Lärm, laute Musik und Dauerbeschallung durch MP3-Player oder Handys sind Gift fürs Gehör. Schon heute sind schätzungsweise bis zu 20 Prozent der Deutschen schwerhörig. Hilfe beim Hören bieten nicht nur die klassischen externen Hörgeräte, sondern auch direkt ins Mittelohr implantierte Hörgeräte. Diese Implantate haben viele Vorteile, müssen jedoch in einer aufwändigen Operation in das Ohr eingesetzt werden. Wissenschaftler entwickeln aktuell ein neuartiges Implantat, das deutlich einfacher einzusetzen und damit kostengünstiger wäre. Das Herzstück des Implantats ist kleiner als ein Reiskorn.
Bitte, was hast Du gerade gesagt? Schwerhörigkeit ist für die Betroffenen und ihre Mitmenschen oftmals eine große Belastung. In Europa ist mittlerweile fast die Hälfte aller über 65-Jährigen schwerhörig – Tendenz steigend. „Da wir immer älter werden, nimmt leider auch die Zahl der Menschen mit Altersschwerhörigkeit zu. Aber auch durch langjährige, übermäßige Beschallung, wie sie bei Rockkonzerten oder in Clubs an der Tagesordnung ist, steigt das Risiko für Schwerhörigkeit bereits in jungen Jahren“, berichtet Prof. Dr. Hans-Peter Zenner von der Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde am Universitätsklinikum Tübingen.
Um das Hörvermögen von Schwerhörigen zu verbessern, können die am Ohr eintreffenden Schallwellen mithilfe von Hörgeräten verstärkt werden. In der Regel werden Schwerhörige mit einem klassischen Hörgerät ausgestattet, das hinter dem Ohr getragen wird. Hierbei wird das Schallsignal über ein Mikrofon, einen Verstärker und schließlich durch einen Lautsprecher an das Ohr übermittelt. Vor allem bei einer hochgradigen Schwerhörigkeit stoßen diese Geräte aber an ihre Grenzen. Eine Alternative bieten Hörgeräte, die direkt in das Mittelohr der Betroffenen implantiert werden. „Diese Implantate übertragen die Schallschwingungen mechanisch auf die Gehörknöchelchen und können für einen Teil der Patientinnen und Patienten eine deutlich präzisere Hörfähigkeit als die klassischen Hörgeräte erreichen“, erklärt Professor Zenner. Allerdings ist die Implantation dieser Hörgeräte mit einem chirurgischen Eingriff verbunden. Professor Zenner: „Um bisherige Implantate im Ohr zu positionieren, muss im Schädel ein künstlicher Zugang zum Mittelohr – parallel zum Gehörgang – geschaffen werden.“ Ein aufwändiger und deshalb sehr kostspieliger Eingriff. „Das ist auch der Grund, warum Hörimplantate nur für einen Bruchteil der Betroffenen erschwinglich sind.“ Das soll sich nun ändern. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entwickeln Wissenschaftler derzeit ein neuartiges Implantat, das im Vergleich zu den bisherigen einfacher und kostengünstiger einzusetzen wäre. „So könnten von unserem neuen Implantat mehr Menschen als bisher profitieren“, betont Professor Zenner.
Der innere Teil des neuartigen Implantats im Größenvergleich mit
einem Wattestäbchen. Rechts ist der Schallwandler, der direkt am
runden Fenster im Mittelohr platziert wird, links der Empfänger der
drahtlosen Verbindung zwischen Außen- und Mittelohr.
Bildquelle: Naturwissenschaftliches und Medizinisches Institut an der Universität Tübingen
Bei vielen Menschen laufen einzelne oder mehrere der zahlreichen Prozesse im Ohr nicht mehr vollständig ab – sie leiden unter Schwerhörigkeit. Bei einer altersbedingten Innenohrschwerhörigkeit sterben vor allem Sinneshärchen in der Gehörschnecke ab. Oftmals besitzen die Betroffenen hierfür eine genetische Veranlagung. Absterben können die Sinneshärchen aber auch durch jahrzehntelange übermäßige Beschallung oder andere mechanische Einflüsse. Meist ist eine Schädigung der Härchen irreversibel. Durch Hörgeräte kann das Hörvermögen jedoch wieder verbessert werden. Hierbei wird der am Ohr eintreffende Schall künstlich verstärkt, um die noch intakten Sinneshärchen vermehrt in Schwingungen zu versetzen.
Was ist das Besondere an dem neuen Implantat? Das sogenannte Rundfensterimplantat der Tübinger Forscher besteht aus drei Teilen: einem externen Gehäuse mit Mikrofon, einer drahtlosen Verbindung zwischen Außen- und Mittelohr und einem Schallwandler, der in das Ohr implantiert wird. „Das eigentliche Herzstück des Gerätes ist der Schallwandler. Er ist kleiner als ein Reiskorn und wird direkt an der Verbindung zwischen Mittelohr und Innenohr, am sogenannten runden Fenster, platziert“, erklärt Professor Zenner. Dort überträgt der Schallwandler direkt Schwingungen an die Gehörschnecke und verbessert so das Hörvermögen. „Obwohl der Schallwandler so klein ist, kann er einen Höreindruck von bis zu 120 Dezibel erzeugen. Das ist in etwa so laut wie die Vuvuzelas bei der Fußballweltmeisterschaft in Südafrika oder ein Presslufthammer.“
In den vergangenen zwei Jahren haben die Wissenschaftler ein erstes Funktionsmuster des innovativen Implantats hergestellt. „Den leistungsstarken Schallwandler auf die Größe eines Reiskorns zu verkleinern, war eine große Herausforderung“, beschreibt Professor Zenner. Derzeit wird das Muster-Implantat im Labor getestet. „Bis unser Rundfensterimplantat tatsächlich Schwerhörigen in der Praxis zur Verfügung steht, wird es allerdings noch einige Jahre dauern“, sagt Professor Zenner. Entwickelt wurde das Rundfensterimplantat von einem interdisziplinären Team von Spezialisten aus den Bereichen Medizin, Medizintechnik, Feinmechanik, Maschinenbau, Optik, Elektrotechnik, Physik, Chemie und Biologie.
Das menschliche Ohr besteht aus Außenohr, Mittelohr und Innenohr. Bis Schallwellen, die an der Ohrmuschel eintreffen, im Gehirn zu einem Nervensignal verarbeitet werden, sind zahlreiche Schritte notwendig: Zunächst ortet das Außenohr, das aus Ohrmuschel, Gehörgang und Trommelfell besteht, Schallquellen und filtert die entsprechenden Töne. Anschließend wird das Trommelfell in Schwingungen versetzt. So werden die Vibrationen auf das Mittelohr, genauer gesagt auf die Gehörknöchelchen Hammer, Amboss und Steigbügel übertragen. Die Gehörknöchelchen wiederum leiten die Schwingungen auf das ovale Fenster weiter, eine Membran, die das Mittel- vom Innenohr abgrenzt. Die Umwandlung der Schwingungen in Nervenreize findet schließlich im Innenohr statt. Die Schwingungen des Steigbügelknochens werden dort auf Sinneshärchen in der mit Flüssigkeit gefüllten Gehörschnecke übermittelt. Diese Sinneshärchen können Schwingungen in Nervensignale umwandeln und über den Hörnerv an das Gehirn senden. Das runde Fenster, an dem das neuartige Implantat von Professor Zenner angebracht wird, ist eine Membran, die ebenso wie das ovale Fenster Mittel- und Innenohr voneinander abgrenzt. Sie ist für den Druckausgleich im Innenohr zuständig.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Hans-Peter Zenner
Eberhard-Karls-Universität Tübingen
Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät
Klinik für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde
Elfriede-Aulhorn-Straße 5
72076 Tübingen
Tel.: 07071 29-88001
Fax: 07071 29-5674
E-Mail: zenner@uni-tuebingen.de