Neues Risikogen für Brustkrebs entdeckt - Forschung zu einer seltenen Störung der Blutbildung lieferte den Hinweis

Eigentlich waren die Wissenschaftler auf der Suche nach Genen, die für eine seltene erbliche Blutbildungsstörung verantwortlich sind. Doch dabei ist ihnen ein Erfolg auf dem Gebiet der Krebsforschung gelungen. Sie konnten ein Gen identifizieren, das – wenn es mutiert ist – auch zu einem erhöhten Risiko für Brust- und Eierstockkrebs führt.

Jedes Jahr erkranken in Deutschland fast 60.000 Frauen neu an Brustkrebs und 10.000 Frauen an Eierstockkrebs. Bei fünf bis zehn von hundert Patientinnen liegt die Ursache für die Krebserkrankung in ihren Genen. Diese Frauen tragen dann in bestimmten Risikogenen eine Mutation, die aus einer gesunden Körperzelle eine Tumorzelle werden lässt. Oftmals sind hierbei Gene bzw. Proteine betroffen, die an der Reparatur von Schäden im Erbgut beteiligt sind, sogenannte DNA-Reparaturgene. Die Folge: Schäden am Erbgut können nicht mehr behoben werden und die betroffenen Zellen können zu Tumorzellen entarten. Veränderungen in zwei Genen können bisher besonders für die Entstehung von Brust- und Eierstockkrebs verantwortlich gemacht werden: die Hochrisiko-Brustkrebs-Gene BRCA1 und BRCA2 (Breast-Cancer-Gene, Brustkrebsgene). Ist bei einer Frau eine Kopie dieser Gene mutiert, ist ihr Risiko an Brust- oder Eierstockkrebs zu erkranken, sehr stark erhöht.

RAD51C: ein weiteres Brustkrebs-Risikogen

Jetzt haben Wissenschaftler ein neues Gen entdeckt, das ebenfalls mit der Entstehung von Brust-, aber auch Eierstockkrebs in Verbindung steht: RAD51C, auch FANCO genannt. „Dieses Gen enthält die Information für ein Protein, das an der Reparatur von DNA-Schäden beteiligt ist, genauer gesagt an der Beseitigung von Chromosomenbrüchen. Ist das Gen intakt, können auseinandergebrochene Chromosomen durch die sogenannte homologe Rekombination wieder verbunden werden“, erklärt Prof. Dr. Helmut Hanenberg von der Kinderklinik der Heinrich- Heine-Universität in Düsseldorf. Professor Hanenberg beschäftigt sich eigentlich nicht mit dem Thema Brustkrebs. Er ist Kinderarzt und Experte für eine seltene Erkrankung, die sogenannte Fanconi-Anämie, eine lebensbedrohliche erbliche Blutbildungsstörung. „Erst seit wenigen Jahren wissen wir, dass familiärer Brustkrebs und die Fanconi-Anämie sehr eng miteinander verbunden sind. Es gibt bereits drei Fanconi-Anämie-Gene, von denen bekannt ist, dass sie auch die Entstehung von erblich bedingtem Brust- und Eierstockkrebs begünstigen. Dies hat sich auch bei dem neuen Risikogen RAD51C wieder bestätigt“, sagt Professor Hanenberg. Denn Mutationen in RAD51C erhöhen nicht nur das Risiko für Brust- und Eierstockkrebs, sie wurden auch bei Kindern mit Symptomen einer Fanconi-Anämie gefunden.

Was haben Brustkrebs und die seltene Fanconi-Anämie gemeinsam?

Die Ursache für eine Fanconi-Anämie sind Mutationen in Genen, die für die Reparatur von Chromosomenbrüchen verantwortlich sind. „Die Reparatur von Brüchen in der DNA ist ein sehr komplizierter Prozess, an dem zahlreiche Proteine beteiligt sind“, sagt Professor Hanenberg. 13 Gene – systematisch als FANCA bis FANCN bezeichnet – wurden in der Vergangenheit identifiziert, die bei Mutationen zu dem Bild einer Fanconi-Anämie führen. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hat Professor Hanenberg im Rahmen des Netzwerks für Angeborene Störungen der Blutbildung gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen aus Deutschland und England erstmals Punktmutationen in dem bekannten DNAReparaturgen RAD51C identifiziert. Diese minimalen Veränderungen verursachen den Austausch einer einzelnen Aminosäure im entsprechenden RAD51C-Protein. „Die Mutationen sind verantwortlich für schwere angeborene Fehlbildungen, die erstmals bei drei Kindern aus einer pakistanischen Familie entdeckt wurden und typisch für eine Fanconi-Anämie sind“, erklärt Professor Hanenberg. Aktuell suchen die Wissenschaftler weltweit nach weiteren Fanconi-Anämie-Familien mit Mutationen im RAD51C-Gen.

Um herauszufinden, ob RAD51C ebenso wie die drei bereits bekannten Fanconi-Anämie-Gene auch bei der Entstehung von familiärem Brustkrebs eine Rolle spielt, haben die Forscher in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Konsortium für Familiären Brustkrebs das RAD51C-Gen bei 1.100 Patientinnen untersucht, in deren Familien gehäuft Fälle von Brust- oder Eierstockkrebs auftreten und die keine Mutation in den BRCA-Genen tragen. „Das Ergebnis: Etwa ein halbes Prozent – also jede zweihundertste Frau in diesen Familien – trägt tatsächlich eine krankhafte Mutation im RAD51C-Gen“, beschreibt Dr. Dieter Niederacher vom Molekulargenetischen Labor der Universitätsfrauenklinik in Düsseldorf. Überraschenderweise sind diese Mutationen aber nur bei Frauen zu finden, in deren Familie sowohl Krankheitsfälle von Brust- als auch von Eierstockkrebs – zum Teil auch bei der gleichen Patientin – aufgetreten waren. Professor Hanenberg: „Patientinnen aus reinen Brustkrebs- Familien tragen keine krankhaften Veränderungen im RAD51C-Gen. Eine Erklärung hierfür haben wir noch nicht.“ Der klinische Verlauf der Krebserkrankung ist bei Trägerinnen von Mutationen im RAD51C- und im BRCA1-Gen sehr ähnlich. „Allerdings sind Veränderungen im RAD51C-Gen viel seltener. Auch scheinen diese Tumore insgesamt etwas später im Leben der Frauen aufzutreten und prognostisch günstiger zu sein als durch BRCA1-Mutationen verursachte Tumore“, so Dr. Niederacher. Ob Mutationen in RAD51C tatsächlich mit einem ähnlich hohen Tumorrisiko assoziiert sind wie Mutationen in BRCA1 oder BRCA2, müssen weitere Untersuchungen zeigen.

Vorsorge und maßgeschneiderte Therapien

Welchen Nutzen hat das Wissen um ein neues Brustkrebsgen? „Trägerinnen von Mutationen in einem Risikogen und auch ihre Familienangehörigen können dazu ermutigt werden, sich häufiger einer Vorsorgeuntersuchung zu unterziehen“, sagt Professor Hanenberg. So können bereits Krebsvorstufen rechtzeitig erkannt und durch die gängigen Therapieoptionen behandelt werden, wodurch sich die Heilungschancen verbessern. Aber es gibt noch einen weiteren Grund, warum das Wissen um die genetischen Ursachen von Krebs wichtig ist: „Je mehr Gene wir kennen, die für die Entstehung von Krebserkrankungen verantwortlich sind, desto eher können neue maßgeschneiderte Therapieverfahren entwickelt werden, die einen Tumor genau an seiner Schwachstelle – also zum Beispiel durch den Ausfall der DNA-Doppelstrang-Reparatur – angreifen. Solche Medikamente töten dann nur die defekten Tumorzellen, während die gesunden Zellen des Körpers praktisch nicht geschädigt werden“, erklärt Professor Hanenberg.

Die Fanconi-Anämie – eine seltene Erkrankung

Die Fanconi-Anämie ist eine sehr seltene vererbte Erkrankung. Sie ist charakterisiert durch angeborene Fehlbildungen in Skelett, Nieren, Herz und Innenohr der Patienten, durch ein stark erhöhtes Risiko für das Auftreten von Tumoren und durch ein chronisch fortschreitendes Versagen des blutbildenden Systems. Dies führt zu einer verringerten Produktion von weißen und roten Blutkörperchen. Erstmals wurde die Krankheit im Jahr 1927 von dem Schweizer Kinderarzt Guido Fanconi beschrieben. In Deutschland wird die Krankheit jedes Jahr bei etwa 30 Patienten diagnostiziert, und es sind mehr als 400 betroffene Familien bekannt. Die mittlere Lebensdauer von Fanconi-Anämie- Patienten liegt bei unter 30 Jahren. Die Ursache für eine Fanconi-Anämie sind Mutationen in mindestens 14 Genen, die für die Reparatur von Chromosomenbrüchen durch homologe Rekombination verantwortlich sind. Die Chromosomen in den Zellen von Fanconi-Anämie-Patienten zeigen deshalb vermehrt Brüche und fehlerhafte Neuzusammensetzungen (Translokationen). Die Erkrankung wird rezessiv vererbt, dass heißt, sie bricht nur aus, wenn beide Kopien eines DNA-Reparaturgens verändert sind. Behandelt werden vor allem die Folgen der gestörten DNA-Reparatur in schnell wachsenden Geweben. So dient zum Beispiel eine Stammzelltransplantation der Therapie des Knochenmarkversagens. Zeitig erkannte Tumoren werden chirurgisch entfernt.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Helmut Hanenberg
Klinik für Kinder-Onkologie, -Hämatologie und Klinische Immunologie
Kinderklinik
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Tel.: 0211 8116-103
Fax: 0211 8116-876
E-Mail: hanenberg@uni-duesseldorf.de

Dr. Dieter Niederacher
Molekulargenetisches Labor, Frauenklinik
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Tel.: 0211 8115-309
Fax: 0211 8111-324
E-Mail: niederac@uni-duesseldorf.de