Mysteriöse Heilung - Warum sich Arthritis-Patienten besser fühlen, bevor ihr Medikament wirkt

Die Gelenke sind entzündet, geschwollen und schmerzen stark. Die Betroffenen fühlen sich müde, abgeschlagen und depressiv – das sind die typischen Beschwerden von Patientinnen und Patienten mit einer chronischen Gelenkentzündung. Medikamente, die einen Botenstoff blockieren, lindern die Symptome von heute auf morgen, obwohl die Entzündung noch nicht abgeklungen ist. Ein medizinisches Mysterium, dessen Ursache nun gelüftet wurde. (Newsletter 59 / Oktober 2012)

Bei rheumatoider Arthritis sind die Gelenke chronisch entzündet. Die Gelenke sind noch immer geschwollen und die Entzündungswerte im Blut sind unverändert hoch – und dennoch geht es den Patienten merklich besser. Wie kann das sein? „Wenn wir Mediziner nicht messen können, dass sich die Symptome verbessert haben, glauben wir zunächst nicht daran“, sagt Prof. Dr. Georg Schett vom Universitätsklinikum Erlangen. Aber Patienten mit rheumatoider Arthritis, einer der häufigsten Autoimmunerkrankungen des Menschen, bei der die Gelenke chronisch entzündet sind, bestätigten das Phänomen immer wieder: Einen oder wenige Tage nachdem sie mit einer medikamentösen Therapie mit TNFalpha-Blockern begonnen haben, geht es ihnen plötzlich besser. TNF-alpha-Blocker hemmen die Wirkung eines wesentlichen Entzündungsbotenstoffes, des Tumor-Nekrose-Faktors alpha, kurz TNF-alpha. Professor Schett: „Warum diese Therapie aber so rasch zu einer Linderung der chronischen Erkrankung führt, war bisher unklar. Denn die Medikamente dämpfen die Schmerzen und steigern das Wohlbefinden noch bevor die Entzündung abgeklungen ist.“ Die Spurensuche der Wissenschaftler nach der Ursache des Phänomens begann.

Die Lösung liegt im Gehirn

„Wir waren der Ansicht, dass sich eine solche subjektive Verbesserung des Gesundheitszustandes am ehesten im Gehirn der Patientinnen und Patienten abspielen muss“, so der Rheumatologe. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ist es der Forschergruppe um Prof. Dr. Georg Schett und Prof. Dr. Andreas Hess gelungen, die Wahrnehmung der Erkrankung im Gehirn der Patienten objektiv zu messen, mit Hilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie, kurz fMRT (s. Infokasten).

Bildquelle: Universitätsklinikum Erlangen
Die Behandlung mit TNF-alpha-Blockern hemmt rasch die neuronale Aktivität im Gehirn der Patienten, hier im fMRT farbig dargestellt, und steigert so ihr Wohlbefinden noch bevor die Entzündung abgeklungen ist.

Der Blick in das Gehirn zeigte, dass bereits einen Tag nach Beginn der Behandlung mit TNF-alpha-Blockern die neuronale Aktivität im Gehirn der Betroffenen abnimmt, die durch die rheumatoide Arthritis ausgelöst wird. Hierbei verändert sich sowohl die Aktivität von Gehirnregionen, die für die Schmerzverarbeitung im Gehirn zuständig sind, wie z. B. die Aktivität des Thalamus, als auch von Gehirnregionen, die für die Gefühlsbildung verantwortlich sind, wie etwa die des limbischen Systems. „Besonders interessant ist, dass diese Veränderungen in der Gehirnaktivität auftreten, bevor sich die Symptome der rheumatoiden Arthritis objektiv verbessern“, erklärt Professor Schett. Die Wahrnehmung der Erkrankung durch die Betroffenen selbst spiegelt sich also im Gehirn wider und kann gemessen werden.

Aus Experimenten mit Mäusen wissen die Forscher, dass TNF-alpha zwischen Immunsystem und Gehirn vermittelt und dabei auch die Schmerzwahrnehmung entscheidend beeinflusst. Diese Wirkung können die Erlanger Forschenden nun erklären: Hemmt man den Tumor-Nekrose-Faktor, verringert sich die Schmerzempfindlichkeit im Gehirn, und auch die psychischen Veränderungen wie Müdigkeit und Abgeschlagenheit werden positiv beeinflusst.

Lässt sich die Wirkung vorhersagen?

Pharmaunternehmen, die TNF-alpha-Blocker herstellen, haben bereits großes Interesse an einer Zusammenarbeit mit der Forschergruppe von Professor Schett geäußert. Denn die Wahrnehmung der rheumatoiden Arthritis mit funktioneller Magnetresonanztomografie darzustellen, bietet die Möglichkeit, Therapieeffekte rasch zu erkennen und möglicherweise vorherzusagen. Das könnte bei der Entwicklung neuer Medikamente hilfreich sein.

Bildquelle: BMBFDerzeit arbeiten Professor Schett und seine Kolleginnen und Kollegen an einer klinischen Studie. Hierbei möchten sie testen, ob die Gehirnaktivität in der fMRT voraussagen kann, ob ein Patient von einer Therapie mit TNF-alpha-Blockern profitiert oder nicht. „Das wäre von besonderer Bedeutung. Denn zurzeit wenden wir TNF-alpha-Blocker stets im Sinne von ‚Try-and-Error‘ an, da wir anhand klinischer Parameter nicht voraussagen können, ob jemand auf die Therapie ansprechen wird oder nicht“, beschreibt Professor Schett. Die Wissenschaftler vermuten, dass nicht das Ausmaß der Symptome der Erkrankung, sondern das Ausmaß ihrer Wahrnehmung durch die Patienten einen Therapieerfolg oder Misserfolg voraussagen kann.


Die funktionelle MRT: Blick in das lebende Gehirn

Die Magnet-Resonanz-Tomografie, abgekürzt MRT, auch Kernspin-Tomografie genannt, arbeitet mit einem Magnetfeld, auf das die Atome in den Körperzellen reagieren. Je nach Art des Gewebes ist die Anzahl und Zusammensetzung der Atome unterschiedlich und verschiedene Strukturen des Körpers können so detailliert dargestellt werden. Die funktionelle MRT, kurz fMRT, kann neben der Struktur auch die Funktion erfassen. Hier machen sich die Wissenschaftler zunutze, dass der rote Blutfarbstoff, das Hämoglobin, seine magnetischen Eigenschaften ändert, wenn Sauerstoff transportiert wird. Das heißt, dort, wo gerade viel Sauerstoff unterwegs ist, erscheint das MRT-Bild nun beispielsweise heller. So wird statt eines externen Kontrastmittels das Blut selbst als Kontrastmittel genutzt, um aktive Bereiche im Gehirn zu visualisieren.


Ansprechpartner:
Prof. Dr. Georg Schett
Medizinische Klinik 3 - Immunologie und Rheumatologie
Universitätsklinikum Erlangen
Krankenhausstraße 12
91054 Erlangen
Tel.: 09131 85-33363
Fax: 09131 85-34770
E-Mail: georg.schett@uk-erlangen.de