Pharmakogenetik: Maßgeschneiderte Therapie bei HIV

Für die Wirksamkeit eines Medikamentes sind Umfang und Geschwindigkeit der Aufnahme des Wirkstoffes in den Körper von entscheidender Bedeutung. Diese so genannte Bioverfügbarkeit hängt nicht nur von den chemischen und physikalischen Eigenschaften des Medikamentes ab. Der vom BMBF geförderte Leitprojektverbund "Pharmakogenetische Diagnostik" konnte erstmals zeigen, dass die genetische Variabilität von Transportproteinen den Erfolg von Arzneimitteltherapien beeinflusst.

Neben den Eigenschaften eines Wirkstoffes spielen auch in den Darmzellen lokalisierte Transportproteine eine entscheidende Rolle bei der oralen Aufnahme von Medikamenten. Ein solches Transportprotein ist das P-Glykoprotein: Eigentlich schützt es unsere Zellen, indem es giftige Substanzen aus dem Zellinneren aktiv nach außen pumpt. Weil es aber aus den Darmzellen auch Medikamente zurück in das Darmlumen transportiert, können diese an Wirkung verlieren. Ein Team um Prof. Michael Eichelbaum vom Dr. Margarete Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie in Stuttgart identifizierte zusammen mit der Epidauros AG und der Gruppe von Prof. Ivar Roots am Institut für Klinische Pharmakologie des Unibersitätsklinikums Charité eine funktionell relevante Mutation im Multi-Drug-Resistance-Gen 1 (MDR-1), das für das P-Glycoprotein codiert. Die Mutation führt zu einer verminderten Expression des P-Glycoproteins im Darm und damit zu einer geringeren Exportrate. Bei Menschen mit der Veränderung im MDR-1-Gen (Polymorphismus) wirken einige Arzneimittel besser, da mehr Wirkstoff von den Darmzellen aufgenommen, anschließend in die Blutbahn abgegeben und an den Zielort transportiert wird.

Neue Erkenntnisse für die AIDS-Forschung
Das P-Glycoprotein lässt sich auch in Lymphozyten, einem Zelltyp des Immunsystems, nachweisen; in einem Teil der Lymphozyten, den CD4+ T-Lymphozyten, vermehrt sich das HIV-Virus. Seit längerem beobachten Mediziner, dass die HIV-Therapie trotz gleicher Wirkspiegel der Medikamente sehr unterschiedlich erfolgreich ist. Bisher wurden hierfür Mutationen der Viren verantwortlich gemacht. Da aber auch die Protease-Inhibitoren - ein wichtiger Bestandteil der medikamentösen HIV-Therapie - vom P-Glycoprotein transportiert werden, lag es nahe, Zusammenhänge zwischen dem Erfolg der Behandlung und dem MDR-1 Genotyp zu untersuchen. Kürzlich konnte nun in einer klinischen Studie gezeigt werden, dass Patienten, die aufgrund des Polymorphismus weniger P-Glycoprotein exprimieren, auch besser auf die Behandlung mit Proteaseinhibitoren ansprechen. Denn in ihren CD4+ T-Lymphozyten, die das Reservoir des HIV-Virus sind, verbleibt mehr von den Protease-Inhibitoren. Die Ergebnisse könnten auch die schlechten Resultate mit Protease-Inhibitoren bei afrikanischen Patienten erklären. Sie verfügen im Vergleich zu Europäern und Asiaten seltener über den Genotyp, der für eine niedrige Expression des P-Glycoproteins codiert.

Höhere Arzneimittelsicherheit
Die Aufklärung der Zusammenhänge zwischen genetischen Prädispositionen und der Wirkung eines Medikamentes ermöglicht es Ärzten, Therapieversagen oder schwere Nebenwirkungen in vielen Fällen auszuschließen. Arzneimittelauswahl und -dosierung können mit diesem Wissen auf das individuelle genetische Profil des Patienten abgestimmt werden. Die Epidauros AG bietet Pharmafirmen und Kliniken einen Test an, mit dem der Polymorphismus des MDR-1 Gens identifiziert werden kann. Im Falle eines positiven Ergebnisses können Ärzte eine alternative Therapie in Erwägung ziehen, mit Arzneimitteln, die nicht vom P-Glycoprotein erkannt werden. Der Test hat aber nicht nur Bedeutung für AIDS-Patienten, denn 30 Prozent aller Medikamente und ein noch wesentlich höherer Anteil an Krebstherapeutika sind ein Substrat des P-Glycoproteins. So findet er beispielsweise auch Anwendung bei der Therapie von Epilepsie-Patienten mit dem Medikament Phenytoin, dessen Konzentration und Wirkung durch den MDR-1 Polymorphismus beeinflusst werden.

Der Verbund "Pharmakogenetische Diagnostik" ist Teil des Leitprojekts "Diagnose und Therapie mit den Mitteln der Molekularen Medizin" und wird vom BMBF seit 1999 bis 2003 mit 11,7 Millionen Euro gefördert.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Michel Eichelbaum
Institutsleiter
Dr. Margarete-Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie
Auerbachstr. 112
70376 Stuttgart
Tel.: 0711/81 01 37 11
E-Mail: michel.eichelbaum@ikp-stuttgart.de

Elisabeth Heinrich
Manager Public Relations
EPIDAUROS Biotechnologie AG
Am Neuland 1
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April 2002