Wie können neurodegenerative Erkrankungen frühzeitig erkannt werden? Im Interview erklärt Professorin Kathrin Reetz, was sie an dieser Forschungsfrage fasziniert und welche Tipps sie für junge Wissenschaftlerinnen hat.
Frau Professor Reetz, Sie beschäftigen sich mit der Bildgebung neurodegenerativer Erkrankungen. Woran arbeiten Sie und Ihr Team gerade?
Dr. Kathrin Reetz: Dank der Förderung meiner Nachwuchsgruppe durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung konnten wir unseren Schwerpunkt im Bereich der strukturellen und funktionellen Magnetresonanztomografie-Bildgebung, kurz MRT, um die metabolische Bildgebung erweitern. Hierbei setzen wir innovative Bildgebungstechniken, wie Natrium-MRT und Phosphor-Magnetresonanzspektroskopie, ein, um Stoffwechselveränderungen in besonders frühen Stadien der neurodegenerativen Erkrankungen zu untersuchen. All diese Methoden sind nicht invasiv.
Es gibt wohl kaum ein spannenderes Forschungsgebiet als unser Gehirn.
Prof. Dr. Kathrin Reetz, Universitätsklinikum der RWTH Aachen
Was erhoffen Sie sich von der Erforschung dieser frühen Krankheitsphasen?
Wir gehen davon aus, dass wir auf diese Weise ganz frühe Veränderungen darstellen können – also Veränderungen, die im zentralen Nervensystem entstehen, bevor die Zellen sterben und in der strukturellen MRT sichtbar werden. Das ist gerade bei den neurodegenerativen Erkrankungen extrem wertvoll. Denn diesen Erkrankungen geht eine sogenannte präsymptomatische Phase voran, das heißt eine Zeit, in der bei den Betroffenen zwar noch keine Symptome zu beobachten sind, die Krankheit aber bereits ausgebrochen ist. Diese Phase kann einige Jahre oder sogar Jahrzehnte andauern. Die MRT-Bildgebung eröffnet vielfältige Möglichkeiten, sowohl diese präsymptomatische Phase als auch die frühen symptomatischen Stadien neurodegenerativer Erkrankungen näher zu erforschen.
Dr. Kathrin Reetz ist Professorin für Bildgebung bei neurodegenerativen Erkrankungen in der Neurologie an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen. Ihr wissenschaftlicher Schwerpunkt ist die Identifizierung von klinischen Markern und Bildgebungsmarkern für neurodegenerative Erkrankungen, wie zum Beispiel die Parkinson- oder Alzheimerkrankheit, aber auch seltene Erkrankungen wie hereditäre Ataxien und die Huntington-Krankheit. Hierfür nutzt sie große Kohorten und unter anderem innovative bildgebende Verfahren. Die Ergebnisse bewertet sie im Zusammenhang mit verschiedenen klinischen und genetischen Parametern. Seit 2014 wird sie vom Bundesforschungsministerium in der Fördermaßnahme „Selbständige Forschungsgruppen in den Neurowissenschaften“ unterstützt.
Welche Vorteile hat das für die Patientinnen und Patienten?
Zum Zeitpunkt der klinischen Diagnose zeigen Patientinnen und Patienten bereits deutliche Veränderungen in bestimmten Bereichen des zentralen Nervensystems. Die Krankheit ist also bereits deutlich fortgeschritten, wenn mit der Behandlung begonnen wird. Viele innovative Therapieansätze könnten daran gescheitert sein, dass sie erst zu einem so späten Zeitpunkt eingesetzt werden. Daher ist die Identifizierung unter anderem von bildgebenden Markern, die Vorboten von neurodegenerativen Erkrankungen sein können, unverzichtbar.
Gibt es schon erste Forschungsergebnisse?
Erste Untersuchungen mit der Natrium-MRT zum Beispiel bei der neurodegenerativen Krankheit „Friedreich-Ataxie“ zeigen Veränderungen der Natriumkonzentration im Kleinhirn und Hirnstamm der Betroffenen. Diese Veränderungen scheinen spannenderweise auch mit Symptomen der Erkrankung assoziiert zu sein. Auch bei Patienten mit Alzheimerkrankheit sehen wir mit der Natrium-MRT-Bildgebung Veränderungen der Natriumkonzentration in Gehirnregionen, die für die Erkrankung wichtig sind.
Um diese metabolischen Fehlfunktionen, insbesondere in frühen Erkrankungsstadien, besser zu verstehen, wenden wir ein multimodales Bildgebungssetting an. Hierbei messen wir – neben klinischen und genetischen Parametern – auch Struktur, Funktion und Stoffwechsel des zentralen Nervensystems.
Die Friedreich-Ataxie ist eine fortschreitende neurologische Krankheit. Meist setzt sie im Kindesalter oder im frühen Erwachsenenalter ein. Erstmals wurde die Erkrankung 1863 von dem deutschen Neurologen Nikolaus Friedreich beschrieben.
Bei der Friedreich-Ataxie gehen Nervenbahnen im Rückenmark und Teile des Kleinhirns zugrunde. Betroffene haben unter anderem Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen sowie Schwierigkeiten beim Sprechen. Die intellektuellen Fähigkeiten sind in der Regel nicht beeinträchtigt.
Welches Ziel verfolgen Sie damit?
Unser Ziel ist es, maximal vielfältige Informationen zu gewinnen und so den besten Marker oder auch eine Kombination von Markern für die jeweilige Erkrankung zu identifizieren. Mit unserer Forschungsarbeit möchten wir zu einem besseren Verständnis der Erkrankungen beitragen. Und natürlich ist es unser Ziel, einen „bildgebenden Marker“ für neurodegenerative Erkrankungen zu entwickeln, der uns hilft, den Verlauf und Therapieeffekte auch in frühen Phasen der Erkrankungen zu messen.
Wie sind Sie zu diesem Forschungsgebiet gekommen?
Bereits bei meiner experimentellen Promotion im Bereich der Kardiologie wurde mir klar, wie spannend die Wissenschaft sein kann. Als ich dann noch während meines Medizinstudiums erstmals im Rahmen einer Hilfswissenschaftlerstelle in der Neuroradiologie in Kontakt mit der Neurobildgebung kam, wusste ich, dass es die Neurowissenschaften waren, die mich am meisten faszinierten.
Was reizt Sie an den Neurowissenschaften?
Es gibt wohl kaum ein spannenderes Forschungsgebiet als unser Gehirn und seine Verbindungen. Hinzu kommen fantastische technische Entwicklungen und eine extrem starke interdisziplinäre Vernetzung im Bereich der Neurowissenschaften.
Sie sind eine sehr erfolgreiche Wissenschaftlerin, Professorin für Neurologie und haben zwei Kinder. Wie familienfreundlich ist die Wissenschaft heutzutage?
An dieser Stelle gilt mein Dank meiner Familie, insbesondere meinem Ehemann, meinen Großeltern und Schwiegereltern sowie einer ganz tollen Kinderfrau. Ohne diese wirklich einzigartige Unterstützung hätte ich diesen Weg sicherlich nicht so einfach gehen können. Denn bei den öffentlichen und gesellschaftlichen Strukturen besteht immer noch ein großer Nachholbedarf. Die Wissenschaft betreffend, glaube ich, dass sie im Vergleich zur klinischen Tätigkeit doch sehr viel besser in Einklang mit Familie zu bringen ist, da man doch einige Tätigkeiten viel flexibler zu jeder Tages- und Nachtzeit gestalten kann.
In universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen sowie in der industriellen Forschung sind Frauen in Führungspositionen deutlich unterrepräsentiert. Dabei sind etwa die Hälfte der Studierenden Frauen. Diese Situation trifft auch auf dem Gebiet der Neurowissenschaften zu.
Mit der Förderung von selbstständigen Forschungsgruppen in den Neurowissenschaften unterstützt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit 2008 gezielt Wissenschaftlerinnen in diesem Forschungsfeld. Forscherinnen erhalten die Möglichkeit, ihre wissenschaftliche Expertise auszubauen und sich an einer deutschen Forschungseinrichtung international zu etablieren und sich gleichzeitig für die Übernahme einer Professur zu qualifizieren.
Welche Tipps können Sie jungen Wissenschaftlerinnen geben, die einen ähnlichen Karriereweg wie Sie einschlagen möchten?
Mein Motor ist meine Motivation und Freude, die ich an meiner Arbeit habe. Ich glaube, das ist ganz wichtig. Wenn das gegeben ist, kann einem fast alles gelingen!
Hat Ihnen die BMBF-Förderung „Selbständige Forschungsgruppen in den Neurowissenschaften“ für Ihre Karriere geholfen?
Definitiv! Ich bin überzeugt, dass sie eine Schlüsselrolle bei meinen W2-Verhandlungen in Aachen gespielt hat. Ich bin überaus dankbar, dass es diese Initiative gegeben hat und ich davon profitieren konnte. Sie hat mir genau zum richtigen Zeitpunkt die Freiheit gegeben, meinen wissenschaftlichen Schwerpunkt weiter zu vertiefen und meine Karriere weiter auszubauen.
Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Kathrin Reetz
Universitätsklinikum der RWTH Aachen
Pauwelsstraße 30
52074 Aachen
0241 80-85522
kreetz@ukaachen.de