Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) entwickelte ein Diagnoseverfahren, für das kein Gewebe entnommen werden muss: Ein an ein Radionuklid gekoppelter Wirkstoff bindet an Tumore. Bildgebende Verfahren machen sie dann sichtbar.
Prostatakrebs ist mit 26 Prozent die häufigste Krebserkrankung bei Männern in Deutschland und die zweithäufigste weltweit. Für das Jahr 2012 sind allein in Deutschland 77.300 Neudiagnosen sowie 10.400 Sterbefälle registriert worden. Durch Fortschritte in der modernen Tomografietechnologie haben sich die Heilungschancen beim Prostatakrebs heute deutlich verbessert. Robotergestützte Chirurgiesysteme erlauben zudem minimalinvasive Eingriffe. Nebenwirkungen wie Inkontinenz oder Impotenz sind damit erheblich seltener geworden.
Die Früherkennung spielt für die Heilungschancen der Betroffenen eine wesentliche Rolle: Rechtzeitig erkannt ist das Prostatakarzinom bei vielen Patienten gut heilbar, weil die Tumoren vergleichsweise langsam wachsen. Zu den Routineuntersuchungen bei der Früherkennung gehören das Abtasten der Prostata, der Ultraschall und die Messung des prostataspezifischen Antigen (PSA)-Spiegels im Blut. „Anhand dieser Ergebnisse allein lässt sich jedoch in den meisten Fällen keine sichere Diagnose stellen“, betont der Nuklearmediziner Professor Frederik Giesel, geschäftsführender Oberarzt am Universitätsklinikum Heidelberg. Der PSA-Test, der standardmäßig bei Verdacht auf Prostatakrebs eingesetzt wird, ist gleichwohl umstritten, da er auch bei gutartigen Tumoren, Harnwegs- oder Prostataentzündungen „Alarm“ schlägt. „Die einzig verlässliche Methode, um das Tumorstadium zu ermitteln, ist nach wie vor die Gewebeentnahme“, sagt Giesel.
Diagnose ohne Eingriff
Um den Patienten diese oft belastenden Biopsien ersparen zu können, wird weltweit intensiv an nicht invasiven Diagnoseverfahren geforscht. Giesel und seinem Kollegen Professor Klaus Kopka, der die Abteilung Radiopharmazeutische Chemie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) leitet, ist es gelungen, im DKTK-Verbund ein solches bildgebendes Verfahren zu entwickeln. Die Wissenschaftler nutzen dafür die „molekulare Bildgebung“, eine noch relativ junge Technik, mit deren Hilfe sogar molekulare Vorgänge an der Zellmembran und in der Zelle sichtbar werden.
„In Prostatakrebszellen ist das prostataspezifische Membranantigen (PSMA) ein Rezeptor der Zellmembran, um das 100- bis 1000-fache vervielfacht“, erklärt Kopka das molekulare Prinzip der Methode. „Der im DKTK entwickelte Wirkstoff PSMA-11 besteht in erster Linie aus einem synthetischen Molekül, dass spezifisch an den PSMA-Rezeptor der Prostatakrebszellen bindet. Gekoppelt an das schwach strahlende diagnostische Radionuklid Gallium-68 (68Ga) werden Prostatatumoren in der Positronen-Emissions-Tomografie (PET) sichtbar.“
Auch kleinste Tumoren und deren Absiedlungen können so präzise lokalisiert werden – oft bevor diese mit Computertomografie (CT) oder Magnetresonanztomografie (MRT) nachweisbar sind. „Mit der PSMA-Methode erkennen wir Lymphknotenmetastasen, die kleiner als acht Millimeter sind und damit unterhalb der Grenze der üblichen Bildgebungsmethoden liegen“, sagt Giesel. Auch im Vergleich zum Radiopharmakon „Cholin“, das in der klinischen PET-Diagnostik beim Prostatakarzinom bislang als Goldstandard galt, ist die PSMA-Methode deutlich sensitiver.
Die neue bildgebende Methode ist zudem ein großer Fortschritt, um Gewebe präziser zu entnehmen, damit Tumoren während der Operation auch vollständig entfernt werden. „Präzisere Diagnoseverfahren tragen letztlich auch dazu bei, Rückfälle zu verhindern“, betont Giesel.
Vielversprechendes Verfahren für die Früherkennung
Schon jetzt belegen mehr als 500 individuelle Untersuchungen die Genauigkeit der Methode und zeigen ihren Einfluss auf die Therapieplanung. „In einer aktuellen klinischen Untersuchung wurde nach der PSMA-PET-Bildgebung der ursprüngliche diagnostische CT- bzw. MR-Befund bei mehr als der Hälfte der Patienten im Nachhinein korrigiert“, sagt Frederik Giesel.
Ziel der Wissenschaftler ist es, das Verfahren als festen Bestandteil der gesetzlichen Krankenversorgung beim Prostatakrebs zu etablieren. Dafür werden im Förderprogramm des DKTK die Wirkstoffe „Ga-68-PSMA-11“ in sogenannten Phase-I- und -II-Studien klinisch getestet. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollen Gewebeproben von 150 Prostatakrebspatienten, die bereits für einen chirurgischen Eingriff vorgemerkt sind, untersuchen und die histologischen Befunde mit der PSMA-Vorhersage abgleichen. Frederik Giesel ist Leiter der klinischen Prüfung: „Wenn sich die sehr guten Erfahrungen aus Voruntersuchungen bestätigen, wird unsere Studie dazu beitragen, die neue Methode in der breiten Versorgung zu etablieren.“ Insgesamt nehmen elf Prüfzentren in drei Ländern an der Studie teil, darunter auch alle Translationszentren des DKTK.
Eine echte Herausforderung wird es dabei sein, den radioaktiven Wirkstoff standortübergreifend herzustellen. Das Radionuklid 68Ga hat nur eine sehr kurze Halbwertszeit von 68 Minuten. Danach ist es im PET nicht mehr sichtbar. Deswegen muss das Radiopharmakon als Injektionslösung direkt vor Ort produziert werden. „Wir müssen sicherstellen, dass der Wirkstoff überall einheitlich hergestellt wird. Die Kriterien der Good Manufacturing Practice (GMP) sind dabei strengstens einzuhalten“, erklärt Kopka, der bei der multizentrischen PSMA-Studie für die radiopharmazeutische Koordination verantwortlich ist. „Gemeinsam mit den teilnehmenden Zentren haben wir einen Prozess definiert, der gewährleistet, dass an allen DKTK-Standorten gleiche Bedingungen herrschen. Allein von der arzneimittel- und strahlenschutzrechtlichen Seite ist das ein hochkomplexes Unterfangen, das wir ohne die standortübergreifende Infrastruktur des Konsortiums nicht so hätten umsetzen können“, sagt Kopka.
Das Theragnostik-Konzept: Tumorgewebe wird von innen bestrahlt
Spannend ist die PSMA-Studie nicht nur, weil sie eine neue Diagnostik etablieren soll, sondern auch, weil sie im Sinne einer „Theragnostik“ neue Horizonte für die Therapie eröffnet: Eine chemisch abgeänderte Version des Moleküls PSMA-11 an einen stärkeren Strahler gekoppelt, kann für die innere systemische Strahlentherapie („Endoradiotherapie“/Radioliganden-Therapie) genutzt werden. „Prinzipiell können wir spezifische Moleküle auch gegen andere Tumormarker entwickeln und diese an unterschiedliche Strahler koppeln“, erläutert Klaus Kopka die Möglichkeiten des Radiopharmakon-Designs.
Speziell für die Endoradiotherapie hat das Team von Klaus Kopka den Wirkstoff PSMA-617 entwickelt. PSMA-617 ist an den Betastrahler Lutetium-177 (GaLu) gekoppelt. „Während die Halbwertszeit von 68Ga-PSMA-11 nur eine Stunde beträgt, hält die Strahlung des Wirkstoffs 177Lu-PSMA-617 bis zu mehrere Tage an, um Krebszellen länger bestrahlen zu können“, erläutert Kopka. Die Krebszellen werden durch das Molekül PSMA-617 gezielt anvisiert. Ein an das Molekül gekoppelter „Linker“ sorgt dafür, dass 177Lu-PSMA-617 in das Innere der Tumorzellen gelangt, wo die radioaktive Strahlung zielgerichtet die für die Tumorzelle zerstörerische Wirkung erzielt. „Auf diese Weise werden Krebszellen präzise angegriffen, und das gesunde Gewebe des Patienten wird geschont“, sagt Frederik Giesel.
Neue Therapieoption bei Rückfällen
In anderen Verfahren werden beispielsweise an Antikörper gekoppelte Toxine eingesetzt, die Krebszellen zielgerichtet erkennen und zerstören können. „Ein Vorteil radiopharmazeutischer Wirkstoffe ist jedoch deren geringe Größe“, erklärt Kopka. „Wir verwenden kleine, synthetische Moleküle, die innerhalb von Minuten zu den Krebszellen gelangen und sich mit einem vergleichsweise geringen Aufwand herstellen lassen.“ Eine weitere positive Eigenschaft ist die gute Verträglichkeit des Therapeutikums. „Anstelle von Toxinen verwenden wir Partikelstrahler, die gebunden an den PSMA-Radioliganden keine Nebenwirkungen im Blutzellsystem hervorrufen“, betont Giesel. „Das Therapeutikum ist zudem deutlich verträglicher als eine Chemotherapie, das haben Studien bereits gezeigt.“
Gerade Patienten, die einen Rückfall erleiden, könnten von der inneren Bestrahlungstherapie profitieren. „Wenn die gängigen Behandlungsmöglichkeiten ausgereizt sind, kann die innere Bestrahlung eine Therapieoption ohne die starken Nebenwirkungen einer Hormon- oder Chemotherapie sein“, sagt Giesel. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen, mit dem PSMA-Verfahren nicht nur die Früherkennung, sondern auch die Überlebenschancen von Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakarzinom zu verbessern. Klinische Studien, in denen die Wirksamkeit von PSMA-617 geprüft werden soll, sind bereits in Planung.
Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung, kurz DKTK, ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert werden. Im DKTK bündeln Forscherinnen und Forscher aus mehr als 20 universitären und außeruniversitären Einrichtungen in ganz Deutschland ihre Kräfte im Kampf gegen Krebserkrankungen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum am Standort Heidelberg verbindet sich als Kernzentrum mit weiteren sieben universitären Partnerstandorten im Konsortium mit einigen der stärksten Krebsforschungs- und Krebstherapiezentren in Deutschland.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Frederik L. Giesel
Universitätsklinikum Heidelberg
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Prof. Dr. Klaus Kopka
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
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