Mit Schnupfenviren gegen den Krebs

Krebsforscher haben seit langem einen Traum. Sie wollen das Immunsystem von Krebspatienten dazu bringen, den bösartigen Tumor selbst zu zerstören. Dr. Frank Schnieders und Dr. Reinhard Wähler vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf sind diesem Traum ein großes Stück näher gekommen. Sie wurden dabei vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und der Hamburger Krebsgesellschaft unterstützt. Die beiden Forscher nutzen winzige Helfer: Schnupfenviren. Sie spritzen die Viren in Tumoren und schleusen so Gene in die Krebszellen ein. Die Gene regen das Immunsystem zu einer gezielten Abwehrreaktion an. Die Idee ist nicht neu. Aber Schnieders und Wähler gelang es zum ersten Mal, drei verschiedene immunstimulierende Gene gleichzeitig in den Viren zu kombinieren. Ihre Versuche verliefen erfolgreicher als vergangene gentherapeutische Experimente. Die Wissenschaftler heilten durch eine einmalige Behandlung fast alle ihrer Versuchstiere vom Krebs, darunter auch Tiere mit sehr großen Tumoren, die bereits Tochtergeschwulste (Metastasen) entwickelt hatten. Zwar erfolgten die Studien ausschließlich an Ratten mit Lebertumoren; Schnieders und Wähler gehen aber davon aus, dass sich ihre Technik auch bei anderen Krebsarten erfolgreich einsetzen lässt. Die beiden Forscher bereiten diese Form der Gentherapie jetzt für Studien mit Patienten vor. Außerdem haben sie nationale und internationale Patente angemeldet.

Abwehrzellen zum Tumor locken
Schnupfenviren können sich an Zellen des menschlichen Organismus anlagern und ihre Erbsubstanz in diese Zellen einschleusen. Die Körperzellen beginnen daraufhin, neue Viren zu produzieren. So entstehen immer mehr Erreger, und der Schnupfen nimmt seinen Lauf. Schnieders und Wähler arbeiten mit ungefährlichen Schnupfenviren. Sie können zwar noch in Zellen eindringen, aber ihre Vermehrung ist nicht möglich. In das Erbgut dieser Viren integrieren die Hamburger Forscher drei Gene. Jedes Gen steuert die Produktion eines immunstimulierenden Eiweißes. Wenn die veränderten Schnupfenviren ins Tumorgewebe gespritzt werden, infizieren sie dort die Tumorzellen. Die Folge: Diese Zellen produzieren nun die drei immunstimulierenden Eiweiße. Zwei der Eiweiße gehören zur Substanzklasse der Interleukine. Sie aktivieren im Organismus spezielle Abwehrzellen, die T-Zellen, und locken sie zum Tumor. Das dritte Eiweiß ist ein Ko-Stimulator. Er wird von infizierten Krebszellen auf der Zelloberfläche präsentiert. Der Ko-Stimulator verstärkt die Aktivierung der T-Zellen und sorgt dafür, dass sie sich gezielt auf die infizierten Tumorzellen stürzen und sie vernichten. "Die Kombination zweier Interleukine mit dem Ko-Stimulator trägt deutlich zum Erfolg unserer Gentherapie bei", so Schnieders. "Versuche mit anderen Genkombinationen waren in der Vergangenheit weniger effektiv. Von den guten Ergebnissen unserer Versuche selbst bei großen Tumoren und sehr geringer Virusdosis waren wir zunächst selber überrascht."


Langzeiteffekt wie bei einer Impfung
Die neue Therapie bringt aber nicht nur die ursprüngliche Krebsgeschwulst vollständig zum Verschwinden: Sogar Metastasen des Tumors in anderen Körperregionen, also Tochtergeschwulste, die nicht mit den Viren infiziert sind, sterben ab. Die Forscher erklären das so: T-Zellen, die einmal die Tumorzellen attackiert haben, sind programmiert und erkennen Tumorzellen später auch dann, wenn diese keinen Ko-Stimulator auf der Zelloberfläche tragen. Wissenschaftler sprechen dabei von einem T-Zell-Gedächtnis. Das Verfahren hat dadurch Ähnlichkeiten mit einer Impfung gegen den Tumor. Bei den Versuchstieren bildet sich auch dann kein neuer Tumor, wenn ihnen einige Zeit nach der Behandlung Tumorzellen gespritzt werden. Das T-Zell-Gedächtnis scheint also längerfristig zu verhindern, dass der Krebs zurückkehrt. Weil gentherapeutische Versuche mit veränderten Viren in der Vergangenheit für negative Schlagzeilen gesorgt haben, achten Schnieders und Wähler sehr genau auf mögliche schädliche Folgen ihrer Behandlung. Bisher traten aber keine gravierenden Nebenwirkungen auf. Schnieders: "Die größte Gefahr besteht bei dieser Form der Gentherapie darin, dass die veränderten Viren in großer Zahl in die Blutbahn gelangen und eine unkontrollierbare Immunantwort auslösen. Weil wir die Viren direkt in den Tumor spritzen, können wir ihre Dosis aber extrem niedrig halten. Selbst wenn sie ins Blut übergehen, ist ihre Zahl so gering, dass sie keinen Schaden anrichten. Außerdem sind die Viren ja nicht mehr in der Lage, sich zu vermehren." Die eingeschleusten Gene sind ebenfalls keine Gefahr. Denn mit dem Absterben der Tumorzelle werden auch sie vernichtet. Zusätzlich haben die Wissenschaftler die Gene noch mit einer Sicherung versehen. Sie inaktiviert die Gene nach einigen Wochen. Diese Schutzmechanismen funktionieren. "Wir sind extrem vorsichtig", so Schnieders. "Bevor wir unser Verfahren am Menschen einsetzen, müssen wir alle Risiken ausschließen. Unsere bisherigen Ergebnisse machen uns aber sehr optimistisch, dass wir eine ausgesprochen effektive und gleichzeitig ungefährliche Form der Gentherapie gefunden haben."

Ansprechpartner:
Dr. rer. nat. Frank Schnieders
Dr. rer. nat. Reinhard Wähler
Arbeitsgruppe Gentherapie
Institut für Molekulare Zellbiologie
Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf
Martinistraße 52
20246 Hamburg
Tel.: 040/4 28 03-93 25
Fax: 040/4 28 03-45 92
E-Mail: schnieders@uke.uni-hamburg.de