Um Magenkarzinome erfolgreich medikamentös zu behandeln, bedarf es einer differenzierten Diagnostik der außerordentlich variantenreichen Tumorzellen. Dieses Ergebnis der VARIANZ-Studie ist ein wichtiger Schritt hin zu besseren Therapieoptionen.
Kaum eine Krebserkrankung ist so schwer zu behandeln wie das Magenkarzinom. In Deutschland gibt es pro Jahr knapp 15.000 neue Diagnosen mit häufig aggressiven Verläufen und etwa 9.000 Todesfällen. Die vielfältigen krebsbedingten Symptome und die ungünstige Prognose belasten die Betroffenen körperlich und psychisch stark, und wenn kurative Ansätze nicht mehr zur Verfügung stehen, sind die Überlebenszeiten oftmals kurz. Der Grund für die bislang eingeschränkten Therapieerfolge ist die große genetische und biologische Variationsbreite der Zellen innerhalb eines Tumors. Herkömmliche chemotherapeutische Wirkstoffe zeigen nur wenig Erfolge. Prof. Florian Lordick, Krebsforscher von der Universität Leipzig, nennt einen neuen Ansatzpunkt für Diagnostik und Therapie: „Die exakte molekulare Charakterisierung des Magenkarzinoms ist möglich, und sie eröffnet Aussichten auf eine zielgenauere und wirksamere Behandlung“. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus ganz Deutschland hat er deswegen in der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten VARIANZ-Studie die biologische Vielfalt und Heterogenität des Magenkarzinoms und deren Auswirkungen auf Therapieresistenzen untersucht.
Optimierte Labortests verbessern den Therapieerfolg
Im Fokus der VARIANZ-Studie stand der HER2-Rezeptor, der das Wachstum der Tumoren fördert und ein prägendes biologisches Merkmal von etwa einem Viertel aller Magenkarzinome ist. Der Antikörper Trastuzumab ist eines der wenigen Mittel, die überhaupt einen Effekt bei Magenkrebs zeigen und wird schon seit längerem bei Magenkarzinomen eingesetzt. Er ist in der Lage, den auf der Oberfläche der Krebszellen überexprimierten, also vermehrt hergestellten HER2-Rezeptor zu blockieren und so das Krebswachstum zu stoppen. Allerdings gelingt das nicht zuverlässig, und die Gründe dafür waren bislang unklar. In ihrer Studie haben die Forscherinnen und Forscher nun herausgefunden, dass nur bestimmte Testverfahren geeignet sind, das vermehrt hergestellte HER2-Protein zuverlässig zu identifizieren.
Zudem müssen offenbar mindestens 40 Prozent der Tumorzellen HER2 exprimieren, damit der Antikörper einen spürbaren Effekt entfalten kann. „Zu diesen Ergebnissen konnten wir nur kommen, weil wir ein nationales Netzwerk aus Kliniken und Praxen gegründet haben, die uns – nach deren Einwilligung – die Behandlungsergebnisse ihrer Patientinnen und Patienten sowie das dazugehörige Tumormaterial bereitstellten“, erläutert der Leipziger Krebsforscher. Auf der Grundlage dieser Ergebnisse könnten nun Betroffene zielgerichteter versorgt werden: Diejenigen, die HER2 vermehrt herstellen und daher auch wirklich auf das Medikament ansprechen, können gezielt behandelt werden; wenig aussichtsreiche Behandlungen müssen dagegen gar nicht erst begonnen werden. „Damit können wir den Patientinnen und Patienten mögliche Nebenwirkungen ersparen und stattdessen andere geeignetere Therapien anbieten“, erklärt Prof. Lordick.
Zentrale Diagnostik und weitere Forschung erforderlich
Für die Analytik der molekularbiologischen Grundlagen nutzten die Leipziger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine Vielzahl moderner Diagnosetechniken wie Immunhistochemie, in-situ-Hybridisierung, Genexpressions-Analysen und Gensequenzierung. Beim Vergleich der Testergebnisse stellte sich heraus, dass die erforderliche spezifische Labordiagnostik bei den Studienpartnern vor Ort in Kliniken und Praxen nicht geleistet werden kann, weil dort nicht die anspruchsvolle Ausstattung und aufwändigen Verfahren verfügbar sind. Deshalb ist für Lordick der nächste logische Schritt die Etablierung einer nationalen Plattform zur molekularen Charakterisierung des Magenkarzinoms. Dort könnte nicht nur die erforderliche Diagnostik eingesetzt und optimiert, sondern auch den vielen noch offenen Fragen nachgegangen werden.
Denn bei aller Freude über die erreichten Ergebnisse sehen Lordick und die an der Studie beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler noch großen Forschungsbedarf. So führe der Einsatz von Trastuzumab dank der genaueren Diagnostik nun zu einer Verlängerung der durchschnittlichen Lebenserwartung um rund 10 Monate bei den infrage kommenden Betroffenen, aber nicht zur dauerhaften Heilung. Offenbar wirkt das Medikament nach einiger Zeit deswegen nicht mehr, weil die Tumorzellen als Reaktion auf den Wirkstoff die Produktion des HER2 einstellen und zudem wachstumsfördernde Signalwege aktivieren, so dass sie am Ende resistent gegen die Behandlung werden. In Lordicks Augen müssen nach den vorliegenden beobachtenden Untersuchungen nun klinische Studien folgen, um Resistenzentstehung und daraus resultierenden neuen und wirksameren Behandlungsoptionen auf die Spur zu kommen.
VARIANZ-Studie mit über 30 Forschungsgruppen
Einige Magenkarzinome können mit dem antiHER2-Antikörper Trastuzumab erfolgreich behandelt werden, etliche Tumore sprechen allerdings nicht darauf an oder werden nach zunächst erfolgreicher Behandlung erneut resistent. Um die Ursachen genauer zu untersuchen, haben sich zunächst sechs Arbeitsgruppen, im Lauf der Zeit aber über 30 Kooperationspartner aus ganz Deutschland in der VARIANZ-Studie zusammengefunden. Ein wichtiger Bestandteil der Studie war der Vergleich der diagnostischen Verfahren. Zu diesem Zweck wurden Ergebnisse von Tests, die in den Praxen und Kliniken vor Ort erhoben wurden mit Testergebnisses aus einem zentralen Labor der Universitätsmedizin Leipzig verglichen. Wichtige Voraussetzung für die Studie war die Einwilligung der betroffenen Patientinnen und Patienten, dass ihre Gewebeproben und Behandlungsdaten für das Forschungsprojekt verwendet werden durften. Die VARIANZ-Studie wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) von 2014 bis 2020 im Rahmen der Fördermaßnahme „Forschungskonsortien zur Systemmedizin“ des Forschungs- und Förderkonzepts e:Med als Teil des Konsortiums Sys-Stomach mit rund 1 Mio. EUR gefördert.