Wie kann schwerkranken Menschen geholfen werden, die auf eine Transplantation warten? Sind Organspenden in Zukunft überflüssig? Forschungsteams aus ganz Deutschland treiben die Vision von „Organen aus dem Labor“ voran.
Nach knapp einem Jahr Forschungsarbeit stehen die Gewinnerteams des Innovationswettbewerbs „Organersatz aus dem Labor“ fest: 2x Herz und 1x Bauchspeicheldrüse. Im Fokus steht die drängende Frage, wie fast 10.000 Schwerkranken in Deutschland perspektivisch geholfen werden kann, die auf eine lebensrettende Transplantation warten. Von September 2019 bis Februar 2020 hatten die teilnehmenden Teams Zeit, um ihre Organmodelle im Labor zu optimieren, ein aussagekräftiges Datenpaket zusammenzustellen und weitere Entwicklungen in Richtung Organersatz zu planen.
Beim virtuellen Finale am 7. Mai 2020 haben die sechs besten Forschungsteams einer international besetzten Fachjury vorgestellt, wie sie der Vision eines im Labor gezüchteten Organersatzes näherkommen wollen. Im Fokus des Wettbewerbs standen dabei die fünf Organe, die in Deutschland am häufigsten transplantiert werden: Niere, Leber, Herz, Lunge und Bauchspeicheldrüse. Die drei Gewinnerteams können nun eine Forschungsförderung von drei Millionen, zwei Millionen bzw. einer Million Euro beantragen. Der Projekte sollen bis zu drei Jahre laufen und der Projektstart ist noch für 2020 geplant.
Die Gewinner des Wettbewerbs im Einzelnen:
Das Team: Prof. Dr. Ina Gruh, Dr. Andres Hilfiker, PD Dr. Andreas Martens und Dr. Robert Zweigerdt, Leibniz Forschungslaboratorien für Biotechnologie und künstliche Organe (Leitung: Prof. Dr. Ulrich Martin) und Klinik für Herz-, Thorax,- Transplantations- und Gefäßchirurgie (Leitung: Prof. Dr. Axel Haverich), Medizinische Hochschule Hannover
Die Projektidee: Das Forschungsteam entwickelt aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) ein röhrenförmiges Herzgewebe. Dieses implantierbare biologische Herzunterstützungssystem kann man sich wie ein Ein-Kammer-Herz vorstellen. Das „Röhrchen“ ist dabei so proportioniert, dass die kontraktile Funktion der Herzmuskelzellen ausreicht, um eine gerichtete Pumpleistung zu entwickeln und ein geschädigtes Herz unterstützen zu können. Das Besondere an dem Ansatz ist, dass das Forschungsteam die Zellen nicht auf eine vorgefertigte Gerüststruktur aufbringt, sondern das röhrenförmige Gewebe „aus einem Guss“ herstellt. Die größte Herausforderung bei so einem Implantat ist die Gefäßversorgung. Hier setzt das Team auf ein eigens entwickeltes Konzept zur sofortigen Versorgung des hergestellten Gewebes, das anschließend durch neu gebildete Gefäße ergänzt wird.
Die Vision: Langfristig will das Forschungsteam das röhrenförmige Gewebe unter anderem zur Behandlung von Patientinnen und Patienten mit schweren angeborenen Herzfehlern einsetzen. In ersten klinischen Anwendungen könnten Personen profitieren, die nur mit einer Herzkammer geboren wurden. Der röhrenförmige Organersatz könnte durch seine Kontraktion aktiv Blut pumpen und damit den Blutfluss zur Lunge deutlich unterstützen und die Langzeitfolgen der Erkrankung abmildern. Das Team hofft, dass sie mit ihrem Ansatz in circa zehn Jahren die ersten Patientinnen und Patienten behandeln können. Langfristig soll die Technologie auch Betroffenen helfen, die eine Unterstützung der linken Herzkammer benötigen. Am Ende der Entwicklung steht die Vision, ein komplettes Herz mit seinem komplexen Aufbau im Labor herzustellen.
Das Team: Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann, Universitätsmedizin Göttingen; Prof. Dr. Eberhard Bodenschatz, Max-Planck-Institut für Dynamik und Selbstorganisation; Prof. Dr. Rabea Hinkel, Deutsches Primatenzentrum – Leibniz-Institut für Primatenforschung; Prof. Dr. Tobias Ortmaier, Leibniz Universität Hannover
Die Projektidee: Das IndiHEART-Team entwickelt ein System für die automatisierte Herstellung von menschlichem Herzmuskelgewebe aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) für die passgenaue Anwendung in Patientinnen und Patienten mit Herzmuskelschwäche. Die Individualisierung von sogenannten Herzpflastern soll es ermöglichen, defekte Teile des Herzen direkt zu ersetzen und damit eine optimale Wiederherstellung der Pumpfunktion zu erreichen. Zusätzlich hoffen die Forscherinnen und Forscher, dass sie durch die Verwendung von sogenannten hypoimmunogenen Zellen den Behandelten eine Immunsuppression, die häufig mit Nebenwirkungen einhergeht, ersparen können. Bei diesen Zellen sind die Gewebemerkmale ausgeschaltet, die eine Immunreaktion bei einer Fremdspende hervorrufen würden.
Die Vision: Nach Abschluss der dreijährigen Förderphase planen die Forscherinnen und Forscher mit einer ersten klinischen Prüfung des individualisierten Herzreparaturansatzes. Die Entwicklung eines universell transplantierbaren Herzgewebes mit passgenauer Struktur und Funktion soll die Behandlung einer Vielzahl von Patientinnen und Patienten mit Herzmuskelschwäche ermöglichen. Die aktuell notwendige Vorselektion von Betroffenen, die für eine Behandlung mit der Herzpflastertechnologie in Frage kommen, wäre dann nicht mehr notwendig.
Das Team: Prof. Heiko Lickert, Dr. Matthias Meier, Prof. Henrik Semb, Prof. Stephan Speier vom Helmholtz Zentrum München - Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt
Die Projektidee: Das Forschungsteam hat sich um Ziel gesetzt, funktionale implantierbare Inseln der Bauchspeicheldrüse aus induzierten pluripotenten Stammzellen (iPS-Zellen) herzustellen. Bei gesunden Menschen produzieren die Zellen dieser Langerhans’schen Inseln Insulin und weitere Hormone, die den Zuckerhaushalt regulieren. Beim juvenilen Typ-1-Diabetes zerstört das Immunsystem jedoch die Insulin-produzierenden Betazellen. Der Fokus des Projekts liegt zunächst auf der Herstellung von Alpha- und Betazellen aus iPS-Zellen. Diese sollen in einem biotechnologischen Ansatz („Tissue Engineering Approach“) generiert, aufgereinigt und zu Inseln zusammengeführt werden. Die Idee ist, die Langerhans’schen Inseln des Körpers so gut wie möglich nachzubilden und eine dem natürlichen Organ vergleichbare Funktion zu erlangen. Vor der Transplantation wollen die Wissenschaftler die Inseln dafür auch noch mit Blutgefäßen versehen.
Die Vision: Das Forschungsteam will in fünf bis sechs Jahren erste klinische Studien mit Patientinnen und Patienten beginnen. Die Kombination von Alpha- und Betazellen sowie Blutgefäßen in den Inseln soll es ermöglichen, die eigenständige Regulation des Glukosespiegels wiederherzustellen. Dies würde erstmalig die Heilung einer Patientengruppe von Diabetes ermöglichen, die aktuell unter möglicherweise lebensbedrohlichen Unterzuckerungen leidet.
Der Weg bis zu einem Organersatz aus dem Labor ist noch weit. Umso wichtiger sind erste Schritte und Forschung, die dieses Fernziel im Blick behält. Zwei der Gewinnerprojekte arbeiten an Unterstützungssystemen für das Herz. Ein weiteres Projekt macht mit seiner Idee für einen funktionellen Ersatz der Bauchspeicheldrüse Diabetes-Patienten Hoffnungen.
Auf dem Weg zu „Organen aus dem Labor“ können bereits Zwischenstufen schon erheblich zur Lebensqualität der Patienten beitragen. So könnten implantierbare Unterstützungssysteme ein geschwächtes Organ entlassen und eine Transplantation des kompletten Organs unnötig machen oder zumindest hinauszögern. Innovative Ansätze wie diese könnten in Zukunft nicht nur den Bedarf an Spenderorganen deutlich verringern. Ein Organersatz, der in Teilen oder gänzlich aus patienteneigen Zellen gezüchtet wird, würde auch die teilweise sehr belastenden Medikamente zur Vermeidung von Abstoßungsreaktionen überflüssig machen.
Mit diesem und zwei weiteren Innovationswettbewerben will das BMBF gezielt Sprunginnovationen fördern. Hierbei erprobt das BMBF neue Ansätze und Instrumente zur Identifizierung und Förderung von herausragenden neuen Technologien. Die dabei gewonnenen Erfahrungen fließen ein in den Aufbau der 2019 gegründeten Agentur für Sprunginnovationen SprinD.