In den vergangenen Jahren sind zahlreiche neue Medikamente zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Multipler Sklerose auf den Markt gebracht worden. In der Praxis sind diese Medikamente aber häufig wenig erprobt. Hier soll ein Forschungsprojekt des Kompetenznetzes Multiple Sklerose weiterhelfen. (Newsletter 69 / August 2014)
Multiple Sklerose, kurz MS, ist eine Erkrankung des Nervensystems. Sie trifft häufig Menschen im jungen und mittleren Erwachsenenalter. In Deutschland gibt es etwa 120.000 Betroffene. Häufige erste Symptome sind Bewegungsstörungen, verminderte Sehschärfe und leichte Empfindungs- oder Sprachstörungen. Ursache der Erkrankung sind lokale Entzündungen, die im gesamten Nervensystem auftreten können. Verursacht werden diese Entzündungen durch körpereigene Abwehrzellen des Immunsystems, die das Nervensystem angreifen. Die Multiple Sklerose zählt daher zu den Autoimmunerkrankungen.
Arzneimittel beeinflussen das Immunsystem
Bislang ist Multiple Sklerose nicht heilbar. Das Ziel aller therapeutischen Maßnahmen ist es, den Krankheitsverlauf möglichst positiv zu beeinflussen. In den letzten 15 Jahren wurden zahlreiche neue Medikamente zur Behandlung der Erkrankung zugelassen. Die überwiegende Zahl dieser Medikamente beeinflusst das Immunsystem. Ihre Wirkung zielt darauf ab, die Autoimmunreaktion im Körper der Patientinnen und Patienten zu senken. Doch unter Alltagsbedingungen sind diese Medikamente meist noch wenig erprobt. Hier setzt nun ein Projekt des Krankheitsbezogenen Kompetenznetzes Multiple Sklerose an, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wird. Professor Dr. Klaus Berger von der Universität Münster erklärt: „Wir wollen beispielsweise analysieren, wie häufig diese Medikamente in der Routinebehandlung Nebenwirkungen verursachen. Ferner untersuchen wir die Effektivität neuer Medikamente im Krankheitsverlauf und erfragen die Lebensqualität der Patientinnen und Patienten unter der jeweiligen Therapie.“
Forschung nach der Zulassung
In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche neue Medikamente zur Behandlung der Multiplen Sklerose zugelassen. Wie diese Medikamente im Alltag bei den Betroffenen wirken, untersucht nun ein neues klinisches Register.Das Kompetenznetz Multiple Sklerose baut zu diesem Zweck ein klinisches Register auf. Ziel dieses Registers ist, Medikamente und Therapien zu analysieren, die bereits zugelassen sind. Denn die Zulassung stellt keineswegs das Ende der Erforschung eines Medikamentes dar: In klinischen Studien vor der Zulassung werden in erster Linie die Sicherheit und die Wirksamkeit einer neuen Substanz erprobt. Hierbei wird die Substanz an ausgewählten Patientinnen und Patienten getestet. Diese müssen bestimmte und genau definierte Ein- und Ausschlusskriterien erfüllen, um an der Studie teilnehmen zu können. „Nach der Zulassung ändert sich diese Situation aber. In der klinischen Regelversorgung erfolgt dann auch oft eine Therapie von Patientinnen und Patienten, die in eine klinische Studie gar nicht aufgenommen würden“, erklärt Berger den Unterschied. „Die Erfahrungen mit einem neuen Medikament im Alltag, also nach der Zulassung, sind aber von entscheidender Bedeutung. Hier gibt es allerdings sehr viel weniger Daten. Denn es besteht in Deutschland lediglich ein Spontanmeldesystem für Nebenwirkungen. Dieses System hängt aber von der aktiven Mitarbeit des behandelnden Arztes ab. Es fehlt eine systematische, allgemeine und substanzübergreifende Erfassung von Nebenwirkungen neu zugelassener Medikamente. Diese Dokumentation existiert nur in einigen wenigen krankheitsspezifischen Registern, zum Beispiel für Rheuma.“
Zukünftige Therapien individueller gestalten
Genau an dieser Stelle setzt daher das klinische Register des Kompetenznetzes an. Um ausreichend relevante Daten erheben zu können, sind in der Aufbauphase 60 Kliniken und Ambulanzen beteiligt. Deutschlandweit werden Patientinnen und Patienten aufgerufen, an dem Register teilzunehmen. „Unser Register und die Schlussfolgerungen, die wir daraus ziehen werden, kommt primär zukünftigen Patientinnen und Patienten zu Gute. Wir wollen beispielsweise versuchen, Risikoprofile bestimmter Medikamente oder Medikamentenkombinationen zu erstellen. So könnten wir in Zukunft Therapieentscheidungen individueller fällen“, resümiert Berger.