Die Erforschung zystischer Nierenerkrankungen wurde bislang dadurch erschwert, dass ein standortübergreifendes Patientenregister fehlte. Der Forschungsverbund NEOCYST hat dieses nun geschaffen und bereits erste Erfolge erzielt.
Zysten sind flüssigkeitsgefüllte Hohlräume, die sich in nahezu allen Organen und Geweben des menschlichen Körpers bilden können. Entstehen sie in der Niere, können sie langfristig dazu führen, dass das Organ versagt. Die Betroffenen sind in diesem Fall auf eine lebenslange Dialysebehandlung oder eine Nierentransplantation angewiesen. Unter dem Begriff „zystische Nierenerkrankung“ werden verschiedene Erkrankungen zusammengefasst, welche teils sehr unterschiedliche, teils aber auch stark überlappende Krankheitsverläufe aufweisen.
Zystische Nierenerkrankungen bei Kindern sind zumeist erblich bedingt; bis heute konnten mehr als 50 verantwortliche Gene identifiziert werden. Zusammengenommen stellen sie eine der häufigsten Ursachen für ein chronisches Nierenversagen im Kindesalter dar. Dennoch zählen zystische Nierenerkrankungen bei Kindern zu den seltenen Erkrankungen, was ihre Erforschung enorm erschwert. Informationen über die einzelnen Erkrankungen sind nur schwer zu finden. Darüber hinaus beruhen sie häufig auf den Daten einiger weniger Patienten, sodass Vergleiche und Rückschlüsse nur bedingt möglich sind.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des NEOCYST-Verbundes haben daher zunächst die verfügbaren Daten aus verschiedenen Datenbanken in ein gemeinsames Patientenregister überführt. „Derzeit stehen uns die Daten von etwa 350 Kindern mit einer zystischen Nierenerkrankung zur Verfügung“, berichtet Dr. Jens König, Koordinator des Verbundes. „Das ermöglicht es uns, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den einzelnen Krankheitsbildern zu erkennen und zuzuordnen. Dies ist insbesondere deshalb von Bedeutung, da sich immer mehr herausstellt, dass die verschiedenen Erkrankungsformen auf ähnliche Krankheitsmechanismen zurückführbar zu sein scheinen.“
Die gemeinsame Datenbank ermöglicht es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern darüber hinaus, die Grundlagen der Erkrankungen detaillierter zu erforschen. So können Betroffene präziser diagnostiziert und notwendige Maßnahmen früher eingeleitet werden. Betroffenen Familien steht im Hinblick auf den zu erwartenden Krankheitsverlauf auch eine bessere Beratung zur Verfügung. Und nicht zuletzt ist es das Ziel, mögliche Ansatzpunkte für zukünftige Therapien zu identifizieren.
Der NEOCYST-Forschungsverbund hat eine Website (www.neocyst.de) erstellt, welche Betroffenen und ihren behandelnden Ärzten umfassende Informationen über die Erkrankungen sowie über den Forschungsverbund selbst bietet.
Mehr als ein Gen!
Eine der schwersten Formen der kindlichen zystischen Nierenerkrankungen ist die Autosomal Rezessive Polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD). Sie kann bereits vor der Geburt oder in der frühen Kindheit mit schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit und das Leben der betroffenen Kinder einhergehen.
Hervorgerufen wird die ARPKD ebenfalls durch Defekte im Erbgut. So konnten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des NEOCYST-Forschungsverbundes kleine Veränderungen im DZIP1L-Gen als eine weitere – bislang unbekannte – Ursache der ARPKD nachweisen. Diese Veränderungen führen dazu, dass antennenartige Fortsätze, sogenannte Zilien, an Nierenzellen fehlerhaft ausgebildet werden. Dadurch können diese ihre Funktionen – etwa bei der Weiterleitung äußerer Reize in das Innere der Zelle – nicht mehr ausüben. „Wir werden jetzt untersuchen, welche Funktionen diese genetischen Veränderungen genau beeinflussen“, erläutert Teilprojektleiter Prof. Dr. Carsten Bergmann. „Hier könnte womöglich der Schlüssel für eine Therapie verborgen liegen, mit der wir den Kindern Dialyse und Transplantation ersparen könnten.“ Bergmann arbeitet in der Klinik für Innere Medizin des Universitätsklinikums Freiburg. Darüber hinaus leitet er das Zentrum für Humangenetik im Verbund Bioscientia, das ebenfalls Bestandteil von NEOCYST ist und maßgeblich an der Entdeckung des neuen Gens beteiligt war.
Die neuen Erkenntnisse können auch zu einer Verbesserung der Diagnostik beitragen: Bislang war man davon ausgegangen, dass Veränderungen in lediglich einem Gen (PKHD1) eine ARPKD hervorrufen würden. „Bei unseren Untersuchungen hat sich jedoch gezeigt, dass an dieser Form der zystischen Nierenerkrankung mehr Gene beteiligt sind als ursprünglich angenommen“, so Bergmann. Für einige dieser Gene existiert bereits ein Test, der die kritischen Veränderungen nachweist und somit die Diagnose sichert. „Zeigt dieser Test allerdings keine Auffälligkeiten, so sollten Personen, die unter einer zystischen Nierenerkrankung leiden, ergänzend auch auf Veränderungen im DZIP1L-Gen getestet werden“, erklärt der Mediziner.
Das DZIP1L-Gen spielt auch bei der wesentlich häufigeren Autosomal Dominanten Polyzystischen Nierenerkrankung (ADPKD) eine wichtige Rolle. Diese ist mit der ARPKD nahe verwandt, betrifft aber vor allem Erwachsene. Unter dieser Form der zystischen Nierenerkrankung leiden weltweit mehr als 12 Millionen Menschen.
Forschung zu seltenen Erkrankungen
Seit 2003 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) Netzwerke, die sich der Erforschung von Ursachen und der Entwicklung möglicher Therapieansätze bei seltenen Erkrankungen widmen. Für die Patienten und deren Familien hat diese Grundlagen- und Therapieforschung einen sehr hohen Stellenwert. Die vom BMBF 2016 im Rahmen der Förderlinie „Forschung für seltene Erkrankungen“ positiv beschiedenen Forschungsverbünde arbeiten zu spezifischen Erkrankungsgruppen wie zum Beispiel Dystonien, neuromuskulären Erkrankungen oder angeborenen Immundefekten. Zahlreiche universitäre und außeruniversitäre Forschungsinstitute arbeiten in diesen Verbünden zusammen, um übergreifende Forschungsfragen zu erörtern und ihre Ergebnisse einer breiten Öffentlichkeit vorzustellen. Hierbei unterstützt sie eine Geschäftsstelle des Sprecherrates.
Mehr Informationen: www.research4rare.de
Ansprechpartner:
Dr. Jens König
Klinik für Kinder- und Jugendmedizin
Allgemeine Pädiatrie
Universitätsklinikum Münster
Albert-Schweitzer-Campus 1
48149 Münster
jens.koenig@ukmuenster.de
Prof. Carsten Bergmann
Universitätsklinikum Freiburg
Innere Medizin
Hugstetter Straße 55
79106 Freiburg im Breisgau
carsten.bergmann@uniklinik-freiburg.de