31.03.2021

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Neuer Behandlungsansatz bei chronischen Darmerkrankungen

In Bezug auf Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind Forschende aus Kiel ihrem Ziel einen Schritt nähergekommen: Sie entwickelten einen Kandidaten für ein neues Medikament, das in ersten Studien eine vielversprechende Wirkung zeigt.

Frau liegend mit Hand auf dem Bauch

Es besteht ein großer Bedarf an Therapien, die mittels neuer Wirkmechanismen Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) bekämpfen. So einen neuen Behandlungsansatz entwickelten nun Forschende aus Kiel.

DLR Projektträger/BMBF

Nicht alle Botschaften, die im komplexen System des menschlichen Körpers übermittelt werden, sind hilfreich und gesund. Doch komplett unterdrücken darf man diese Signale auch nicht – sonst drohen schwerwiegende Folgen. Forschende des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Ländern geförderten Exzellenzclusters „Präzisionsmedizin für Chronische Entzündungserkrankungen“ haben eine Art „biochemischen Filter“ konstruiert, der eine schädliche Signalkaskade ausbremst, seine für ein funktionierendes Immunsystem wichtige Variante jedoch weiter zulässt. Olamkicept – so der Name des Filter-Wirkstoffs – kann bei Patientinnen und Patienten mit Morbus Crohn und Colitis ulcerosa, zwei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, entzündungshemmend wirken, wie das Team um Professor Dr. Stefan Schreiber von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel in einer aktuellen Studie beschreibt.

Der Trans-Signalweg steht unter Verdacht, bei chronischen Entzündungen aktiv zu sein

Angriffspunkt für Olamkicept ist die Übermittlung eines wichtigen Botenstoffs des Immunsystems, des sogenannten Interleukin (IL)-6. Dieses Signalmolekül wird bei einer Entzündung vom Körper vermehrt ausgeschüttet und hilft bei der Regulation der ablaufenden Immunprozesse. Vorangegangene Forschungsarbeiten zeigten, dass IL-6 genaugenommen über zwei Wege wirkt: Beim „klassischen“ Signalweg bindet IL-6 spezifisch an einen Rezeptor, der auf der Oberfläche bestimmter Zellen vorkommt, wie beispielsweise Immun- oder Leberzellen. Gemeinsam binden sie dann an ein weiteres Oberflächenprotein auf derselben Zelle, das sogenannte gp130-Protein, und lösen so eine Reaktion in der Zelle aus.

Aber der IL-6-Rezeptor kommt auch in löslicher Form im Blut vor. Beim alternativen IL-6-Trans-Signalweg bindet IL-6 an diesen im Blut zirkulierenden Rezeptor und dann an gp130, das auf allen Zellen vorkommt. So kann IL-6 theoretisch auf jede Zelle im Körper wirken. Dieser Trans-Signalweg steht unter Verdacht, besonders bei chronischen Entzündungen aktiv zu sein. Hier setzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Kiel an, indem sie mit Olamkicept einen Wirkstoff konstruierten, der gezielt nur den Trans-Signalweg hemmt, ohne die positiven Wirkungen von IL-6 über den „klassischen“ Signalweg zu stören.

Eine Entzündung, die in Schüben immer wieder aufflammt

Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) führen zu dauerhaft wiederkehrendem Durchfall, Fieber und Schmerzen sowie schwerwiegenden psychischen Belastungen. In Deutschland sind rund 320.000 Menschen von CED betroffen. Bei ihnen führt eine gestörte Immunantwort zu einer Entzündung im Magen-Darm-Trakt, die in Schüben immer wieder aufflammt. Es gibt nur wenige zugelassene Medikamente für diese Erkrankungen und diese wirken jeweils nur bei einigen Betroffenen. Daher besteht ein großer Bedarf an Therapien, die über neue Wirkmechanismen die chronischen Darmentzündungen bekämpfen. Olamkicept könnte eine dieser Lücken füllen, wenn es in weiteren klinischen Studien erfolgreich ist.

Etappe auf dem Weg vom Labor in die Klinik

Das Kieler Forschungsteam hat das Medikament zunächst im Tiermodell und dann an einer kleinen Gruppe von Patientinnen und Patienten mit Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn getestet und untersucht, was genau das Medikament im menschlichen Körper bewirkt. „Der Wirkstoff tut beim Menschen mechanistisch genau das, was er soll. Der IL-6-Trans-Signalweg wird blockiert, die Entzündung dadurch gedämpft. Dieser Nachweis ist ein wichtiger Meilenstein in der Entwicklung des Medikaments vom Labor bis in die Klinik“, so Professor Schreiber, Sprecher des Exzellenzclusters und Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. „Bei wie vielen Patientinnen und Patienten das Medikament aber wie gut helfen wird und wie die Nebenwirkungen ausfallen, müssen umfassende klinische Studien an einer großen Anzahl von Patientinnen und Patienten zeigen“, sagt Schreiber.

So eine klinische Studie der Phase II zum Nachweis von Wirksamkeit und Verträglichkeit bei Patientinnen und Patienten mit Colitis ulcerosa wurde kürzlich durchgeführt. Ergebnisse dieser Studie werden voraussichtlich im Juli 2021 bei der Jahrestagung der „European Crohn‘s and Colitis Organisation“ (ECCO) vorgestellt.


Der Exzellenzcluster „Präzisionsmedizin für chronische Entzündungserkrankungen/Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) wird von 2019 bis 2025 durch die Exzellenzstrategie des BMBF und der Länder gefördert (ExStra). An dem neuen Verbund sind rund 300 Forschende in acht Trägereinrichtungen an vier Standorten beteiligt. Professor Dr. Stefan Schreiber ist auch Vorstand des Kompetenznetzes Chronisch Entzündliche Darmerkrankungen, das von 1999 bis einschließlich 2009 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit rund 15 Millionen Euro gefördert wurde. Heute ist das Netzwerk eine Wissensgemeinschaft, die sich selbst trägt.

Originalpublikation:

Schreiber S, Aden K, Bernardes J. P., et al. Therapeutic IL-6 trans-signalling inhibition by olamkicept (sgp130Fc) in patients with active inflammatory bowel disease. Gastroentereology. 2021: doi: https://doi.org/10.1053/j.gastro.2021.02.062