Chronische Niereninsuffizienzen sind komplexe Erkrankungen. Sie erfordern eine individuell auf den Betroffenen zugeschnittene Therapie. Zur Unterstützung der behandelnden Fachärztinnen und -ärzte entwickelt ein Team von Nachwuchsforschenden eine praxisnahe App.
Die Niere spielt eine Schlüsselrolle bei der Reinigung des Blutes, der Regulierung des Wasserhaushalts und des Blutdrucks und allen damit zusammenhängenden Prozessen im Körper. Ist die Nierenfunktion dauerhaft eingeschränkt – in der Fachsprache als chronische Niereninsuffizienz bzw. Chronic Kidney Disease (CKD) bezeichnet – kommt es zu sehr unterschiedlichen, oft schweren Krankheitsbildern und -verläufen. Dies erschwert nicht nur Diagnose und Prognose, sondern erfordert auch eine individuell auf die Patientinnen und Patienten zugeschnittene Therapie.
Um Fachärztinnen und -ärzte der Nierenheilkunde (Nephrologie) in der täglichen Praxis beim Umgang mit dieser komplexen Erkrankung zu unterstützen, erarbeitet ein Team von Nachwuchsforschenden eine App, die ganz speziell für diese Aufgabe entwickelt wird, die CKDNapp (Chronic Kidney Disease Nephrologists‘ App). Diese neuartige Software fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) über fünf Jahre mit über drei Millionen Euro.
Herausforderung: unterschiedliche Daten zusammenführen
„Bei jedem einzelnen CKD-Betroffenen treten die verschiedenen Störungen nicht nur in ganz unterschiedlichem Maße auf, sondern sie beeinflussen einander auch gegenseitig“, schildert die wissenschaftliche Koordinatorin des Juniorverbundes, Prof. Dr. Helena Zacharias von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel die Herausforderung. Die bislang verfügbaren Computerprogramme würden dies nicht berücksichtigen. „Im Gegensatz dazu werden wir diese komplexen Zusammenhänge aufgreifen und in mathematischen Modellen abbilden. Daraus ergibt sich dann ein detailliertes Bild der Erkrankung für jeden einzelnen Betroffenen“, beschreibt Zacharias das Ziel des Forschungsteams.
Chronische Niereninsuffizienz
Die chronische Niereninsuffizienz ist eine weit verbreitete Erkrankung, von der momentan rund zehn Prozent der Menschen in Deutschland betroffen sind. Der volkswirtschaftliche Aufwand zur Behandlung dieser Krankheit ist entsprechend groß und belastet das Gesundheitssystem erheblich. Jährlich versagen bei etwa 14.500 Menschen die Nieren sogar komplett (dialysepflichtiges Nierenversagen) und schädigen andere Organe, vor allem das Herzkreislaufsystem so nachhaltig, dass die Erkrankung hierzulande zu den häufigsten Todesursachen führt. Eine Niereninsuffizienz beginnt oft unbemerkt und verläuft individuell sehr unterschiedlich. Zudem können im zunehmenden Verlauf weitere Organe schwer erkranken. Faktoren wie der individuelle Lebensstil und die familiäre Krankheitshistorie haben einen hohen Einfluss auf den jeweiligen Krankheitsverlauf.
Daten prüfen, mathematische Modelle und Software entwickeln
Der Juniorverbund hat seine Arbeit in vier Teilprojekte aufgeteilt. Zunächst werden die verschiedenartigen Daten erhoben, ausgewählt, medizinisch interpretiert und schließlich zusammengefasst und verfeinert dargestellt. Basis ist die ebenfalls vom BMBF geförderte German Chronic Kidney Disease Studie (GCKD Studie), in der Daten von mehr als 5000 CKD-Patientinnen und -Patienten aus der nephrologischen Praxis erfasst werden. Die GCKD-Studie hat eine Laufzeit von zehn Jahren, Daten aus den ersten 6,5 Jahren liegen bereits vor, weitere werden hinzukommen. In einem zweiten Teilprojekt werden die sehr umfangreichen und komplexen Daten mithilfe von Methoden des maschinellen Lernens in mathematische Modelle überführt. Dabei werden nicht nur bestimmte Ereignisse wie Nierenversagen oder Start einer Ersatztherapie berücksichtigt, sondern alle Phasen des Krankheitsverlaufs. Das eröffnet die Möglichkeit, Therapien frühzeitiger und wesentlich feiner zu justieren. Ein erstes Ergebnis liegt bereits vor: Der Juniorverbund entwickelte einen Risikorechner zur verbesserten Vorhersage eines terminalen Nierenversagens, welcher leicht in der klinischen Praxis angewendet werden kann.
Ein drittes Teilprojekt entwickelt neuartige Algorithmen, mit denen „virtuell“ wahrscheinliche Krankheitsverläufe und Komplikationen hochgerechnet werden können. Mithilfe von künstlicher Intelligenz und Hochleistungscomputern werden beispielsweise Vorhersagen gemacht, was passieren würde, falls Betroffene ihre Medikamente falsch oder nicht regelmäßig einnehmen. Im vierten Teilprojekt wird schließlich die App selbst entwickelt, also die Software, die es den Fachärztinnen und -ärzten ermöglicht, die Daten ihrer jeweiligen Patientinnen oder Patienten auszuwerten und die individuell optimale Therapie zu planen. Die Software unterstützt sie also in ihren patientenbezogenen ärztlichen Entscheidungen mit fundierter hochqualifizierter Beratung. In ihren tatsächlichen Therapieentscheidungen zum Wohl des Patienten bleiben die Ärztinnen und Ärzte aber letztlich frei und autonom.
Softwarekonzept auch für Erkrankungen wie Diabetes oder Alzheimer verwendbar
„Die von uns entwickelte CKDNapp wird Nephrologinnen und Nephrologen eine wirkungsvollere, auf den Erkrankten zugeschnittene Diagnostik, Therapie und Prävention ermöglichen“, fasst Zacharias zusammen. Grundsätzlich sei das zugrundeliegende Softwarekonzept auch auf andere systemische Erkrankungen wie Diabetes mellitus oder Alzheimer übertragbar.
Das Verbundforschungsprojekt CKDNapp (Chronic Kidney Disease Nephrologists‘ App) ist Teil des Förderprogramms „Juniorverbünde in der Systemmedizin“. In einem Juniorverbund arbeiten jeweils drei bis fünf junge Wissenschaftler, deren Promotion nicht länger als fünf Jahre zurückliegt, projektbezogen für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren zusammen. Damit ermöglicht das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) es jüngeren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ganz unterschiedlicher Fachdisziplinen, hochinnovative Forschungsvorhaben im Team umzusetzen. Das Förderprogramm soll dadurch auch die vielversprechenden Forschungsansätze der Systemmedizin in Deutschland breit etablieren. Der Juniorverbund CKDNapp bringt dabei hochspezifische Expertisen aus der Molekularbiologie, der medizinischen Epidemiologie sowie den Computerwissenschaften zusammen.