Sepsis ist eine lebensbedrohliche Komplikation. In einem BMBF-geförderten Projekt haben Jenaer Forschende eine Diagnostikmethode entwickelt, die innerhalb weniger Stunden Sepsis-Erreger identifizieren und das wirkungsvollste Antibiotikum bestimmen kann.
Bei einer Sepsis, umgangssprachlich oft als Blutvergiftung bezeichnet, reagiert der Organismus auf eine Infektion, die meist durch Bakterien, in zunehmendem Maße aber auch durch Viren oder Pilze verursacht wird. Gelangen die Eindringlinge oder ihre Stoffwechselprodukte in die Blutgefäße, können sie sich im ganzen Organismus verteilen, eine systemische Entzündung hervorrufen und letztendlich viele Organe gleichzeitig schädigen – es kommt zu einem sogenannten Multiorganversagen. Unbehandelt endet eine Sepsis meist tödlich. Aber selbst nach erfolgreicher intensivmedizinischer Behandlung können Spätschäden bleiben. In Deutschland erkranken jährlich ca. 280.000 Menschen an Sepsis, fast ein Viertel dieser Patientinnen und Patienten stirbt daran.
Erreger schneller erkennen
Besonders wichtig ist es, die Erreger möglichst schnell mit den richtigen Medikamenten zu bekämpfen. Dafür muss aber bekannt sein, welcher Erreger die Sepsis ausgelöst hat. Bei den heutigen Diagnosemethoden dauert es über einen Tag bis zum Ergebnis. In der Zwischenzeit wird mit hoch dosierten Breitbandantibiotika behandelt – mit ungewissem Ausgang für die Patientinnen und Patienten und verbunden mit dem schwerwiegenden Risiko zunehmender Antibiotikaresistenzen vieler Bakterien.
Im Center for Sepsis Control and Care, kurz CSCC, hat ein interdisziplinäres Forschungsteam des Leibniz-Instituts für Photonische Technologien (Leibniz-IPHT) und des Universitätsklinikums Jena ein Verfahren entwickelt und getestet, das eine Zuordnung des Erregers und seiner möglichen Resistenzen bereits nach wenigen Stunden zulässt. Die Ergebnisse lassen zudem Rückschlüsse auf eine wirkungsvolle Therapie zu. „Eine potenziell lebensrettende Entwicklung – sowohl für den einzelnen Patienten als auch für das Gesundheitssystem“, urteilt Forschungspartner Professor Dr. Michael Bauer, der die Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin am Universitätsklinikum Jena leitet und Sprecher des CSCC ist. „Denn sie könnte helfen, uns aus der Resistenz-Misere zu befreien.“ Diese ist in der Tat ein Teufelskreis: Mit den Reserve- oder Breitbandantibiotika, mit denen Patientinnen und Patienten mit lebensbedrohlichen Infektionen unter Zeitdruck zunächst behandelt werden, schössen Medizinerinnen und Mediziner unter Umständen „mit Kanonen auf Spatzen“, so Bauer. „Das begünstigt das Entstehen neuer Resistenzen.“
CSCC
Das Center for Sepsis Control and Care, kurz CSCC, ist eines von acht integrierten Forschungs- und Behandlungszentren (IFB), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert wurden. Das CSCC ist am Universitätsklinikum Jena angesiedelt und widmet sich der Erforschung von Sepsis und deren Folgeerkrankungen.
IFBs sind Modellzentren für ein spezifisches Krankheitsgebiet. Grundlagenforschung wird hier mit klinischer Forschung verbunden und direkt mit der Patientenversorgung vereint. Dies ist ein entscheidender Schritt, um Ergebnisse aus der Forschung schneller in der Klinik umzusetzen, z. B. als neue und wirksamere Therapien. Deutschlandweit förderte das BMBF seit 2010 acht IFBs mit knapp 380 Millionen Euro. Dadurch wurden nachhaltige Strukturen geschaffen.
Die Forscherinnen und Forscher nutzten für ihr Testverfahren die spezifische Licht-Materie-Wechselwirkung. Die zugrunde liegende Idee ist das Prinzip der Raman-Spektroskopie, das auf einer Streuung von Laserlicht beruht. „Mithilfe des Laserlichts gewinnen wir einen molekularen Fingerabdruck des Erregers, den wir dann mit künstlicher Intelligenz auswerten“, erläutert Professor Dr. Jürgen Popp, wissenschaftlicher Direktor des Leibniz-IPHT, der die Erforschung des Verfahrens mit seinem Team vorangetrieben hat. „Dadurch können wir innerhalb kürzester Zeit feststellen, um welchen Erreger es sich handelt und welches Antibiotikum dagegen wirkt.“
Raman-Spektroskopie
In der Spektroskopie nutzt man die spezifischen Wechselwirkungen von Licht und Materie und untersucht dann die daraus resultierenden veränderten physikalischen Eigenschaften des Lichts wie die Wellenlänge an sich oder die Intensität bestimmter Wellenlängen. Zum Messen wird dabei oft das Licht in einem Spektrometer in seine Bestandteile zerlegt, ähnlich wie das Sonnenlicht an einzelnen Regentropfen in seine unterschiedlichen Wellenlängen zerlegt wird und einen bunten Regenbogen bildet.
Bei der Raman-Spektroskopie wird die zu untersuchende Materie mit einem Laser bestrahlt und das an den Molekülschwingungen unelastisch gestreute Licht gemessen. Für jedes Material ergibt sich dabei ein charakteristisches Muster, das die chemische Zusammensetzung in einem „spektroskopischen Fingerabdruck“ widerspiegelt. So lassen sich anhand des erhaltenen Spektrums auf die untersuchte Substanz rückschließen und Änderungen beispielsweise durch Einwirkung von Antibiotika direkt verfolgen. Eine Bakterienprobe (z. B. aus einer Patientenurinprobe) wird im Raman-Mikrofluidik-Chip mit grünem Laserlicht unter einem Mikroskop bestrahlt. Das zurückgestreute Licht wird analysiert und liefert binnen weniger Stunden wertvolle Informationen über Identität und Antibiotikaresistenzen der in der Probe enthaltenen Bakterien.
Kleinstlabor auf einem Chip
„Die Herausforderung bestand darin, die oft nur ein millionstel Meter kleinen bakteriellen Erreger direkt aus den komplexen Urinproben der Patientinnen und Patienten im Laserfokus zu fangen und zu charakterisieren“, sagt Professorin Dr. Ute Neugebauer. Sie hat am CSCC das Projekt maßgeblich durchgeführt und leitet derzeit dort die Core Unit Biophotonik und am Leibniz-IPHT die Forschungsabteilung Klinisch-Spektroskopische Diagnostik. Zur Probenvorbereitung und spektralen Analyse wurden mehrere Mikrofluidik-Chips entwickelt, die ein Labor in Kleinstform darstellen. So enthält ein am CSCC designter und am Leibniz-IPHT gefertigter Chip kleinste Elektroden und nutzt ungleichmäßige elektrische Felder, um die in der Probe verteilten Bakterien im Vorfeld der spektroskopischen Untersuchung an einer bestimmten Stelle im Chip anzureichern. Ein anderer, vom CSCC gemeinsam mit dem Biomedical Diagnostics Institute Dublin entwickelter, kostengünstiger Chip aus Kunststoff weist v-förmige Fangstrukturen auf. In diesen können die Bakterien durch Zentrifugieren gesammelt und anschließend untersucht werden. Für solche Chipsysteme sind nur geringe Probenvolumina notwendig, die weniger als ein tausendstel Liter umfassen.
Im CSCC haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ein optimales Umfeld für ihre Arbeit gefunden. Denn hier arbeiten Grundlagenforschung und Klinik eng zusammen und profitieren voneinander. Hinzu kommt, dass das in Jena ansässige Leibniz-IPHT eng mit dem CSCC kooperiert. „Erste am CSCC erforschte Konzepte konnten hier mit der vorhandenen Reinraumtechnologie schnell in funktionsfähige Muster überführt und am CSCC im kliniknahen Umfeld getestet werden“, so Neugebauer.
Ein sehr ähnliches Verfahren, das am CSCC zusammen mit Kolleginnen und Kollegen des Leibniz-IPHT entwickelt wurde, basiert ebenfalls auf der Raman-Spektroskopie und bietet den Ärztinnen und Ärzten die Möglichkeit, Leukozyten mit minimalem Aufwand aus einer kleinen Blutprobe detailliert zu charakterisieren. So ist es möglich, den Aktivierungszustand der Leukozyten nach einer Infektion mit Bakterien und Pilzen, aber auch Viren zu erfassen. Auch dieses Verfahren bietet ein großes Potenzial für die Sepsis-Diagnostik, wie das CSCC im Rahmen eines europäischen Projektes zusammen mit seinen Partnern mit einer ersten klinischen Studie zeigen konnte. Die Entwicklung des „spektroskopischen Blutbildes“ treibt das CSCC gemeinsam mit seinen Projektpartnern weiter voran.
Zudem evaluieren die Forscherinnen und Forscher in einer klinischen Studie unter der Leitung der Klinik für Anästhesiologie und Intensivmedizin der Universitätsklinik Jena die Potenziale dieser Technologien für die Corona-Diagnostik. Dafür arbeiten sie mit dem Zentrum für Innovationskompetenz (ZIK) Septomics der Universität Jena und dem Leibniz-IPHT zusammen.
Wie geht es weiter?
Für beide Verfahren, die Erregerdiagnostik mit Resistenztestung sowie das spektroskopische Blutbild, sind entsprechende Patente angemeldet und beide Verfahren sollen im neuen Leibniz-Zentrum für Photonik in der Infektionsforschung (LPI Jena) in leistungsstarke Technologieplattformen für die Diagnostik von Infektionen überführt werden. Die Ergebnisse haben außerdem zu einer Firmenausgründung geführt: Die „Biophotonics Diagnostics“ entwickelt und vertreibt Systemlösungen, mit denen lebensbedrohliche Krankheitserreger sowie deren mögliche Resistenzen schnell und einfach identifiziert werden können.
Ausgezeichnete Projekte
Die Forschungsarbeiten zur photonischen Bestimmung von Bakterien wurden 2018 mit dem 3. Platz beim Berthold Leibinger Innovationspreis und 2019 mit dem Thüringer Forschungspreis für Angewandte Forschung ausgezeichnet.
Patente wurden für die schnelle Erregerdiagnostik und Resistenztestung sowie für das spektroskopische Blutbild angemeldet. Letzteres gewann 2016 eine Goldmedaille bei der Internationalen Fachmesse „Ideen – Erfindungen – Neuheiten“ (iENA) in Nürnberg. Die Ergebnisse des spektroskopischen Blutbildes im Rahmen des EU-Projektes HemoSpec wurden 2019 mit dem Ralf-Dahrendorf-Preis für den Europäischen Forschungsraum vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ausgezeichnet.
Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Ute Neugebauer
Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum Sepsis und Sepsisfolgen (CSCC)
Universitätsklinikum Jena
Am Klinikum 1
07747 Jena
Ute.Neugebauer@med.uni-jena.de
Leibniz-Institut für Photonische Technologien e. V.
Stellv. wissenschaftliche Direktorin
Abteilungsleiterin Klinisch-Spektroskopische Diagnostik
Albert-Einstein-Straße 9
07745 Jena
ute.neugebauer@leibniz-ipht.de