Von Pflegestufe I in Pflegestufe II und irgendwann in Stufe III: Diese Regel gilt zwar für die meisten, aber nicht für alle Pflegeverläufe. Dass es durchaus pflegebedürftige Menschen gibt, deren Zustand sich im Laufe der Zeit derart bessert, dass sie nur noch eine niedrigere Pflegestufe benötigen, zeigte ein Wissenschaftlerteam aus Bremen unter der Leitung von Professor Heinz Rothgang.
„Pflegebedürftigkeit ist keinesfalls ein linearer Prozess, bei dem sich die Alltagsfähigkeiten der Pflegebedürftigen kontinuierlich verschlechtern“, betont Rothgang und folgert: „Hier verbirgt sich ein derzeit noch weitgehend ungenutztes Potenzial für rehabilitative Maßnahmen.“
Der Gesundheitsökonom ermittelte mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) erstmals, wie sich Pflegeverläufe in Deutschland langfristig entwickeln. In diesem Zusammenhang erhoben Rothgang und sein Kollege Lars Borchert auch die beanspruchten Pflegeleistungen wie Pflegegeld, Pflegesachleistungen, Kombinationsleistungen und stationäre Pflegeleistungen (siehe Kasten). Dafür werteten sie Daten der Gmünder Ersatzkasse (GEK) von rund 20.000 pflegebedürftigen Personen aus dem Zeitraum von 1998 bis 2006 aus.
Frauen benötigen häufiger stationäre Pflege
Die stationäre Pflege stellt für beide Geschlechter die stabilste Pflegeleistung dar, so ein weiteres Ergebnis der Längsschnittstudie. Jemand, der einmal stationär in ein Pflegeheim aufgenommen wurde, geht ausgesprochen selten zurück in die häusliche Pflege. Doch auch häusliche Pflegearrangements zeigen Konstanz. „Viele Pflegebedürftige bleiben bis zum Lebensende zu Hause“, setzt sich Rothgang für dieses Pflegemodell ein.
Die vollstationäre Pflege kommt bei Frauen deutlich häufiger vor als bei Männern. Rothgang erklärt dies damit, dass Frauen aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung im hohen Alter meist keinen Lebenspartner mehr haben, der die häusliche Pflege übernehmen könnte. Wer direkt zu Beginn der Pflegebedürftigkeit in die Pflegestufe III eingestuft und in ein Heim eingewiesen wird - meist aufgrund von Krankheiten mit einer hohen Sterblichkeit wie bösartige Tumore oder schwere Herz-Kreislauferkrankungen - verstirbt zu rund 50 Prozent innerhalb der ersten zwei bis drei Monate. Haben die Betroffenen jedoch die ersten sechs bis zwölf Monate überlebt, entwickeln sich daraus oft lang andauernde Pflegefälle, fanden die Bremer Wissenschaftler heraus. „Viele bewältigen den Übergang in die stationäre Pflege und den damit verbundenen Ortswechsel nicht “, erklärt Rothgang einen weiteren Grund für die anfänglich hohe Mortalität.
Die Ergebnisse des Projekts liefern den Pflegekassen, Pflegediensten und auch der Politik eine wichtige Planungsgrundlage wenn es darum geht, stationäre und ambulante Leistungen im Rahmen einer neuen Pflegeversicherungsreform anzupassen.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Heinz Rothgang
Zentrum für Sozialpolitik
Abt. Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und
Versorgungsforschung
Parkallee 39
28202 Bremen
Tel.: 0421 218-4132
Fax: 0421 218-7540
E-Mail: rothgang@zes.uni-bremen.de
Pflegeleistungen im Überblick
Pflegesachleistungen:
Pflegeleistungen durch Beschäftigte von ambulanten Pflegeeinrichtungen, die mit der Pflegekasse einen Versorgungsvertrag abgeschlossen haben.
Pflegegeld:
Geldleistung für Versicherte, die von Angehörigen oder Freunden gepflegt werden - gestaffelt in die Pflegestufen I bis III.
Kombinationsleistungen:
Die Pflegebedürftigen beziehen einen Teil der Leistungen über die Pflegekasse als Sachleistung (z. B. Grundpflege über einen Pflegedienst) und einen Teil als Pflegegeld (z. B. für Hilfe bei der hauswirtschaftlichen Versorgung durch Freunde und/oder Angehörige).
Teilstationäre Pflege:
Einrichtungen, in denen Pflegebedürftige tagsüber oder nachts gepflegt werden, wenn eine häusliche Pflege nicht ausreicht. Die Betroffenen behalten ihre eigene Wohnung.
Vollstationäre Pflege:
Stationäre medizinische, pflegerische und soziale Betreuung in einem Pflegeheim.
Quelle: Sozialgesetzbuch XI