Interview mit Prof. Dr. Stefan Dübel, Institut für Biochemie und Biotechnologie an der Technischen Universität Braunschweig, Projektleiter der Antikörperfabrik
Welche Bedeutung haben Antikörper für die Forschung?
Das Humangenomprojekt hat uns, wie viele weitere Genomanalysen, die enorme Zahl von rund 25.000 Genen offenbart. Deren Funktionen sind jedoch noch weitgehend unbekannt – wir können zwar voraussagen, welche Bereiche für Eiweiße kodieren, jedoch nicht, welche Funktionen diese Proteine haben. Nach der Entschlüsselung des Erbmaterials stehen wir deshalb vor der Aufgabe, dem gefundenen „Text“ seine Bedeutung zuzuordnen. Es geht nun darum, das Proteom zu untersuchen: jene Stoffe also, welche die eigentlichen biochemischen Reaktionen des Lebens steuern. Antikörper sind dabei unersetzliche Schlüsselreagenzien dank ihrer natürlichen Fähigkeit, Körperfremdes von Körpereigenem genau zu unterscheiden. Mit der gleichen Zielgenauigkeit können Antikörper auch die Vielzahl verschiedener Proteine unterscheiden, sie aufspüren und markieren.
Welchen Vorteil bietet die Antikörperfabrik?
Zur Erforschung der Genprodukte besteht ein Bedarf an Zehntausenden von Antikörpern – gegen jedes einzelne Protein. Mit der Antikörperfabrik gehen wir neue Wege zur in-vitro-Generierung von Antikörpern. Mithilfe des Phagen-Displays selektiert sie spezifische Antikörperfragmente aus Antikörperbibliotheken. Diese Technologie ermöglicht – im Gegensatz zu versuchstierabhängigen Methoden – eine weitgehende Miniaturisierung und Parallelisierung der Antikörperherstellung.
Das Antikörper-Phagen-Display wird doch aber schon länger genutzt ...
Sicherlich, mit dieser Selektionsmethode werden bereits seit Anfang der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts humane Antikörper zum therapeutischen Einsatz hergestellt.
Inzwischen ist das erste so gewonnene Medikament auf dem Markt, weitere befinden sich derzeit in der klinischen Entwicklung. Will man jedoch Antikörper in großer Zahl für die Forschung entwickeln, hat man nicht so viel Zeit. Die Anforderungen an die Antikörper-Herstellung für den breiten Einsatz in der Forschung sind deshalb vollkommen anders. Hier geht es darum, die Methode des Phagen-Displays stark zu verschlanken, um möglichst viele verschiedene Antikörper möglichst kostengünstig herzustellen.
Welche Ziele verfolgen Sie mit Ihrem Projekt?
Die Antikörperfabrik arbeitet auf drei Ziele hin. Erstens auf die Entwicklung neuer Panning- und Analyseverfahren, um den Selektionsprozess zu vereinfachen und den Durchsatz bei der Produktion zu erhöhen. Zweitens wollen wir ein großes Spektrum an Reagenzien zur Verfügung stellen und deren Eignung in verschiedenen Analysemethoden untersuchen und optimieren. Drittens sollen die Voraussetzungen für eine Servicefunktion für die Lieferung von Antikörpern geschaffen werden.
Was ist der konkrete Nutzen für die medizinische Praxis?
Langfristig ist es das Ziel, Antikörper herzustellen, die dazu beitragen, die medizinischen Diagnose- und Therapiemöglichkeiten zu erweitern. Ein erstes Einsatzgebiet liegt in der Grundlagenforschung zu den Funktionen der Zelle. Mittels Antikörper lassen sich die unzähligen Proteine einer Zelle genauer und oft auch erstmals analysieren, woraus sich neue Erkenntnisse für die Medizin ergeben werden. Zum Zweiten sind Antikörper die Schlüsselreagenzien, um neue „Targets“ zu identifizieren: Das sind Angriffspunkte, an denen Medikamente ansetzen. Antikörper sind somit für die Medikamentenentwicklung essenziell. Schließlich kann auch die direkte Nutzung in Arzneimitteln erfolgen. Gelingt es beispielsweise, einen Antikörper herzustellen, der nur ganz bestimmte Tumorzellen bindet, kann dieser selbst als Wirkstoff eingesetzt werden.
Bei welchen Indikationen werden Antikörper angewendet?
Rekombinante, also mithilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellte Antikörper, finden sich in einer schnell wachsenden Zahl neuer und erfolgreicher Behandlungsansätze für Krebs, Autoimmunkrankheiten und Infektionen. Konkrete Beispiele sind Therapeutika wie Herceptin gegen Brustkrebs, Tysabri gegen Multiple Sklerose oder Synagis gegen den Rous Sarcoma Virus bei Säuglingen. Ebenso wie die Antagonisten des Tumor-Nekrose-Faktor a (TNF a) Remicade und Humira gegen überschießende Entzündungsreaktionen, wie sie bei rheumatoider Arthritis oder Morbus Crohn auftreten.
Was sind die nächsten Etappen der Antikörperfabrik?
Wir haben bereits in Pilotprojekten begonnen, gezielt Antikörper gegen bestimmte Targets zu produzieren. Künftig werden wir hoffentlich in der Lage sein, größere Zahlen klinisch interessanter Proteine zu bearbeiten.