Etwa ein Fünftel der krebskranken Kinder erleidet nach zunächst erfolgreicher Behandlung einen Rückfall. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können diesen Kindern helfen. Die Grundlage dafür ist die Analyse des Tumorerbguts zum Zeitpunkt des Rückfalls.
In den vergangenen 50 Jahren konnte die Prognose krebskranker Kinder enorm verbessert werden. Während bis zum Ende der 1960er-Jahre nur jedes fünfte Kind nach einer Krebsdiagnose überlebte, ist diese Zahl heutzutage gestiegen. In den Industrienationen können inzwischen vier von fünf krebskranken Kindern dauerhaft geheilt werden.
Heute sind die Rückfälle nach einer intensiven Stahlen- und Chemotherapie das drängendste Problem in der Krebsmedizin bei Kindern. „Denn bei rund einem Fünftel der krebskranken Kinder kehrt der Krebs nach einer Behandlung zurück. Das betrifft in Deutschland jedes Jahr etwa 500 Kinder. Die meisten von ihnen haben in dieser Situation bislang keine dauerhafte Heilungschance mehr, da zum Zeitpunkt des Rückfalls die gängigen Behandlungen bereits weitgehend ausgereizt sind“, erklärt Professor Stefan Pfister vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg. „Deshalb ist es uns so wichtig, für diese Kinder neue Behandlungsmöglichkeiten zu finden“, ergänzt der Kinderarzt und Molekulargenetiker.
Informationen aus dem Tumorerbgut
Mit einer Untersuchung des gesamten Tumorerbguts zum Zeitpunkt des Rückfalls können Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler heute ganz individuell herausfinden, welche Faktoren den Tumor zum Wachsen anregen. In vielen Fällen lassen sich diese wachstumsfördernden Faktoren durch ein passendes Medikament blockieren.
„Bei rund einem Fünftel der krebskranken Kinder kehrt der Krebs nach einer Behandlung zurück. Eine Erbgutanalyse kann nach unserer bisherigen Erfahrung für mehr als die Hälfte von ihnen eine zweite Chance bedeuten“, sagt Pfister. Er ist der federführende Koordinator des INFORM-Programms, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des DKTK gefördert wird. „Mit dem INFORM-Programm verfolgen wir das Ziel, deutschlandweit bei allen Kindern mit Krebsrückfällen nach Medikamenten zu suchen, die genau zu ihrem Tumor passen“, erläutert Pfister. Das Akronym INFORM steht für „INdividualized Therapy FOr Relapsed Malignancies in Childhood“ oder auf Deutsch: Individualisierte Therapie für Rückfälle von bösartigen Tumoren bei Kindern.
Im Gegensatz zur Chemo- und Strahlentherapie richten sich die neuen Medikamente gegen spezifische krebstypische Zellveränderungen und schädigen nicht alle sich schnell teilenden Zellen. Zum Beispiel können sie gezielt in die Signalwege eingreifen, die eigentlich dazu dienen, biologische Signale von außen in den Zellkern weiterzuleiten. Dass diese Signalweiterleitung in vielen Krebszellen nicht richtig funktioniert, können die Forscher an charakteristischen genetischen Veränderungen erkennen. In einem solchen Fall kann ein Wirkstoff, der den gestörten Signalweg beeinflusst, das Krebswachstum bremsen. Welche der vielen möglichen krebstypischen Veränderungen einen individuellen Tumor kennzeichnen, können die Ärztinnen und Ärzte nur durch eine Erbgutanalyse erkennen.
Datensammlung als Basis für klinische Studie
Anfang 2015 startete das „INFORM-Register“. Mit dieser Machbarkeitsstudie untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler über zwei Jahre an 260 Kindern, inwieweit die Erbgutinformationen dazu beitragen können, den Kindern eine bessere Behandlung anzubieten. Dabei konzentriert sich das Register auf die Krebsarten, bei denen Kinder am häufigsten Rückfälle erleiden, etwa Hirntumoren und Sarkome, vom Stützgewebe ausgehende bösartige Tumoren. Auch kleine Krebspatienten, deren Tumoren sich von Anfang an als außergewöhnlich therapieresistent herausstellen, werden in die Registerstudie aufgenommen. „Zusammen mit den Kindern aus einer vorausgegangenen Pilotphase haben wir inzwischen Tumorproben von knapp 130 Kindern analysiert und in etwa zwei Drittel der Proben medizinisch relevante genetische Veränderungen gefunden“, sagt Professor Olaf Witt von Deutschen Krebsforschungszentrum, der klinische Leiter des INFORM-Registers.
Unter dem Dach der GPOH beteiligen sich deutschlandweit elf krankheitsspezifische Studiengruppen und 48 Rekrutierungszentren
Das Hauptziel der Registerstudie ist es, die erforderliche Logistik für das anspruchsvolle Vorhaben zu optimieren und die Sammlung molekularer und klinischer Daten als Basis für eine zukünftige klinische Studie aufzubauen. Die Zusammenarbeit mit der Fachgesellschaft koordiniert Professorin Angelika Eggert von der Charité in Berlin.
Der molekulare Fingerabdruck des Tumors
Die molekulare Analyse des Tumorerbguts umfasst die Sequenzierung des kompletten Erbguts und bestimmter sogenannter epigenetischer Modifikationen. Darunter verstehen die Forscher chemische Veränderungen an der DNA, die über die Aktivität einzelner Erbgutabschnitte entscheiden. Darüber hinaus verraten RNA-Analysen, welche Gene in den Tumorzellen abgelesen werden. „Unser Ziel, alle Analyseergebnisse innerhalb von vier Wochen vorliegen zu haben, konnten wir erreichen“, sagt Professor Peter Lichter vom Deutschen Krebsforschungszentrum, der die molekulare Diagnostik im INFORM-Programm koordiniert.
Die genetischen Analysen ergeben einen sehr präzisen molekularen „Fingerabdruck“ des Tumors. Ist dieser erstellt, klassifiziert ein Gremium aus erfahrenen Expertinnen und Experten aus den Bereichen Kinderonkologie, Bioinformatik, Biologie und Pharmakologie die bei den einzelnen Kindern entdeckten Veränderungen nach klinischer Relevanz.
In der INFORM-Registerstudie geben die Forscherinnen und Forscher jedoch keine Therapieempfehlungen, sondern leiten lediglich die molekularen Informationen an die behandelnden Ärzte weiter. Werden bei einem Patienten Veränderungen in den Tumorzellen entdeckt, gegen die bereits Wirkstoffe zur Verfügung stehen, so kann der behandelnde Arzt diese Information nutzen und individuell mit dem Kind bzw. den Eltern entscheiden, ob diese Medikamente eingesetzt werden sollen.
Auch die Entdeckung krebstreibender Zellveränderungen, für die noch keine zielgerichteten Medikamente existieren, hilft den Forschenden weiter, etwa um neue Wirkstoffe zu entwickeln.
Nach Abschluss der Registerphase wollen die Kinderonkologen in einer klinischen Studie prüfen, ob ausgewählte Kombinationen von individualisierten Therapien bei kleinen Patienten mit passenden Erbgutveränderungen bessere Heilungserfolge erzielen als die herkömmliche Behandlung.
Das passende Medikament für jeden Tumor
Natürlich erhoffen sich die Ärzte und Wissenschaftler in erster Linie, mit INFORM die Überlebenschancen von krebskranken Kindern mit einem Rückfall verbessern zu können. Die Forscherinnen und Forscher wissen inzwischen, dass Kindertumoren im Schnitt ungefähr hundert Mal weniger Mutationen tragen als die meisten Krebserkrankungen im Erwachsenenalter. Das macht die Aufgabe, die tumortreibenden Mutationen zu identifizieren und mit dem „richtigen“ zielgerichteten Medikament zu verbinden, deutlich einfacher. Die Erfahrungen, die die Forscher im Zuge von INFORM sammeln, werden der Planung ähnlicher Studien bei erwachsenen Krebspatienten wesentlich zugutekommen.
Als DKTK-Projekt profitiert INFORM besonders von der Geräteinfrastruktur, die am DKTK-Kernzentrum Heidelberg aufgebaut wurde. Ohne Hochdurchsatz-Sequenzierer und die anspruchsvolle Bioinformatik ließen sich die molekularen Erbgutanalysen nicht in der erforderlichen Zeit durchführen. Weiterhin unterstützen die Deutsche Krebshilfe und die Deutsche Kinderkrebsstiftung INFORM, um die Kosten für die Erbgutanalyse, die Datenauswertung und die Dokumentation der Krankheitsverläufe zu decken. Die Hilfsorganisation „Ein Herz für Kinder“ beteiligt sich an den Kosten für die teuren, zielgerichteten Medikamente, die von den Krankenkassen nicht übernommen werden.
Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung, kurz DKTK, ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesforschungsministerium gefördert werden. Im DKTK bündeln Forscherinnen und Forscher aus 20 universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen in ganz Deutschland ihre Kräfte im Kampf gegen Krebserkrankungen. Mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg als Kernzentrum und sieben Partnerstandorten verbindet das einzigartige Netzwerk einige der stärksten Krebsforschungs- und Krebstherapiezentren Deutschlands.
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