26.05.2023

Aktuelle Meldung

Multiple Sklerose: Nervenzellen besser vor Entzündungen schützen

Im Verbundvorhaben NeuRIMS arbeiten Forschende an der Entwicklung von Therapeutika gegen das Absterben von Nervenzellen. Im Interview anlässlich des Welt-Multiple-Sklerose-Tages am 30.5. erläutert Prof. Dr. Manuel Friese das Vorhaben.

Eine Frau im Rollstuhl

Jährlich wird bei mehr als 15.000 Menschen MS neu diagnostiziert.

Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG)

Das Projekt wird gemeinsam vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und dem ScreeningPort des Fraunhofer IME realisiert. Wir sprachen mit Professor Dr. Manuel Friese über die aktuellen Entwicklungen im Forschungsvorhaben. Er ist Facharzt am Zentrum für Molekulare Neurobiologie Hamburg (ZMNH) am UKE und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg für Translationale Neuroimmunologie und koordiniert das Forschungsvorhaben.

Multiple Sklerose (MS) gilt als die häufigste chronisch entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Aktuell leiden weltweit rund 2,3 Millionen Menschen daran. Warum ist der Nervenzellschaden nicht therapierbar?

Den Grund dafür, dass wir den Nervenzellschaden bei der MS nicht aufhalten können, ist nach wie vor nicht geklärt. Feststeht jedoch, dass eine chronische Entzündung im zentralen Nervensystem, wie sie bei der MS auftritt, die Nervenzellen langfristig schädigt. Die entzündlichen Prozesse lassen sich aber nur zu einem Teil mittels immunsuppressiver Medikamente, die derzeit zur Verfügung stehen, kontrollieren. Zudem scheint die Entzündung im Gehirn und Rückenmark bei MS die Nervenzellfunktion nachhaltig zu verändern, so dass die Nervenzellen langsam und unaufhaltsam, schließlich auch unabhängig von der Entzündung, absterben.

In Ihrem Forschungsvorhaben NeuRIMS möchten Sie Therapeutika entwickeln, die die Widerstandsfähigkeit der Nervenzellen gegenüber der Entzündung erhöhen. Können Sie uns mehr zum Vorhaben berichten?

Wir haben schon vor einigen Jahren entdeckt, dass die Entzündung die Funktion einiger Ionenkanäle in der Zellmembran der Nervenzellen stört. Dadurch wird nicht nur die Funktion der Nervenzellen beeinträchtigt, sondern diese nehmen auch vermehrt schädliche Ionen auf, wie zum Beispiel Calcium. Werden Nervenzellen mit Ionen überladen, sterben diese ab und können nicht erneuert werden. Wir haben einen Ionenkanal identifiziert, mit dem Namen TRPM4 (transient receptor potential melastatin 4), welcher wesentlich in diesem Prozess beteiligt ist. Eine Blockade des Ionenkanals kann die Nervenzellen unter entzündlichen Bedingungen schützen und deren Untergang verhindern. Ziel des jetzigen Forschungsvorhabens NeuRIMS ist es, den Ionenkanal TRPM4 weiter als möglicher Bestimmungsort für neuartige Medikamente zu charakterisieren.

Prof. Dr. Manuel Friese

Prof. Dr. Manuel Friese

Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

Wie wollen Sie diese Erkenntnisse aus ihrem Forschungsvorhaben nutzen? Wie lange dauert es noch, bis Ihre Ergebnisse als ein neues Medikament auf dem Markt sind?

Wir haben bereits vielversprechende Vorstufen von Medikamenten identifiziert, deren weitere Charakterisierung und Veränderung ansteht, um diese in den nächsten Jahren auch im Rahmen einer klinischen Studie auf deren Wirksamkeit bei der MS zu testen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft, welche Vision verfolgen Sie?

Mein Wunsch wäre, dass es uns gelingt, neben den immunsuppressiven Medikamenten auch weitere Medikamente zu entwickeln, die die Widerstandsfähigkeit der Nervenzellen gegenüber der Entzündung erhöhen. Diese Medikamente wären ein Meilenstein, um die langsame Progression der neurologischen Einschränkungen bei MS-Betroffenen abzumildern.