachlässigten Tropenkrankheiten in den Blick nimmt. Es reagiert damit auf den dringenden Forschungsbedarf für Krankheiten, die die Ärmsten treffen.
Etwa eine Milliarde Menschen weltweit leiden unter den sog. vernachlässigten Tropenkrankheiten und sind in Gefahr, durch diese arbeitsunfähig, blind, entstellt und behindert zu werden oder zu sterben. Flussblindheit, Dengue-Fieber, Schlafkrankheit, Schlangenbisse oder Lepra sind nur einige bekannte Beispiele. Anders als Malaria, Tuberkulose und Aids betreffen diese Krankheiten nicht die Industrieländer, und auch Reisende sind selten gefährdet. Sie wurden daher vielfach vernachlässigt, auch im Hinblick auf Forschungsgelder. Dies soll sich nun ändern; klare Signale kommen aus der Politik. Das vom Bundesforschungsministerium geförderte DZIF arbeitet bereits eng mit afrikanischen Partnerinstitutionen zusammen und hat dadurch beste Voraussetzungen, um die translationale Forschung auf diesem Gebiet zu stärken.
Afrika gehört zu den Regionen, in denen die vernachlässigten Tropenkrankheiten endemisch vorkommen, quasi als „Volkskrankheiten“ auftreten. „Sie gehören in den betroffenen Ländern oftmals zu den häufigsten Krankheitsursachen“, erklärt Professor Achim Hörauf vom Universitätsklinikum Bonn. Er koordiniert das neue Konsortium im DZIF und forscht seit Jahren an Corallopyronin, einem Antibiotikum gegen Würmer aus der Gruppe der Filarien, die zum Beispiel die Flussblindheit auslösen.
Von Afrikanischer Schlafkrankheit bis Trematoden-Infektionen
20 Krankheiten hat die WHO als vernachlässigte Tropenkrankheiten in eine Prioritätenliste aufgenommen. Es handelt sich in erster Linie um Wurmerkrankungen, aber auch einzellige Parasiten, bakterielle und virale Erreger sind dabei. Bekannte Wurmerkrankungen sind die genannte Flussblindheit oder auch die gefürchtete Elefantiasis, die zu dauerhaft geschwollenen Gliedmaßen führt. Ein Beispiel für bakterielle Infektionen ist die Lepra, für virale Infektionen stehen die Tollwut und das Dengue-Fieber. „Im DZIF werden wir uns zunächst auf Wurmerkrankungen konzentrieren und vor allem eine bessere Diagnostik entwickeln“, erklärt Hörauf. „Das frühzeitige Erkennen dieser Krankheiten kann enormen Schaden für die Betroffenen abwenden.“
Vier Themen an vier Standorten
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des DZIF kooperieren mit ihren Partnerinstitutionen in Afrika und mit zwei weiteren afrikanischen Instituten. Sie forschen und entwickeln gemeinsam zunächst auf vier Gebieten. In Bonn entwickeln sie bessere Biomarker für die Diagnose der Flussblindheit. In Hamburg am Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin stehen die schnellere Diagnostik und die Epidemiologie der Bilharziose (Schistosomiasis) auf dem Programm, eine weitverbreitete Wurmerkrankung mit vielen Folgeschäden. Der Standort München nimmt Helminthen in den Fokus, parasitische Würmer, die häufig als Co-Infektion bei HIV-Infizierten auftreten. In Tübingen wird es zunächst um Diagnostika gehen, die mehrere gleichzeitig auftretende Parasiten aufspüren können. Co-Infektionen mit verschiedenen Parasiten sind ein häufiges Problem in Afrika, das bei Impfungen und anderen Maßnahmen berücksichtigt werden muss.
Bonn: Flussblindheit – Ansteckungsgefahr am Wasser
Die Flussblindheit ist Folge einer Filarieninfektion. Die Gefahr einer Infektion mit diesen Würmern ist an Flüssen besonders groß, da sich dort ihr Überträger, die Kriebelmücke, aufhält. Über 30 Millionen Menschen sind infiziert. „Was wir dringend brauchen, sind schnelle und empfindliche Tests, die anzeigen, wann man eine Behandlung abbrechen kann und wann Rückfälle drohen“, erklärt Hörauf, der in Bonn mit seinem Team nach neuen Biomarkern forscht. Ein Ziel ist die Diagnostik in Urinproben, die problemloser und mit weniger Risiko erhältlich sind als Blutproben.
Hamburg: Bilharziose – in Afrika am weitesten verbreitet
Die Bilharziose ist nach der Malaria die zweithäufigste parasitäre Tropenerkrankung weltweit. Der Erreger ist ein Saugwurm, der sich vom menschlichen Blut ernährt. Die Infektion erfolgt durch Kontakt mit Süßwasser, wo sich die Larven in Süßwasserschnecken entwickeln. Die Würmer können verschiedene Organe schwer schädigen. Die derzeit wichtigste Kontrollmaßnahme besteht in der Massenbehandlung mit Praziquantel, dem einzigen verfügbaren Medikament. Von dieser Behandlung ohne Diagnose sind allerdings schwangere Frauen und Kleinkinder ausgeschlossen. „Außerdem ist so eine breite Behandlung nur dort sinnvoll, wo die Infektion sehr häufig auftritt“, erklärt Dr. Norbert Schwarz. Gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen am Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg und in Madagaskar will er die Diagnostik und vor allem Schnelltests für Bilharziose weiterentwickeln, sodass die Betroffenen gezielter behandelt werden können.
Tübingen: Ein Parasit kommt selten allein
Eine Bilharziose geht oft mit einer Infektion durch weitere Parasiten einher. „In Afrika, vor allem in der Subsahara-Region, sind die Menschen häufig von zwei oder drei Parasitenarten gleichzeitig befallen“, erklärt Dr. Carsten Köhler vom Universitätsklinikum Tübingen. Im DZIF will er mit seinen Kolleginnen Dr. Meral Esen und Dr. Andrea Kreidenweiss nun ein Diagnoseschema entwickeln, das nach Möglichkeit verschiedene Parasiten erfasst. „Wir konnten zum Beispiel zeigen, dass eine bestimmte Art der Helminthen, zu denen auch Schistosomen zählen, das Immunsystem des Betroffenen so beeinträchtigen, dass ein Malaria-Impfstoffkandidat weniger wirksam war“, erklärt Köhler. Eine möglichst vollständige Diagnostik in einer Blutprobe sei entscheidend sowohl in der Entwicklung von Interventionen als auch für weitere Erfolge in Vorsorge und Behandlung.
München: Wurmerkrankungen und HIV
Auch hier steht die Co-Infektion im Vordergrund. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler am Klinikum der Universität München (LMU) erforschen das Zusammenspiel von bestimmten Wurmerkrankungen und HIV-Infektionen. „Sie fanden im Rahmen einer Kohortenstudie in Tansania heraus, dass eine Infektion mit dem Wurm Wuchereria bancrofti das Risiko für eine Ansteckung mit HI-Viren um das 2- bis 3-Fache erhöht. „Im neu gegründeten Konsortium wollen wir Diagnosesysteme entwickeln, die auch bei HIV-Patienten zuverlässige Ergebnisse bringen“, erläutert Professor Michael Hölscher.
Die Entwicklung neuer Diagnosemethoden steht derzeit im Mittelpunkt, doch in Zukunft wird das DZIF auch an Medikamenten und Impfstoffen forschen, so wie in den anderen DZIF-Bereichen auch. Ein erstes Beispiel ist das laufende Forschungsprojekt zu Corallopyronin A in Bonn. Das Antibiotikum wird derzeit in präklinischen Studien weiterentwickelt. Geplant ist eine Zulassung für erste Studien am Menschen in etwa vier Jahren.
Im Auftrag des BMBF initiierte das Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin eine Studie, die die deutsche Forschungslandschaft zu vernachlässigten Tropenkrankheiten analysiert. An der Studie beteiligten sich auch die DZIF-Wissenschaftler aus dem Konsortium.
Mehr zur Studie „Einschätzung des Beitrags deutscher Institutionen bei der Forschung zu vernachlässigten Tropenkrankheiten“ erfahren Sie hier.
Ansprechpartner:
DZIF-Konsortium Vernachlässigte tropische Krankheiten
Koordinator
Professor Achim Hörauf
Universitätsklinikum Bonn und DZIF
achim.hoerauf@ukbonn.de
Pressekontakt:
DZIF-Pressestelle
Karola Neubert und Janna Schmidt
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